DAS PHONETIK-BLOG [foˈneːtɪkˌblɔk]


Montag, 30. Juli 2007
Eine zugleich amüsante wie interessante Information, welche phonetischen Themen besonders interessieren, stellen die Auswertungen dar, welche Beiträge dieses Blogs am häufigsten angeklickt werden und mit welchen Suchbegriffen die Leute von (meistens) Google hierher kommen. So war es in den letzten Tagen mehrfach die Frage nach der Aussprache oder vielmehr der Betonung des Wortes tatsächlich, die einen oder mehrere Surfer auf diese Seite getrieben hat. Es gibt – tatsächlich – zwei verschiedene Möglichkeiten, den Begriff zu betonen, nämlich [ˈtaːtzɛçlɪç] und [taːtˈzɛçlɪç]. Allerdings fällt es schwer, einem Deutschlernenden zu erklären, wann man wie betont, weil darüber, wie so oft, der Kontext entscheidet: Aus, sagen wir, euphonischen Gründen passt sich tatsächlich mitunter der Betonung von Wörtern an, die folgen oder vorausgehen: Bei einer Phrase wie »die vermeintlichen und tatsächlichen Vorteile« (dieses und alle weiteren Beispiele aus dem DUDEN-Universalwörterbuch) würde ich beide Wörter auf der zweiten Silbe betonen, bei »sein tatsächlicher Name« spricht vieles für eine Betonung auf der jeweils ersten Silbe. Richtig wäre aber in beiden Fällen auch die andere Variante; ob sie von deutschen Muttersprachlern als befremdlich empfunden würde, bleibt zu untersuchen. Allenfalls für konkrete Sätze wie »Ist das tatsächlich wahr?« (erste Silbe) oder dessen Verkürzung »Tatsächlich?« (zweite Silbe) könnte man von einer Betonungstendenz sprechen, die von Idiolekten in gewissem Maße unabhängig ist. Hier zeigt sich, dass die Intonation mit der zugehörigen Semantik in den meisten Sprachen zu Recht als eines der komplexesten und selbst für Muttersprachler oft schwer zu durchdringenden Gebiete gilt.

PS – für alle, die es interessiert: Stark gefragt war in den letzten Tagen der Beitrag zu Pratibha Patil. Dauerbrenner sind die Aussprache Salman Rushdies und, wie zu erwarten, Libyens.



Sonntag, 29. Juli 2007
Die Betonung des Namens der afghanischen Hauptstadt schwankt im Deutschen zwischen beiden möglichen Silben. Grundsätzlich gilt für das Persische, das man in Afghanistan spricht, dass eine Endbetonung wahrscheinlich ist. Dies sieht man beispielsweise am Namen des Landes, der sich in seiner Kurzform افغانستان schreibt und [ævˌɣɒnɛ̝̈ˈstɒːn] spricht. Wie man an der Schreibweise sieht, wirkt bei diesem Begriff der Prozess der antizipativen Assimilation: Der Buchstabe ف steht für [f], wird aber aufgrund des folgenden [ɣ] von sehr vielen Sprechern praktisch stimmhaft gesprochen. Den Vokal direkt vor der betonten Silbe habe ich dem Phonem /ɛ/ zugeordnet, das phonetisch etwas geschlossener artikuliert wird und in der unbetonten Position, wie hier, durch Zentralisierung eine schwa-ähnliche Qualität annimmt. Zurück zu Kabul: Bereits hier stimmt die generelle Annahme einer finalen Betonung nicht mehr. Die Betonung von Eigennamen ist nicht vorhersagbar; bei Substantiven und Verben liegt sie im Persischen in der Tat meist auf der letzten Silbe, allerdings nur in den jeweiligen Zitierformen. Betonte Präfixe, unbetonte Suffixe sowie eine Betonungsverschiebung durch den Vokativ führen dazu, dass in der Alltagssprache nur rund die Hälfte aller Wörter endbetont ist. Die Hauptstadt Afghanistans schreibt man auf Persisch کابل; die Aussprache ist [ˈkɒːbʊl]. Der erste Vokal ist, diachronisch gesehen, ein Langvokal, der jedoch heute höchstens in betonter Position minimal gelängt ist; der zweite Vokal, in betonter Stellung dem Kardinalvokal [u] vergleichbar, wird unbetont – siehe oben – merklich zentralisiert.



