DAS PHONETIK-BLOG [foˈneːtɪkˌblɔk]


Freitag, 24. August 2007
Der elfjährige Junge, der in Liverpool erschossen wurde, trägt einen walisischen Vornamen mit der Bedeutung »Begeisterung«. Die korrekte Aussprache des Namens ist [ɹiːs dʒəʊnz]. Der Buchstabe y steht am Anfang eines Wortes oder einer Silbe in der Regel für [j] (wie in yacht oder you). In allen anderen Positionen sind [aɪ] (wie in analyse oder dry), [ɪ] (wie in abyss oder yclept) oder, vor allem im Auslaut, [i] (wie in ability oder funny) möglich. Der Langvokal [iː] in Rhys wurde aus der walisischen Aussprache übernommen, die – je nach Region – [hrɨːs] (im Norden) bzw. [hriːs] (im Süden) lautet. – Der traurige Anlass bietet phonetisch Interessierten übrigens die Gelegenheit, auf den Websites britischer Fernseh- und Radiosender Musterbeispiele für Scouse, den Dialekt der Liverpudlians [ˌlɪvəˈpʌdliənz], zu hören. Dabei ist zum Beispiel das sogenannte flat a auffällig, das in Varietäten des Englischen zu hören ist, die den trap-bath split nicht aufweisen. Wörter wie bath oder sad lauten dann [baθ] bzw. [sad] – statt, wie in der Received Pronunciation, [bɑːθ] und [sæd]. Ein weiteres phonetisches Merkmal, das Scouse von der englischen Standardaussprache abhebt, ist die Realisierung des Phonems /r/ als [ɾ] statt als [ɹ]. Markant ist zudem die Artikulation des Phonems /k/, vor allem am Wortende, als [x]. So erzählen zum Beispiel die Fußballkumpane des getöteten Jungen, ihr Freund sei gerade aus dem Urlaub in [məˈjɔːxə] zurückgekommen. Ein Wort, das zwei der phonetischen Besonderheiten vereint, nämlich das flat a und den velaren Frikativ, ist back, das RP-Sprecher [bæk] sprechen, Scousers hingegen [bax].



Dienstag, 21. August 2007
Der Kontext war im Grunde klar: Die Staats- bzw. Regierungschefs dreier amerikanischer Länder – Kanada, USA und Mexiko – treffen sich. Wie die Namen der Vertreter der beiden erstgenannten Staaten ausgesprochen werden, wurde bereits am 7. Juni in diesem Blog geklärt. Der mexikanische Vertreter heißt mit vollem Namen Felipe de Jesús Calderón Hinojosa. Die Lautungen, denen ich in deutschen Medien begegnet bin, lassen Zweifel daran zu, dass allgemein bekannt ist, dass in Mexiko nicht Französisch oder Englisch, sondern Spanisch Amtssprache ist. Klargestellt sei deshalb: Nasalvokale kommen im Namen Caldérons nicht vor. Die richtige Aussprache ist [feˈlipe de xeˈsus kaldeˈɾon inoˈxosa]. Merken kann man sich Teile dieser Lautung für den spanischen Dramatiker Pedro Calderón de la Barca. Seinen Namen spricht man [ˈpeðɾo kaldeˈɾon delaˈβ̞aɾka].



Donnerstag, 16. August 2007
Der Name der italienischen Mafia-Vereinigung ging in den vergangenen Tagen durch alle Medien – meistens falsch ausgesprochen. Die richtige Lautung ist [nˈdraŋɡeta]. Aus dem Griechischen ins Italienische kam diese Bezeichnung wahrscheinlich über den süditalienischen Dialekt Griko, der italienische mit griechischen Elementen verbindet. Sie geht auf den schon im Altgriechischen bekannten Begriff ἀνδραγαθία (andragathía) zurück, der für heldenhaften Mut steht. Im attischen Altgriechisch wurde das Wort [andraɡaˈtʰia] ausgesprochen. Die Schreibweise im Neugriechischen ist, bis auf den Wegfall des spiritus lenis (griech. ψιλή), identisch; die Aussprache hat sich hingegen zu [anðɾaɣaˈθi̯a] verändert.



