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DAS PHONETIK-BLOG [foˈneːtɪkˌblɔk]
Montag, 10. März 2008
Wörter-[buːx] I [Fester Link zum Beitrag]
Neue Serie: Nicht zu jedem Begriff gibt es die große Geschichte, das übergeordnete Phänomen. Deshalb werden ab sofort in loser Folge einzelne Namen und Wörter, die im deutschen Sprachraum häufig falsch ausgesprochen werden, in Lautschrift präsentiert.
Mittwoch, 27. Februar 2008
Phonetische Integration [Fester Link zum Beitrag]
Nicht nur in der Soziologie ist Integration ein viel diskutiertes Thema. Jeden Tag muss jeder von uns entscheiden, wie er mit Lauten umgeht, die nicht zum Phoneminventar seiner Muttersprache gehören. Dass sich Deutsche an Begriffen aus dem Isländischen oder dem Dyirbal versuchen müssen, kommt selten vor. Interessantere Beobachtungen sind anhand gängiger europäischer Fremdsprachen zu machen. Das liegt auch daran, dass es Personen gibt, die mit der Herkunftssprache der Begriffe vertraut sind, sie vielleicht sogar gut sprechen. Ändert dies die intuitive Herangehensweise an fremde Wörter? Was ich beobachtet habe, erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Dennoch: Freilich ist die Vorstellung eine schöne, dass das Lernen einer Fremdsprache nicht nur die Sensibilität für die phonetischen Eigenarten der gelernten Sprache erhöht, sondern auch dafür, dass weitere Sprachen bisweilen anders gestrickt sind als die eigene und man versuchen sollte, dem gerecht zu werden. Allzu häufig ist das nicht mehr als graue Theorie. Ein Bekannter von mir, der einige Jahre in England gelebt hat, spricht fließend Englisch sowie leidlich ein, zwei weitere Sprachen. Die gute Beherrschung des Englischen hat bei ihm leider kein Verständnis dafür geweckt, dass Laute aus anderen Sprachen nicht nur ersetzt, sondern auch übernommen werden können. Sein Schulfranzösisch ist in Kinderschuhen kleinster Größe stecken geblieben; man möchte woanders sein, wenn er sich französische Namen vornimmt. Ein Einzelfall? Nein, ich könnte ein weiteres Blog für Beispiele einrichten, in denen Fremdsprachenkenntnis nur zu inselartiger Erweiterung des linguistischen Horizonts führt. Man muss das nüchtern konstatieren.
De l’abstrait au concret: Englische Fremdwörter fordern die Auslautverhärtung im Deutschen heraus. Bei einem Begriff wie dem Adjektiv ›live‹, das im Englischen [laɪv] lautet, steht der Integration nichts im Wege: Es gibt kein deutsches Wort, das bereits [laɪf] lautet; mit dem Nachnamen bzw. männlichen Vornamen ›Leif‹ ist die Verwechslungsgefahr gering. Anders verhält es sich beim ›Blog‹: Der Begriff, im britischen Englisch [blɒɡ] gesprochen, droht mit ›Block‹ [blɔk] homophon zu werden, nachdem die Auslautverhärtung gegriffen hat. Die Titelzeile dieses Blogs zeigt: Ich sehe das Umgehen der Auslautverhärtung nicht als Ausweg aus dem Dilemma. Auch wenn in der Praxis der Vokal bisweilen halblang gesprochen oder ein Rest der Stimmhaftigkeit des englischen Plosivs bewahrt werden mag: Die Phonetik des Wortes ›Blog‹ kann nur als [blɔk] lexikalisiert werden. Die Auslautverhärtung greift entweder immer – oder nie. Ein ›Manchmal‹ einzuführen, eröffnete eine Unzahl von Schlachtfeldern, auf denen ausgefochten werden müsste, ob bei diesem oder jenem Wort die Auslautverhärtung anzuwenden sei oder nicht. Unsinn. Die deutsche Sprache funktioniert bestens mit Myriaden von Homophonen. Auf ein paar Dutzend kommt es nicht an. Etwas kniffliger