Da ich hier kein Koch-Blog führe, soll es natürlich vor allem um die Aussprache dieser japanischen Speise gehen – und nicht darum, wie lecker das Zeug schmeckt. Im Deutschen ist das Wort dreisilbig, also Tem|pu|ra, mit der Aussprache [tɛmˈpuːʁa]. Auf Japanisch schreibt man auf diese Weise zubereitetes Essen 天ぷら (oder auch 天麩羅). So oder so: In seiner Herkunftssprache, deren meiste Dialekte keine Silben zählen, besteht der Begriff aus vier Moren (Singular: Mora). Die phonologische Schreibweise mit Silbengrenzen ist /te.ɴ.pɯ.ra/. Der sogenannte moraische Nasal, der die zweite Silbe alleine bildet, deckt im Japanischen jedoch ein recht großes Spektrum an Allophonen ab: Am Wortschluss kann tatsächlich [ɴ] gesprochen werden; in anderen Positionen ist der folgende Laut entscheidend. In unserem Fall führt der bilabiale Plosiv in der nächsten Mora zur Aussprache [ˈteˌmpɯ̞̈ɺ̠ɐ̞].



Freitag, 27. Juli 2007
Cahors – Angoulême [Fester Link zum Beitrag]
Auch wenn das sportliche Interesse an der Tour de France aus nahe liegenden Gründen abgeflaut ist, taugt die Veranstaltung für einen Hinweis auf die Aussprache des Start- und Zielorts der morgigen Etappe. Los geht es im Département Lot, das man infamerweise [lɔt] spricht, und nicht etwa mit stummem t. Dafür birgt die Aussprache von Cahors, die da [kaˈɔʀ] wäre, keine Überraschungen für Frankreichkenner. Von selbst ernannten ebensolchen habe ich allerdings schon mehrfach denselben Irrtum bei der Aussprache von Angoulême gehört. Das hübsche Städtchen im Département Charente – sprich: [ʃaˈʀɑ̃t] – fällt phonetisch unter die Regel, dass g im Französischen nur vor e, i und y als [ʒ] ausgesprochen wird. Lautlich korrekt endet die 18. Etappe der Rundfahrt demnach in [ɑ̃ɡuˈlɛm].



Freitag, 27. Juli 2007
Iwan Sergejewitsch Turgenew [Fester Link zum Beitrag]
In den Zettelkatalogen von Bibliotheken, die ältere Aufnahmen in den Bestand verzeichnen, dürfte man exakt unter dem in der Überschrift genannten Nachnamen oft erfolglos suchen. Bis vor einigen Jahren war die Schreibweise Turgenjew üblich. Übrigens: Turgenew – wer war das noch mal? Ein guter Schachspieler? Stimmt. Der Mann, der für das schwerste Gehirn im Guinness-Buch der Rekorde steht? Auch. Und sonst? Ach ja, Bibliothek, Schriftsteller, klar. Die kyrillische Schreibweise seines Namens ist Иван Сергеевич Тургенев (Transliteration: Ivan Sergeevič Turgenev). Ein Blick auf die Aussprache seines Namens lässt erahnen, woher das j in der alten Transkription kommt. Die korrekte Lautung ist: [ɪˈvan sʲɪrˈɡʲejɪvʲɪtʲɕ tʊrˈɡʲenʲɪf]. Offenbar sollte die überholte Schreibweise die Palatalisierung in der letzten, unbetonten Silbe des Namens festhalten. Davon abgekommen ist man, da es schwer zu begründen ist, warum eine Palatalisierung verschriftlicht wird, während andere von mehr oder weniger kundigen Lesern selbstständig ergänzt werden müssen. Vielleicht trägt auch dieses Blog dazu bei, dass – wenn auch einer kleinen, so doch wachsenden Zahl von Interessierten  – ersichtlich wird, wann und wie im Russischen Konsonanten palatalisiert oder Vokale reduziert werden.



Sławomir Mrożek [Fester Link zum Beitrag]
Der Pole ist bekannt als Prosaautor, Karikaturist und vor allem als Dramatiker. Geboren wurde er 1930 in Borzęcin. Wo das liegt? In der Nähe von Krakau – oder, wie es auf Polnisch heißt, Kraków. Dies spricht man [ˈkrɐ̞kuf], den Geburtsort Mrożeks [bɔˈʒɛnt͜ɕin]. Im Polnischen spricht sich der Buchstabe ę in der Regel [ɛ̃], doch was wäre eine anständige Regel ohne Ausnahme? Vor Plosiven und Affrikaten wird der Vokal denasalisiert und durch einen nasalen Konsonanten am selben Artikulationsort wie der folgende Laut ergänzt. So ist beispielsweise die korrekte Lautung für die pommerische Stadt Lębork [ˈlɛmbɔrk]. Am Wortende spricht man ę als [ɛ]. Im Namen des Autors, der diesen Beitrag angeregt hat, begegnen Nicht-Polen zwei weitere diakritische Hürden: Das »durchgestrichene« l spricht man dafür immer gleich, nämlich [w]. Der Laut, für den hier ż steht, kann im Polnischen auf verschiedene Weise ausgedrückt werden: Auch mit der Buchstabenfolge rz kann man [ʒ] wiedergeben. Die Wörter morze (Meer) und może (er/sie kann) werden also identisch als [ˈmɔʒɛ] gesprochen. Dass, als phonetischer Bonus sozusagen, ź hinzukommt, das man [ʑ] spricht, ist für die Aussprache des Namens unseres Autors hingegen nicht wichtig. Er lautet [swɐ̞ˈvɔmir ˈmrɔʒɛk].