Der Name der Stadt, der als Standort eines der größten Vernichtungslager des Dritten Reiches wohl noch lange für die Gräuel des Holocaust stehen wird, existiert in einer deutschen und polnischen Version: Je nach historischer Periode, auf die man Bezug nimmt, eignet sich der eine oder der andere. Vor 1918 und zur Zeit der Besetzung durch das nationalsozialistische Deutschland war der offizielle Ortsname Auschwitz. Das Wort wird Ausch-witz getrennt, und nicht etwa direkt nach dem Diphthong. Schreibweisen, die eine morphologische Verwandtschaft mit ausschwitzen nahezulegen scheinen, seien hier noch einmal ausdrücklich als falsch bezeichnet. Die korrekte Aussprache ist [ˈaʊ̯ʃˌvɪt͜s]. Heute ist der Ort wieder polnisch und trägt seinen ursprünglichen Namen Oświęcim. Im Polnischen ist die übliche Lautung [ɔɕˈfʲɛ̝ɲt͜ɕim]. Der Buchstabe ę (siehe Blog vom 26. Juli) wird vor Plosiven und Affrikaten als nicht-nasalierter Vokal plus mit dem folgenden Laut homorganer Nasal gesprochen. Das Phonem /ɛ/ erscheint vor [ɲ] mit einem geschlosseneren Allophon.



Sonntag, 12. August 2007
Die Stadt in der Grafschaft Surrey (zu deren Aussprache: siehe Blog vom 4. August) gilt als Musterbeispiel für die Nutzung erneuerbarer Energien. Ihr Name ist nicht homophon mit dem Gerundium des englischen Verbs to walk. Man spricht die Stadt [ˈwəʊkɪŋ]. Einen literarischen Auftritt hatte Woking in The War of the Worlds (1898; dt. Krieg der Welten) von H. G. Wells, den man [eɪtʃ dʒiː wɛlz] spricht. In dem Roman landen Marsianer auf einer Gemarkung in Horsell bei Woking. – Eine berühmte Bewohnerin der Stadt war die Komponistin Ethel Mary Smyth: Den Nachnamen Smith spricht man im Englischen praktisch immer [smɪθ]. Dies ist auch für die Schreibweise Smyth eine mögliche Variante, eine weitere ist [smaɪð]. Die korrekte Lautung für den Namen der Suffragette ist [ˈɛθl̩ ˈmɛəɹi smaɪθ]. Für die Aussprache des Begriffs Suffragette empfiehlt der DUDEN übrigens die stark eingedeutschte Form [zʊfʁaˈɡɛtə], obwohl diese Bezeichnung für Frauen, die das allgemeine Wahlrecht forderten, aus dem englischen bzw. französischen suffrage (für: Wahlrecht; Wahlstimme) kommt. Im ersten Fall spricht man das Wort [ˈsʌfɹɪdʒ], im zweiten [syˈfʀaʒ].



Dieser Blogeintrag erlaubt sich einen – freilich rein linguistischen – Blick zwischen die Beine der Menschen: Die lateinisch-griechischen Bezeichnungen der edelsten Teile von Männlein und Weiblein haben schon so manchen in grammatikalische und phonetische Verwirrung gestürzt. Das »beste Stück« des Mannes darf man guten Gewissens als »Schwanz« bezeichnen, denn nichts anderes bedeutet der Begriff penis im Lateinischen. Die Singularform [ˈpeːnɪs] geht den meisten leicht über die Lippen – aber der Plural? Die unter Medizinern übliche Form lautet Penes, was man [ˈpeːneːs] ausspricht; sonst ist die Form Penisse [ˈpeːnɪsə] weiter verbreitet. Ähnliche Schwierigkeiten phonetischer Art, von anderen ganz zu schweigen, bereitet die weibliche Klitoris: Der Begriff stammt von altgriechisch κλειτορίς, was auf Deutsch »kleiner Hügel« bedeutet und dessen Lautung im attischen Dialekt [kleːtorís] war. Auf dem Weg über das Lateinische ins Deutsche hat sich die Betonung insofern verändert, als wir [ˈkliːtoʁɪs] sprechen. Diese Form kann auch für den Plural stehen. Als außerhalb von Ärztekreisen äußerst rare Pluralvariante existiert [kliˈtoːʁideːs]. Vagina – sprich [ˈvaːɡina] oder seltener [vaˈɡiːna] – und Vulva [ˈvʊlva] nehmen sich dagegen phonetisch unproblematisch aus.



Sonntag, 12. August 2007
Elfriede Jelinek [Fester Link zum Beitrag]
Die Literaturnobelpreisträgerin aus Österreich wird vor allem von englischen Muttersprachlern bisweilen ausgesprochen, als habe sie einen Hals aus Wackelpudding. Dem ist nicht so. Ihr Name kommt aus dem Tschechischen, wo man mit jelen [ˈjɛlɛn] den Hirsch (lat. cervus) bezeichnet. Der Diminutiv schreibt sich jelínek; die korrekte Aussprache ist [ˈjɛliːnɛk]. Der Akutakzent, der im Deutschen verloren gegangen ist, ohne die Aussprache des Namens zu beeinflussen, hat beim i im Tschechischen eine doppelte phonetische Implikation: Während sich bei allen anderen Vokalen durch den Akzent nur die Quantität ändert, wird i als [ɪ] gesprochen, während í als [iː], also nicht zentralisiert und lang, artikuliert wird. In Tschechien würde Frau Jelinek übrigens wahrscheinlich die weibliche Form Jelínková als Nachname führen; diese spricht man [ˈjɛliːŋkovɐ̞ː]. Das tschechische Phonem /a/ ist ein ungerundeter offener Zentralvokal, den man auch mit [ä] oder [ɑ̈] transkribieren könnte.



Der Ur-Quasimodo, nach dem man bis heute bucklige hässliche Menschen benennt, tauchte in Victor Hugos 1831 erschienenem Roman Notre-Dame de Paris 1482 auf. Den Roman spricht man [nɔtʀ̥ˈdam dəpaˈʀi], seinen Autor [vikˈtɔːʀ yˈɡo]. Der Name des Glöckners lautet im Französischen [kazimɔˈdo]. Im Deutschen verändert sich, neben der Aussprache des Digraphs qu, die Betonung zu [kvaziˈmoːdo]. Für das Englische gilt mit [ˌkwɑːzɪˈməʊdəʊ] dasselbe; während man [ˈkweɪzaɪ] bzw. [ˈkweɪsaɪ] für quasi in der Bedeutung »sozusagen« noch heute hört, ist [ˌkweɪsaɪˈməʊdəʊ] für die Romanfigur unüblich geworden. Noch eine andere Aussprache empfiehlt sich für den Namen des italienischen Lyrikers Salvatore Quasimodo. Man spricht ihn [salvaˈtoːre ku̯aˈziːmodo]. Der Mann war, am Rande bemerkt, weder bucklig noch hässlich. Verwechslungsgefahr besteht auch mit der evangelischen Benennung des ersten Sonntags nach Ostern, den man auch als »Weißen Sonntag« bezeichnet: Der Begriff Quasimodogeniti wird im Deutschen [kvaziˌmodoˈɡeːniti] gesprochen; er geht auf den lateinischen Halbsatz »quasi modo geniti« (dt. »wie die gerade Geborenen«) aus dem Neuen Testament zurück. In Hugos Roman wird der Säugling Quasimodo an diesem Tag von Erzdiakon Frollo auf den Stufen von Notre-Dame in Paris gefunden.



Donnerstag, 9. August 2007
Deutsches und rheinisches R [Fester Link zum Beitrag]
Das deutsche Phonem /r/ besitzt zwei stellungsbedingte Varianten: [ʁ] (oder andere freie Varianten), als »konsonantisches r« bezeichnet, und [ɐ̯], »vokalisches r« genannt. Letzteres steht in der Standardvarietät praktisch immer nach den langen Vokalen außer [aː]; Beispiele hierfür sind Teer [teːɐ̯], Tür [tyːɐ̯] oder Tor [toːɐ̯]. Steht /r/ am Wortende oder vor Konsonant nach den kurzen Vokalen bzw. [aː], muss nicht vokalisiert werden, wird es aber meist; so koexistieren die Aussprachen Sport [ʃpɔɐ̯t] bzw. [ʃpɔʁt], hart [haɐ̯t] bzw. [haʁt] und wirr [vɪɐ̯] bzw. [vɪʁ]. In allen anderen Fällen wird im Hochdeutschen [ʁ] gesprochen; der Laut stellt insofern eine Besonderheit dar, als er, wie die Nasale des Deutschen, im Auslaut nicht voll stimmlos wird, also nicht unter das »Auslautverhärtung« genannte Phänomen fällt, das vor allem Frikative und Plosive betrifft. Eine Abweichung hiervon ist zum Beispiel in einigen rheinischen Dialekten, so im Öcher Platt, also der Aachener Mundart, zu hören: Hier findet oft keine Vokalisierung von /r/ statt, wo dies nicht obligatorisch ist. Anstelle von [ʁ], das man erwarten würde, kann das stimmlose Gegenstück [χ] gesprochen werden. Sport lautet also [ʃpɔχt], wirr demnach [vɪχ]. Zu Sprechern dieser Mundart, die in Funk und Fernsehen bisweilen zu hören sind, zählen die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Manfred Schell. Letzterer ließ jüngst wissen, ein Streikverbot sei für ihn nicht [ˈfoːɐ̯ʃtɛlˌbaːχ].