Dienstag, 24. Juli 2007
Gestern verstarb der bekannte Dramatiker, Regisseur und Schauspieler in Berlin. Sein Name wird meistens ausgesprochen, als sei es ein englischer, das heißt: [dʒɔːdʒ təˈbɔːɹi]. Dies ist durchaus gerechtfertigt, da Tabori die britische Staatsbürgerschaft besaß und lange sowohl in Großbritannien als auch in den USA lebte. Die Schreibweise, unter der er bekannt wurde, und damit die zugehörige Aussprache wählte der Theatermacher aus freien Stücken – nun, mehr oder weniger frei: Tabori war Jude und verließ Deutschland im Jahr 1935. Geboren wurde er 1914 in Budapest als György Tábori. Auf Ungarisch spricht man diese Schreibweise [ɟørɟ ˈtaːbori]. Der Akutakzent auf dem a ist wichtig, da der Buchstabe sonst nicht nur kurz gesprochen wird, sondern den Lautwert [ɒ] annimmt. Übrigens kann man auch die deutsche Aussprache [ʒɔʁʃ taˈboːri] vertreten, da Tabori in den letzten 35 Jahren seines Schaffens in Bremen, München, Wien sowie Berlin wirkte und fließend Deutsch sprach.



Alexander Nikolajewitsch Winokurow [Fester Link zum Beitrag]
In der Reihe »Russische Namen« beschäftige ich mich heute mit einem unerfreulichen Fall: Der Tour-de-France-Teilnehmer – ein Kasache mit russischen Wurzeln – steht unter dem Verdacht des Blutdopings. Mit kyrillischen Buchstaben schreibt man seinen Namen Александр Николаевич Винокуров (Transliteration: Aleksandr Nikolaevič Vinokurov). Allerdings wird der Name auch in deutschen und englischen Medien in der französischen Transkription, also Alexandre Vinokourov, angegeben. Als Grund hierfür ist denkbar, dass der Radsportler 1998 seinen ersten Fahrervertrag mit dem französischen Team schloss, das damals unter dem Namen Casino (nach der Supermarktkette) bekannt war, und bis heute in Monaco wohnt. Kleiner Exkurs: Heute heißt das frühere Casino-Team ag2r Prévoyance (jetzt nach einem Versicherungskonzern). Dies spricht man [aʒedøˈzɛʀ pʀevwaˈjɑ̃s]. Zurück zu »Wino«: Nicht selten werden verschiedene Schreibweisen seines Namens vermischt. Zum Beispiel nennt sich der Radfahrer in der URL seiner Homepage »Alexander Vinokourov«. So oder so: Die russische Aussprache des Namens lautet [ʌlʲɪˈksandr nʲɪkʌˈlajɪvʲɪtʲɕ vʲɪnʌˈkurəf].



Samstag, 21. Juli 2007
Pratibha Devisingh Patil [Fester Link zum Beitrag]
Die 72-Jährige wurde zur Präsidentin Indiens gewählt; sie ist die erste Frau in dieser Position und die erste Amtsinhaberin, die aus Maharashtra stammt. In dem nach Uttar Pradesh zweitgrößten Bundesstaat wird Marathi gesprochen. Auch diese Sprache bedient sich der Devanāgarī-Schrift. Damit schreibt man ihren vollständigen Namen: प्रतिभा देवीसिंह पाटिल. In der Aussprache unterscheidet sich Marathi geringfügig von anderen indischen Sprachen wie Hindi. Die Lautung des Namens ist demnach: [pɾɐt̪ɪbʰɑː d̪eʋiːsɪ̃ŋh pɑːʈɪl]. An allen »besetzten« Artikulationsorten stehen vier Plosive, die jeweils durch Stimmhaftigkeit und Aspiration voneinander unterschieden werden. Auch drei der fünf Nasale können sowohl mit als auch ohne Aspiration auftreten. Marathi besitzt mehrere retroflexe Konsonanten. Die Vokale entsprechen mehr oder weniger denen des Hindi. Die Nasalisierung, die hier im mittleren der drei Namensbestandteile transkribiert ist, entsteht durch den darauffolgenden nasalen Konsonant und wird von vielen Sprechern weggelassen.