Donnerstag, 9. August 2007
Im Französischen wird der Name der Hauptstadt Südkoreas [seˈul] gesprochen. Dieser Lautung muss man wohl die Syllabifikation Se-oul zugrunde legen, die sich allerdings nicht mit der koreanischen deckt: Dort besteht das Wort aus zwei Hangeul-Zeichen, nämlich 서울 (Seo-ul). Die südkoreanische Aussprache ist [ˈsʌul]. Die Vokale der beiden Silben bilden keinen Diphthong im phonologischen Sinne, wohl aber im auditorischen. Der Vokal [ʌ] ist die kurze Variante eines Phonems, das wahlweise /ʌ/ oder /ə/ bezeichnet wird, da es zwei recht unterschiedliche Laute zusammenfasst: Ist der Laut kurz, spricht man ihn, wie hier angegeben, [ʌ]; ist er lang, lautet er [əː]. Die englische – und die damit weitgehend identische deutsche – Aussprache, bei der dieser Eigenname in der Regel homophon mit soul (Seele) ist, trägt der koreanischen Phonetik angemessen Rechnung. Mit dem Phoneminventar des Französischen wäre dies gelungen, wenn Seoul wie saule (Weide), also [soːl], lautete.



Mittwoch, 8. August 2007
Der Name der nord-ukrainischen Stadt wurde 1986 bekannt, als sich in einem nach ihr benannten Kernkraftwerk, das eigentlich näher an der Stadt Prypjat liegt, ein Reaktorunfall ereignete. Auf Ukrainisch schreibt sich die Stadt Чорнобиль (Transliteration: Čornobyl’). Allerdings gehörte die Ukraine zur Sowjetunion, als der GAU passierte; das Ukrainische war zu dieser Zeit nicht verboten, wurde jedoch bis 1991 vom Russischen weitgehend verdrängt oder, wo das nicht, erheblich beeinflusst. Daher bürgerte sich in den westlichen Medien unmittelbar nach der Katastrophe die russische Transkription des Ortnamens ein, die auf die kyrillische Schreibweise Чернобыль (Transliteration: Černobyl’) zurückgeht. Die russische Aussprache des Namens ist [tʲɕɪrˈno̞bɨlʲ], die ukrainische [tʲɕorˈno̞bɪlʲ].



Dienstag, 7. August 2007
Es gibt Diakritika im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA), von dem ich hier laufend Gebrauch mache, die man auch in Publikationen zur Phonetik von SAE-Sprachen (Standard Average European) sehr häufig sieht: Dazu zählt beispielsweise das Zeichen für unsilbische Laute, das in dt. Linie [ˈliːni̯ə] verwendet wird. Das Beispiel im Handbook of the IPA in seiner aktuellen Auflage (1999) für dieses Diakritikum ist übrigens falsch: Bei der Transkription für span. poeta (Dichter), die dort als *[po̯ˈeta] angegeben ist, hätte die erste Silbe gar keinen Silbengipfel, da der einzige verfügbare Vokal als unsilbisch gekennzeichnet ist. Gemeint ist offensichtlich, dass die Zitierform [poˈeta] bei zügiger Aussprache zu [ˈpo̯eta] werden kann. Weitere Diakritika, die oft verwendet werden, sind die für Nasalisierung – wie in frz. pain (Brot) [pɛ̃] –, für Palatalisierung – wie in russ. мать (Mutter) [matʲ] – oder für Syllabizität – wie in dt. Garten [ˈɡaːɐ̯tn̩]. Ein Diakritikum, das ich bisher sehr selten gesehen habe, ist dasjenige, das für zusätzliche Stimmhaftigkeit steht: Wird es hervorgeholt, vervollständigt es meist lediglich eine Erläuterung der Zeichen der IPA, um anschließend wieder in der Schublade zu verschwinden. In der Regel wird das Diakritikum anhand von Wortgruppen, in denen sich Assimilationsprozesse vollziehen, erläutert. Die klassischen Beispiele sind engl. back of (Rückseite von) [bæk̬ əv] oder frz. chaque jour (jeden Tag) [ʃak̬ ʒuʀ]. Aus dem Deutschen könnte man das deutlich umgangssprachliche Beispiel auf ihn [aʊ̯f̬ iːn] hinzufügen. Dass das Zeichen nach meinem Eindruck in der Fachliteratur praktisch inexistent ist, könnte damit zu tun haben, dass es aufgrund seiner Ungebräuchlichkeit ohnehin nicht unkommentiert stehen kann und deshalb leicht durch das jeweilige Zeichen für den stimmhaften Laut nebst zwei, drei Sätzen für dessen Auftreten in unerwarteter Position ersetzt werden kann.



Sonntag, 5. August 2007
Seit Januar 2002 bezahlen Menschen in weit mehr als einem Dutzend Staaten Europas mit einer Währung: dem Euro. Die Forderung der Europäischen Kommission, dass dessen offizielle Bezeichnung in allen Ländern, in denen er eingeführt wird, Euro geschrieben werden muss, sofern die Landessprache nicht in einer anderen als der lateinischen Schrift wiedergegeben wird, hat zur Folge, dass dasselbe Wort zahlreichen Lautsystemen unterworfen wird, die auf sehr unterschiedliche Weise damit umgehen. Einen großen Block ähnlicher Lautungen bilden die Sprachen, in denen die Aussprache – mehr oder weniger exakt – [ˈɛu̯ro] lautet. Dazu zählen das Finnische, das Italienische, das Maltesische, das Polnische, das Rumänische, das Spanische, das Tschechische und das Ungarische. Ich unterschlage einige Besonderheiten wie die präzisen Vokalqualitäten, die sich nicht massiv unterscheiden, und die Artikulation der r-Laute, die vor allem als [r] und [ɾ] erscheinen. Erwähnt seien zwei Abweichungen in der Schreibung, nämlich im Maltesischen, wo der Buchstabe w den zweiten Teil des Diphthongs bildet, und im Ungarischen, wo das Wort wegen orthografischer und lautlicher Konventionen auf ó – und damit einen Langvokal – endet. Eine mögliche phonetische Divergenz zeigt sich im Portugiesischen, dessen Sprecher zwischen [ɔ] und dem erwartbaren [u], das auch im Katalanischen zu hören ist, als Auslaut schwanken. Eine zweite, kleinere Fraktion gestaltet sich in Schreibung und Lautung des Währungsnamens weniger homogen: Hier taucht als zweiter Laut das [v] auf. Zu dieser Gruppe gehören erstens zwei nicht-lateinische Schriften, zweitens schwankt die Betonung: Im Bulgarischen sowie Serbischen mit [ˈɛvro] – Евро geschrieben – und im Schwedischen mit [ˈɛvɹu] liegt sie auf der ersten Silbe, im Griechischen mit [e̞vˈɾo̞] (Schreibweise: Ευρώ) und Türkischen mit [avˈɾo̞] (Schreibweise: Avro) auf der zweiten und letzten Silbe. An dieser Stelle bereits lassen sich schwerlich weitere Aussprachevarianten zusammenfassen: Allenfalls das Französische – dort heißt es [øˈʀo] – und das Niederländische – dort spricht man vom [ˈøːɾöʊ̯] (danke, Steffie!) – scheinen trotz voneinander abweichender Betonung verwandt. Bleiben einige Sonderfälle wie das Deutsche, das den Digraph eu wie üblich interpretiert, sodass die Währung [ˈɔɪ̯ʁo] lautet, und das Englische, dessen Sprecher selten mit dem Euro bezahlen und diesen [ˈjʊəɹəʊ] sprechen. Für das Isländische hat sich zur Schreibung Evra die Aussprache [ˈɛvra] eingebürgert. Im Irischen koexistieren nach meinen Recherchen die Graphien Euro, über dessen Lautung ich nicht spekulieren möchte, und Eoró; die regelmäßige Aussprache der letztgenannten, selteneren Form ist [ˈoːɾoː]. Als Abschluss bietet sich wieder der Blick in den Osten an, so nach Russland, wo die Schreibweise dieselbe wie im Bulgarischen und Serbischen ist, die Aussprache jedoch [ˈjɛ̞vrə]. In China versucht man nicht, den Namen des Euro klanglich nachzuahmen, sondern setzt ihn aus den Zeichen für »Europa« und »Währung« zusammen: 欧元 (Pinyin: Ōu Yuán) lautet [˥˥ ou̯ ˧˥ yɛ̯n] auf Hochchinesisch. Im Japanischen hält man sich an die englische Lautung, schreibt ユーロ und spricht [jɯ̞̈ɯ̞̈ɺ̠o]. – Übrigens: Wie lautet der Euro in Dänemark und im Baltikum?