Samstag, 21. Juli 2007
Der Boxer stammt aus dem Kosovo, einer südserbischen Provinz, die mehrheitlich von Albanern bewohnt wird. Die kosovarische Hauptstadt schreibt man auf Serbisch Priština bzw. Приштина und spricht sie [ˈpriːʃtina]; die albanische Schreibweise Prishtinë (auch: Prishtina) lautet [pɾiʃˈtinə]. Krasniqi wuchs in Junik (kyrillisch: Јуник) auf; der Ort liegt in der südwestlichen Provinz, die nach ihrem Hauptort benannt ist, der auf Serbisch Đakovica bzw. Ђаковица und auf Albanisch Gjakovë – sprich: [ɟaˈkɔvɛ] – heißt. Der Buchstabe Ђ ist eine serbische Ergänzung des kyrillischen Alphabets, der in dem Ortsnamen folgende Aussprache angibt: [ˈd͜ʑakɔ̝vit͜sa]. Zurück zu Luan Krasniqi: Seit zwanzig Jahren lebt der Sportler in Deutschland. In seiner Muttersprache Albanisch lautet sein Name [lu̯an kɾasˈnici].



Annie Leibovitz [Fester Link zum Beitrag]
Der Name der US-amerikanischen Fotografin gehört im Deutschen zu denen, deren Lautung in der Herkunftssprache gerne ignoriert wird. Die korrekte Aussprache ist [ˈæni ˈliːbəvɪt͜s]. Der Digraph ei kann im Englischen unter anderem für [eɪ̯] stehen (wie in eight), für [aɪ̯] (wie in either), für [ɛ] (wie in leisure), für [ɪ] (RP) bzw. [ə] (GA) (wie in sovereign) – oder eben für [iː] (wie in seize) Wer nicht gerade die Etymologie all dieser Wörter präsent hat, sollte sich bei der Aussprache auf sein Gedächtnis oder ein gutes Wörterbuch verlassen können, im Falle von Namen wahlweise auch auf ein um Korrektheit bemühtes Phonetik-Blog ;-)



Freitag, 20. Juli 2007
Rosamunde Pilcher [Fester Link zum Beitrag]
Ich habe zufällig gelesen, dass in einem anderen Blog (Link) vor einer Weile hierher verwiesen wurde. Gerne erfülle ich den Wunsch, die Aussprache von Rosamunde Pilchers Namen zu kommentieren. Ich gehe davon aus, dass die alte Dame folgende Lautung selbst verwendet: [ˈɹɒzəmənd ˈpɪltʃə]. Ebenfalls möglich wäre im Englischen [ˈɹəʊzəmənd] für den Vornamen. Im deutschsprachigen Raum hingegen, wo die Autorin sehr populär ist, wird ihr Name fast immer [ˈʁoːzamʊndə ˈpɪlçɐ] gesprochen. Warum? Dies dürfte unter anderem mit dem Publikum zusammenhängen, das Pilcher bedient. Das Genre des trivialen Liebes- und Familienromans, dem ihre Bücher zuzurechnen sind, spricht mehrheitlich alte und relativ ungebildete Leser an, die mangels Fremdsprachenkenntnissen die Übersetzungen der Romane lesen. Da der Name durchaus auf eine deutsche Autorin hindeuten könnte, wird – behaupte ich – von vornherein nicht wahrgenommen, dass es sich um eine englische Schriftstellerin handelt. In den bildungsbürgerlichen Kreisen, durch deren linguistisches Interesse sich in der Regel die korrekte Lautung fremdsprachlicher Namen verbreitet, ist es verpönt, Pilcher-Bücher oder deren Verfilmungen zu kennen. Der Standard für die Aussprache, wenngleich wohl aus Unkenntnis oder Desinteresse entstanden, wurde also offenbar von denjenigen gesetzt, die Pilchers Werke tatsächlich konsumieren, und von vielen anderen übernommen.



Halldór Kiljan Laxness [Fester Link zum Beitrag]
Vor isländischer Phonetik kapitulieren die meisten Mitteleuropäer – ohne Grund. Die Laut-Buchstaben-Zuordnung ist relativ regelmäßig, die Betonung und die Vokallänge sind vorhersagbar. Der Name des Literaturnobelpreisträgers von 1955 beispielsweise spricht sich [ˈhaltou̯r ˈcʰɪljan ˈlaxsnɛs]. Im Isländischen gibt es keine Paare aus stimmhaften und -losen, sondern aus aspirierten und unaspirierten Plosiven. Sämtliche Nasale sowie [r], das als Trill gesprochen wird, und [l] haben stimmlose Allophone im entsprechenden Kontext. Von den sechs Buchstaben, die einen Akutakzent tragen können, stehen drei für einen Diphthong: á für [au̯], ó – wie gesehen – für [ou̯], ú für [ui̯]. Letztere phonetische Qualität nimmt ú allerdings nur vor gi bzw. gj an; ansonsten spricht man [u]. Der Diphthong [au̯] kann vor ng oder nk von einem a ohne Akzent wiedergegeben werden. Das é ist mit der Aussprache [jɛ] verknüpft, í und ý stehen beide für [i]. Der Titel von Laxness’ Romantrilogie Íslandsklukkan (1943–1946; dt. Islandglocke) spricht sich folglich [ˈiːslan̥tsˌklʏhkan]. Der Doppelkonsonant kk wird nicht als Geminate, sondern – wie pp und tt – präaspiriert gesprochen.



Dienstag, 17. Juli 2007
Der russische Geschäftsmann und Ex-KGB-Mitarbeiter ist verwickelt in die Affäre um die Ermordung von Александр Вальтерович Литвиненко (Transliteration: Aleksandr Val’terovič Litvinenko). Der Name des Getöteten spricht sich [ʌlʲɪˈksandr vʌlʲˈtʲe̞rəvʲɪtʲɕ lʲɪtvʲiˈnʲe̞nkə]. Lugowoi schreibt man mit kyrillischen Zeichen Андрей Константинович Луговой (Transliteration: Andrej Konstantinovič Lugovoj). Anders als in deutschen Medien bisweilen zu hören, betont man seinen Namen nicht auf der ersten Silbe. Die korrekte russische Lautung ist [ʌnˈdrʲe̞j kənstʌnˈtʲinəvʲɪtʲɕ luɡʌˈvo̞j].



Brunsbüttel und Krümmel [Fester Link zum Beitrag]
Die Namen der beiden Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein sind identisch mit denen der Orte, in denen sie stehen. Die Stadt Brunsbüttel liegt im Westen des Bundeslandes. Man spricht den Ort wie das AKW [bʁʊnsˈbʏtl̩] – nicht etwa, wie häufig zu hören, mit langem Vokal in der ersten Silbe. Eine Betonung auf dieser Silbe ist allerdings möglich. Das Kernkraftwerk Krümmel liegt in einem Ortsteil von Geesthacht bei Hamburg. Die korrekte Lautung ist [ˈkʁʏml̩] – anders als die eines Brotbrockens (Krümel), der sich mit langem Vokal spricht.



Montag, 16. Juli 2007
Sei es Euripides, sei es Sappho, sei es Aristophanes: Die für das Deutsche konventionalisierte Betonung keiner dieser Autornamen deckt sich mit der des Griechischen. So schreibt man den Autor zweier der frühesten Werke der Weltliteratur Ὅμηρος (Hómeros), was man im attischen Dialekt des Altgriechischen offenbar [hómɛːros] sprach. Die Betonung, die damals primär durch Pitch (Tonhöhe) realisiert wurde, kann eindeutig auf der ersten Silbe lokalisiert werden. Im neugriechischen [ˈo̞miɾo̞s] ist die Initialbetonung erhalten. Im Deutschen spricht man hingegen [hoˈmeːɐ̯]. Kaum überraschend, dass auch die Titel von Homers Hauptwerken – Ἰλιάς (Iliás) und Ὀδύσσεια (Odýsseia) – anders als im Deutschen betont wurden. Das gleiche Bild bei Σαπφώ (Sapphó), deren Name einst [sapːʰɔ́ː] lautete und heute [sapˈfo̞] gesprochen wird. Auf Deutsch heißt es [ˈzap͜fo]. Αἰσχύλος (Aischýlos) – klassisch: [ai̯skʰýlos], modern: [e̞sˈçilo̞s] – spricht der deutsche Bildungsbürger [ˈai̯sçylɔs]. Und bei Euripides, dem Aufhänger dieses Beitrags, der mit Überzeugung als [ɔɪ̯ˈriːpidɛs] aus Altgriechischstunden schallt? Dasselbe Lied. Die korrekte Aussprache von Εὐριπίδης (Euripídes) im Altgriechischen war wohl [eu̯ripídɛːs], während lebende Griechen von [e̞vriˈpiðis] sprechen. Eine lange Reihe weiterer Fälle, ebenso wie die Aufzählung durchaus vorhandener Gegenbeispiele, erspare ich den Lesern und mir.