Samstag, 4. August 2007
Die Aussprache des Namens der englischen Grafschaft, in der die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist, in den deutschen Nachrichten zeigt, wie sehr unsere Vorstellungen von englischer Phonetik durch das Amerikanische geprägt sind. Die Buchstabenfolge ur(r) steht in der amerikanischen Aussprache oft für [ɝ]. Einige Wörter mit diesem Laut werden im britischen Englisch mit dessen nicht-rhotischem Äquivalent [ɜ] gesprochen, wie blur, fur, occur oder purr. In anderen Fällen korrespondiert das amerikanische [ɝ] jedoch mit dem britischen [ʌɹ]. Beispiele hierfür sind burrow, flurry, hurry, (s)curry (auffallend viele Begriffe auf y, wie man sieht) – und eben Surrey. Die britische Aussprache dieses Namens ist also [ˈsʌɹi]. Auch die Lautung des Ortes, der in der Nähe des von der Seuche betroffenen Hofes liegt, birgt eine kleine Besonderheit: Guildford lautet korrekt [ˈɡɪlfəd]; das d bleibt stumm, anders als beispielsweise im Namen der Figur Guildenstern aus Shakespeares Hamlet. Die Maul- und Klauenseuche, auch wenn das für deutsche Fleischesser hoffentlich ohne Bedeutung bleiben wird, heißt übrigens auf Englisch foot-and-mouth disease, sprich: [ˌfʊt ən ˈmaʊθ dɪˌziːz] – oder mit ein wenig Assimilation, wie eben bei Sky News gehört, [ˌfʊpm̩ˈmɛˑɤ̯̈z̪ dɪˌziːz̥].



Donnerstag, 2. August 2007
Aus aktuellem Anlass: Die achtspurige Autobahnbrücke, die gestern in den USA eingestürzt ist, führte über den Mississippi, dessen Aussprache im Englischen [ˌmɪsəˈsɪpi] ist. Sie verband zwei auf verschiedenen Seiten des Flusses gelegene Viertel der Stadt Minneapolis, die man [ˌmɪniˈæpəlɪs] ausspricht. In unmittelbarer Nähe liegt das etwas kleinere Saint Paul, sprich: [seɪnt ˈpɑːl], das zusammen mit Minneapolis als die sogenannten twin cities bezeichnet wird. Beide Städte liegen im US-Bundesstaat Minnesota, der – mit dem typisch nordamerikanischen Merkmal des alveolar tapping – [ˌmɪnəˈsoʊɾə] ausgesprochen wird.