Die interessantere Frage ist doch: Warum? Ich kann darauf leider keine belegbare Antwort geben. Ich vermute, dass die Betonung der Namen – unter Einfluss des Lateinischen – von Altphilologen der jeweiligen Zielsprache nach »Gefühl« neu bestimmt wurde. Übereinstimmungen mit dem Griechischen – auch in anderen Sprachen eher selten – scheinen zufällig zu sein. Überprüfen könnte man diese Behauptung durch einen Vergleich der traditionellen deutschen Betonung der Namen mit deren intuitiver Aussprache durch deutsche Muttersprachler, denen die griechischen Autoren unbekannt sind.



Osama bin Laden [Fester Link zum Beitrag]
Transliterationen und Transkriptionen aus dem Arabischen werden dadurch verkompliziert, dass die Sprache von rund 200 Millionen Menschen gesprochen wird, die über mehr als 25 Länder verteilt sind. Dadurch existiert eine Vielzahl von Dialekten, deren Sprecher sich teilweise nicht verständigen können. Gebildete Araber greifen in solchen Fällen auf das sogenannte »Hocharabisch« zurück, eine Standardvarietät auf Basis des klassischen Arabisch, die aber von fast der Hälfte der Muttersprachler eines arabischen Dialekts nicht ausreichend beherrscht wird. Auch bei der Aussprache des Namens des Most Wanted Terrorist (FBI) spielen diese Faktoren eine Rolle. Da Patronymika im arabischen Raum oft mehrere Generationen zurückreichen, ist der volle Name recht lang. Er schreibt sich أسامة بن محمد بن عوض بن لادن. Mit dem lateinischen Alphabet wird dies meist als Usāma bin Muhammad bin Awad bin Lādin wiedergegeben. Bevor ich zu weiteren möglichen Schreibungen komme, sei zunächst die Standardaussprache angegeben, die [ʔʊˈsæːmɐ bɪn mʊˈħamːad bɪn ˈʕ̙ɑwɑd̙ˤ bɪn ˈlæːdɪn] lautet. Interessant ist die phonetische Variabilität des Phonems /a/, das am Wortende mit dem Lautwert [ɐ] und im Umfeld von Konsonanten, die man mit zurückverlagerter Zungenwurzel artikuliert, zum Beispiel mit [ɑ] korrespondiert. Innerhalb einer Wortfolge, zumal eines Namens, ist die Aussprache des Wortes für Sohn, dessen Zitierform ابن geschrieben wird, tatsächlich [bɪn]; daran orientieren sich die meisten Transkriptionen zu Recht. Warum aber Osama statt Usama? Vor allem über englischsprachige Medien dürfte sich diese Schreibweise verbreitet haben: Gegen U sprach, dass dadurch mutmaßlich [ju] als falschem Anlaut Vorschub geleistet worden wäre. Auch für das Deutsche, bei dem diese Gefahr nicht besteht, etablierte sich Osama bin Laden – verstärkt nach dem 11. September 2001, als man das Publikum offenbar nicht durch Privatschreibweisen verwirren wollte.



Sonntag, 15. Juli 2007
Ich bin sicher, dass viele der Überzeugung sind, dass dieses Wort deutscher Herkunft ist, nährt doch die regelmäßige Aussprache [ˈbeːlt͜səˌbuːp] keine Zweifel an dieser Theorie. Der erste Bestandteil könnte von einem archaischen Verb (*beelzen) stammen, der zweite kennzeichnet den Teufel – auch wenn die Vorstellung etwas merkwürdig ist – als Bub, als Jungen. Doch: Weit gefehlt! Der Begriff Beelzebub für den Teufel wurde aus dem Hebräischen übernommen, wo man – inklusive Nikkud – בַעַל זְבוּב (Ba’al Zevuv) schreibt und [ˈbɐ̞ʔɐ̞l zəˈvuv] spricht. Bei diesem Ausdruck, meist als »Herr der Fliegen« (siehe William Golding) übersetzt, handelt es sich um eine Verballhornung von בַעַל זְבוּל (Ba’al Zebul), im Alten Testament der Name des Gottes von Ekron, das »erhabener Herr« bedeutet. Auch in einigen anderen Sprachen außer dem Deutschen ist der Begriff bekannt: Im Englischen schreibt man ihn wie im Deutschen; die Lautung ist jedoch [biˈɛlzəˌbʌb], seltener [ˈbiːlzəˌbʌb], mit [bʊb] als Alternative für die letzte Silbe. Der französische Belzébuth spricht sich [bɛlzeˈbyt], bisweilen ohne [t] im Auslaut. In Spanien schreibt man Belcebú ; die korrekte Aussprache auf der iberischen Halbinsel ist [belθeˈβu]. Sogar nach Japan hat es der Beelzebub geschafft, und zwar als ベルゼブブ (Beruzebubu), den man [beɺ̠ɯ̞̈zebɯ̞̈bɯ̞̈] spricht. Im Deutschen übrigens ist eine zweite Aussprache möglich, die allerdings wenig verbreitet ist, nämlich [beˈɛlt͜səˌbuːp].



Mittwoch, 11. Juli 2007
Der Name dieses Landes ist ein altes phonetisches Thema, das mit hübscher Regelmäßigkeit wiederbelebt wird – so dieser Tage, da das nordafrikanische Land in den Schlagzeilen ist. Die meisten Sprecher quält hörbar das y, das sich an einer für Deutsche ungewöhnlichen Stelle befindet und mit dem Laut [y] assoziiert wird. Wohl aus Gründen sprachlicher Ökonomie wird dieser Laut in der Praxis an eine angenehmere Stelle verlegt und das Land [ˈlyːbi̯ən] gesprochen. Von der präskriptiven Seite, dem Aussprache-DUDEN, ist diese phonetische Metathese nicht gedeckt: Dort wird die Lautung [ˈliːby̑ən] verlangt. Ein Blick ins Arabische zeigt, dass tatsächlich die Graphie den Laut im Deutschen an diese Position gebracht hat; vor Ort schreibt man ليبيا und spricht [ˈliːbɪjaː]. Das finale [a] kann man auch [æ] transkribieren; die Länge des letzten Vokals steht nur der Vollständigkeit halber, da eine quantitative Distinktion im Auslaut offener Silben entfällt. Die ARD hat für die Aussprache des deutschen Exonyms eine praktikable Lösung gefunden, die besagte Laut-Buchstaben-Zuordnung aufbricht: Sie empfiehlt die Aussprache [ˈliːbi̯ən], die vor allem in der tagesschau inzwischen fast ausschließlich zu hören ist. Im Übrigen steht diese phonetische Realisierung nicht alleine da: Für das Wort System zum Beispiel, das im DUDEN als [zʏsˈteːm] transkribiert wird, herrscht längst die Lautung [zɪsˈteːm] vor; Fälle wie die Vorsilbe poly verhalten sich analog.

Nachtrag 11/2011: Die Anlässe, über Libyen zu sprechen, sind nicht weniger geworden; die Fälle, in denen man [ˈlyːbi̯ən] hört, sind es auch nicht. Diese Lautung wählt, wenn ein Sprecher und zwei Korrespondenten den Ländernamen aussprechen, nach meinem Eindruck durchschnittlich mindestens einer von ihnen – auch noch in Sendungen von Rundfunk- und Fernsehanstalten der ARD, wo man immerhin Zugriff auf eine Datenbank mit Aussprache­empfehlungen hat. Jedes eher deskriptiv als präskriptiv arbeitende Aussprachewörterbuch müsste [ˈlyːbi̯ən] als entsprechend kommentierte Nebenvariante in seine nächste Auflage aufnehmen; vielleicht hätte das sogar längst geschehen müssen, denn statt der Frequenz der metathetischen Aussprache scheint sich vor allem die Frequenz des Wortes und damit die Wahrnehmbarkeit der ›Falschaussprache‹ in letzter Zeit geändert zu haben. Das gilt gleichermaßen für die Ableitungen ›Libyer‹ – normativ: [ˈliːby̑ɐ], tatsächlich oft: [ˈlyːbi̯ɐ] – und ›libysch‹ – normativ: [ˈliːbʏʃ], tatsächlich oft: [ˈlyːbɪʃ] –, wobei die DUDEN-Form des Adjektivs so fremd klingt, als hätte ich sie noch nie gehört. Die ganze Wortfamilie mit ihrem unsilbischen [y] und dem unbetonten [ʏʃ] ist ein Kuriosum, bei dem es mich nicht wunder­nimmt, dass es früher oder später auf sanfte – das wäre [ˈliːbi̯ən] – oder unsanfte Weise – das wäre [ˈlyːbi̯ən] – an gängigere Lautmuster angepasst wird. Die behäbigere Orthografie dürfte diesen phonetischen Entwicklungen noch eine Weile hinterherhinken.