Mittwoch, 1. August 2007
Die Popularität des Artikels über Bands mit Heavy-Metal-Umlaut im Namen (siehe 8. Juli) und ein Thread aus einem Gothic-Forum haben mich zu einer Fortsetzung gereizt. Es soll dieses Mal nicht speziell um die Umlautschreibweise, sondern um Bandnamen im Allgemeinen gehen. Der Diskussionsfaden, den ich gefunden habe, zeigt, dass man von Nicht-Linguisten in phonetischer Hinsicht nicht zu viel erwarten sollte. Die meisten Menschen sprechen neben ihrer Muttersprache maximal eine Fremdsprache, meistens Englisch (falls das nicht gerade ihre Muttersprache ist), und selbst das nur leidlich. Kommt es zu Bandnamen wie L’Âme Immortelle, wird es also schwierig: In besagtem Forum wurde spekuliert, ob das erste Wort nicht ausgesprochen werden müsse, als habe es einen Akutakzent auf dem letzten Buchstaben. Nein. Der Bandname bedeutet »unsterbliche Seele« – an Originalität den meisten Namen in dieser Musikrichtung in nichts nachstehend – und spricht sich [ˌlɑm imɔʀˈtɛl] – für die meisten heutigen Französischsprecher mit [a] für [ɑ]. Doch auch bei englischen Begriffen wird über die Aussprache mehr spekuliert als gewusst: Dabei könnte man beispielsweise den Bandnamen Evanescence als Vokabel in vielen Online-Wörterbüchern nachschlagen sowie dadurch herausfinden, dass das Wort mit »Schwund« zu übersetzen ist und sich [ˌɛvəˈnɛsənts], alternativer Anlaut: [ˌiːvə-], spricht. Das Gleiche gilt für Hypocrisy – mir war bis heute Abend übrigens unbekannt, dass es eine Band dieses Namens gibt – mit der Bedeutung »Heuchelei« und der Aussprache [hɪˈpɒkɹəsi]. Als es in dem Forum schließlich um spanische Bands ging, konnte ich mich eines Schmunzelns nicht erwehren: Ob man die Buchstabenfolge oe in Héroes del Silencio wohl [ø] ausspreche, wurde gefragt. Nein, wirklich nicht. Richtig ist [ˈeɾoes ðel siˈlenθjo]. Als für Mitteleuropäer komplizierteren Fall akzeptieren kann man den Namen der norwegischen Band Dimmu Borgir, die sich nach einem Lavafeld in Island benannt hat. Die korrekte isländische Aussprache ist [ˈtɪmːʏˌpɔrcɪr̥]. Das Isländische hat (siehe 19. Juli) keine stimmhaften Plosive. – Ich könnte noch wochenlang jeden Abend zu diesem Thema schreiben, ohne dass mir die Bandnamen ausgehen. Muss aber nicht sein.



Dienstag, 31. Juli 2007
Nach Theaterregisseuren, Literaten und Politikern soll auch die Popmusik zu ihrem Recht kommen, zumal gerade dort die Gefahr falscher Aussprachen hoch ist, weil die Akteure schneller wechseln und oft ungewöhnlichere Pseudonyme haben als auf anderen Gebieten: So wirbt Thomas Hübner als Clueso um die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums. Benannt hat er sich nach Inspektor Jacques Clouseau aus Blake Edwards’ The Pink Panther, den man [ˌʒak kluˈzo] spricht. Vielleicht ist Clueso diese Aussprache unbekannt, vielleicht gefällt sie ihm nicht: Sein Künstlername lautet jedenfalls [klyˈzoː]. Erheblich erfolgreicher, also auch umso häufiger falsch ausgesprochen zu hören, sind Sängerinnen wie Christina Aguilera, Beyoncé, Rihanna und Ciara. Beginnen wir von hinten: Ciara kann sowohl ein weiblicher irischer Vorname sein, der sich [ˈciəɾˠə] spricht, als auch der Vorname besagter Interpretin mit der Lautung [siˈɛɹə]. Von Rihannas Namen kursieren auf diversen dubiosen Seiten ebenso diverse wie dubiose Angaben über die korrekte Lautung. In einem Video, das ich gefunden habe, ist zu hören, wie die Sängerin ihren Namen ausspricht, und zwar [ɹiˈænə]. Auch wenn der Akutakzent anderes glauben machen möchte, reiht sich Beyoncé mit einem Namen ein, der auf der zweiten – und nicht der letzten – Silbe betont wird, also [biˈjɑːnseɪ̯]. Auch im Fall von Christina Aguilera, deren Nachname regelmäßig der Kreativität des jeweiligen Sprechers anheim fällt, besteht phonetischer Aufklärungsbedarf, vornehmlich im deutschsprachigen Raum: Die Aussprache, die von der Sängerin selbst verwendet wird, ist [kɹɪsˈtiːnə æɡɪˈlɛɹə]. Wobei: Die exakte Transkription könnte genauso gut [ɛɡɪˈlæɹə], [ɛɡɪˈlɛɹə] oder noch anders aussehen. Kann man das bei einer Interpretin wissen, die im selben Interview betont, sie sei [ˈhɛpi], ihr “new [ˈrækɚd]” fertiggestellt zu haben?



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