Der Mann, der heute die vierte Etappe der 94. Tour de France gewonnen hat, ist Norweger. Er hat einen dieser Namen, die aussehen, als spreche man sie wie im Deutschen – und dann stimmt es doch wieder nicht! Die korrekte Lautung ist [tuːɾ ˈhʉːsˌhɔvd]. Interessant, aber für das Norwegische nicht ungewöhnlich ist die Aussprache von o als [u] sowie von u als [ʉ]. Deutsche beispielsweise hören letzteren Laut oft als [y]; tatsächlich wird er ebenfalls mit gerundeten Lippen, aber zentraler gesprochen. Die Etappe, auf der Hushovd siegte, ging übrigens von Villers-Cotterêts nach Joigny. Franzosen sprechen den ersten der beiden Orte [viˌlɛʀkɔˈtʀɛ], den zweiten [ʒwaˈɲi]. Morgen geht es von Chablis [ʃaˈbli] nach Autun [oˈtɛ̃]. Vor einigen Jahren noch wäre der Name des morgigen Zielorts [oˈtœ̃] gesprochen worden und wird von zahlreichen Wörterbüchern weiterhin so transkribiert. In der Praxis ist der gerundete nasalierte Vokal mit seinem ungerundeten Gegenstück zusammengefallen.



Montag, 9. Juli 2007
Heavy-Metal-Umlaut [Fester Link zum Beitrag]
Die US-amerikanische Rockband Blue Öyster Cult war eine der ersten Formationen, die sich dieser Schreibweise bediente. Meistens in Kombination mit einer Frakturschrift sollte dem Bandnamen damit ein »germanischer« Touch verliehen werden. Die britischen Motörhead waren wahrscheinlich die nächsten, gefolgt von Hüsker Dü, Mötley Crüe und einigen anderen. Eine Weiterentwicklung stellt die Diärese in Queensrÿche dar, die man in dieser Verbindung im Französischen vermuten würde. Noch einen Schritt weiter ging die Filmband Spın̈al Tap, die dem i einen Punkt nahm und dem n dafür gleich zwei verpasste. Bleibt nur eine Frage offen: Wie spricht man die Buchstaben mit Trema aus – das ö vielleicht [ø], das ü etwa [y]? Ganz falsch. Die Antwort ist viel banaler: Man spricht die Bandnamen, als seien die Diakritika gar nicht da. Motörhead sind phonetisch folglich [ˈməʊtəˌhɛd], und die Amerikaner Mötley Crüe entpuppen sich lediglich als ein bunter Haufen (engl. motley crew) mit der gewöhnlichen Lautung [ˌmɑːtliˈkɹuː]. Selbst bei Queensrÿche ist die Aussprache [ˈkwiːnzˌɹaɪk] längst nicht so überraschend wie die Grafie. Schade eigentlich.



Von den derzeitigen Überschwemmungen im Osten Indiens sind unter anderem Menschen im Bundesstaat Rajasthan betroffen. Herkunft dieser Transkription des Namens ist gewiss das Englische, dessen Sprecher es nicht als ungewöhnlich empfinden, j als [dʒ] zu sprechen. Kurz und eindeutig für die Devanāgarī-Schreibung राजस्थान wäre im Deutschen beispielsweise Radschastan – sei’s drum. Auf Hindi spricht man den Eigennamen [rɑːdʒɐst̪ʰɑːn]. Die Sprache besitzt für jeden aspirierten Plosiv ein unaspiriertes Gegenstück: Es gibt acht dieser Paare bzw. derer elf, wenn man die Affrikaten [t͜ʃ] und [d͜ʒ] sowie den retroflexen Flap [ɽ] hinzuzählt. [dʒ] bedeutet in einer Hindi-Transkription also explizit [dʒ⁼], um das hochgestellte Gleichheitszeichen als inoffizielles IPA-Symbol für fehlende Aspiration zu verwenden. Die Hauptstadt Rajasthans ist übrigens Jaipur, in Devanāgarī जयपुर. Man transkribiert die zugehörige Hindi-Aussprache [dʒɐjpʊɾ] und spricht sie, wie die vorangegangenen Ausführungen nahelegen, ohne einen einzigen aspirierten Laut.



Freitag, 6. Juli 2007
Die russische Stadt Sotschi ist Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014. Kyrillisch schreibt man sie Сочи. Das Zeichen ч stellt eine Besonderheit dar, weil es für einen Laut steht, der stets palatalisiert – oder wie es im Volksmund häufig heißt: weich – gesprochen wird. Die korrekte Lautung der Stadt ist demnach: [ˈso̞tʲɕɪ]. Alternativ könnte man den Laut [tʲʃʲ] transkribieren, aber ich habe mich für die Variante mit den wenigsten Zeichen und Diakritika entschieden, die nichtsdestoweniger die Aussprache korrekt wiedergibt. Vielleicht genügte [tɕ], wenn man annimmt, dass bei einer korrekten Aussprache des zweiten Lautes durch antizipative Assimilation auch der erste am richtigen Platz artikuliert wird.



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