wird es bei den englischen Diphthongen. Vor nicht allzu langer Zeit, hörte ich in einem ›tagesschau‹-Beitrag das Wort ›Laserwellen‹ – gesprochen als [ˈleːzɐvɛln̩]. Falsch oder richtig? Der DUDEN sagt: richtig. Auch wenn es sich für mich barbarisch anhört, sehe ich darin eine sinnvolle Entscheidung, [ˈleːzɐ] zur Hauptform von ›Laser‹ zu erklären. [eɪ] ist kein Phonem des Deutschen, ähnlich wie [əʊ] bzw. [oʊ] – allenfalls eine fakultative Realisierung von [eː] und [oː]. Hier steht zwar kein Prinzip wie die Auslautverhärtung im Weg, mit dessen Hilfe die Phonetik in der Mehrzahl der Fälle korrekt abgeleitet werden kann, für die man schwerlich eine ähnlich gute, andere Erklärung findet. Jedoch lässt sich damit argumentieren, dass erstens die monophthongische Aussprache weit verbreitet ist, zweitens Diphthonge wie [eɪ] ohnehin nur in der lexikalischen Peripherie des Deutschen vorkommen. Eventuell wird man in dreißig Jahren anders urteilen aufgrund einer Vielzahl von englischen Wörtern, in denen die meisten Deutschen diese Diphthonge sprechen; womöglich stellt sich die Entscheidung als richtig heraus, weil der Wortimport aus dem Englischen zugunsten zum Beispiel des Chinesischen weitgehend versiegt und die diphthongische Lautung angesichts einer schwindenden Anzahl von Englischsprechern an Boden verliert. Im Moment rechtfertigt die Quantität von Begriffen, denen man ihre englische Herkunft anmerkt, nicht, von einem anderen Phonembestand des Deutschen auszugehen – wenngleich mancher ›Sprachpfleger‹ und ähnliches Gelump die deutsche Sprache von Anglizismen überschwemmt, ja bedroht sieht. Man kann zusammenfassen: Phonetische Integration ist im gleichen Maße nötig, wie sie vermieden werden sollte. Die Entwicklung vom englischen ›cakes‹ [keɪks] zum deutschen ›Keks‹ [keːks] oder vom französischen ›balcon‹ [balˈkɔ̃] zum deutschen ›Balkon‹ [balˈkoːn] zeigt, dass diejenigen, die sich an das heimische Phoneminventar halten, die Grundlage dafür legen, dass aus Begriffen mit ausländischem Beiklang allgemein akzeptierte Lehnwörter werden. Diese Sprecher schaden weder der Quell- noch der Zielsprache: Der einen verschaffen sie – zumindest begriffeweise – Verbreitung außerhalb ihres angestammten geografischen Raumes, der anderen verhelfen sie zu einem wachsenden Wortschatz. Gleichzeitig laufen dieselben Personen Gefahr, ausländische Freunde oder Kollegen vor den Kopf zu stoßen, wenn sie sich selbst einem Versuch verweigern oder daran scheitern, die ursprüngliche Aussprache deren Namen zu produzieren. Für mich heißt das in der Praxis: ›Laser‹ ist [ˈleɪzɐ], ›Balkon‹ ist [balˈkɔ̃], um für andere phonetische Herausforderungen fit zu bleiben, auch wenn Wörterbuchredaktionen andere Entscheidungen treffen müssen. Samstag, 23. Februar 2008
Kontrastiver Fokus [Fester Link zum Beitrag]
In John Wells’ phonetic blog ist unter dem Titel »Des accents enfantins« (19. Februar 2008; leider nicht einzeln verlinkbar) eine Beobachtung über die Intonation eines englischen Satzes zu lesen. Ich komme hier darauf zurück, weil das Beispiel Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Englischen verdeutlicht. Im Englischen kann es heißen:
A: I want to sit on the \window side. B: But you’re \on the window side! John Wells sieht darin einen ›counterpresupposition focus‹; ich kenne dafür keinen deutschen Begriff. Gemeint ist Folgendes: Impliziert die Frage oder Behauptung eines Sprechers, dass sie auf falschen Informationen basiert, geht man von ›counterpresupposition focus‹ aus, wenn ein anderer Sprecher diese Informationen richtigzustellen versucht. Beim sogenannten ›corrective focus‹ hingegen wird einer expliziten Aussage widersprochen – und nicht nur einer vermuteten falschen Grundlage der Äußerung. Korrektiver Fokus funktioniert meines Wissens im Deutschen und Englischen weitgehend analog zueinander (auch wenn’s politisch wird): C: The capital of Kosovo is \Belgrade. D: \No, the capital of Kosovo is Priš\tina. Einschub: Die englische Aussprache von Priština – [prɪˈstiːnə] oder, besser, [prɪˈʃtiːnə] – lehnt sich an die Betonung der albanischen Schreibweise ›Prishtinë‹ [pɾiʃˈtinə] an. Im Deutschen hingegen sagt man [ˈpʁɪʃtiːna] – ähnlich der serbischen Lautung [ˈpriːʃtina]. E: Die Hauptstadt des Kosovo ist \Belgrad. F: \Nein, die Hauptstadt des Kosovo ist \Priština. Zurück zum Fensterplatz: Wells schreibt, dass er selbst das Verb als Vollform gesprochen und mit einer fallenden Betonung versehen hätte. Ungewöhnlich oder selten scheint die Prosodie von B zu sein, nicht jedoch falsch. Es ist also im Englischen möglich, bei counterpresupposition focus nicht die fokussierte Konstituente – hier das Verb ›are‹ – intonatorisch prominent zu machen, sondern eine Präposition im Hintergrund. Im Deutschen ließe sich dabei die Bedeutung nicht erhalten; dafür muss die Intonation die folgende sein: G: Ich möchte auf der \Fensterseite sitzen. H: Aber du \sitzt doch auf der Fensterseite! Läge die Betonung auf der Präposition ›auf‹, würde im Deutschen ein Bedeutungskontrast im Zusammenhang mit diesem Satzteil verstanden. Man vergleiche: I: Welche anderen Frauen waren in deiner Wohnung? J1: Laura \war nicht in meiner Wohnung. J2: Laura war nicht \in meiner Wohnung. J3: Laura war nicht in meiner \Wohnung. Eine gewisse Laura, von der I vermutet, dass sie in Js Wohnung war, wurde vorerwähnt. Nun möchte I wissen, ob weitere Frauen dort waren; J1 beantwortet die Frage nicht, sondern korrigiert die falsche Annahme. Eine Betonung auf jedem anderen Element als ›war‹ würde J als Nicht-Muttersprachler des Deutschen ausweisen oder die Aussage verändern. Die Bedeutung von J2 lässt sich paraphrasieren als ›Sie war nicht in meiner Wohnung, aber davor‹, die von J3 als ›Sie war nicht in meiner Wohnung, aber in meinem Auto‹. Die Abgrenzung zwischen den Bedeutungen J1 und J2, die im Englischen beide durch das Intonationsmuster von J2 ausgedrückt werden können, muss pragmatisch erfolgen. Ich könnte mir vorstellen, dass es Witze gibt, die damit spielen. Does anyone know any? Donnerstag, 17. Januar 2008
Nice try [Fester Link zum Beitrag]
Ich habe vor kurzem das »Handbuch der populären Musik« in die Finger bekommen. Das Nachschlagewerk ist jüngst bei Schott Music erschienen; geschrieben hat es Peter Wicke mit Wieland und Kai-Erik Ziegenrücker. Schon nach wenigen Seiten, die ich mit Interesse durchgeblättert hatte, bahnte sich der Linguist in mir seinen Weg. Positiv fällt nämlich auf, dass sich die Autoren nicht zu fein waren, zahlreiche Lemmata mit Lautschriftangaben in IPA zu versehen. Schließlich will ein Lexikon nicht nur Altbekanntes wiederkäuen, sondern Begriffe liefern, darunter solche, deren Aussprache unbekannt oder -gewöhnlich ist. Damit sie der Leser auch im Mündlichen gebrauchen kann, muss man ihm helfen. Bei dieser noblen Intention ist besagtes Handbuch leider stecken geblieben. Viele der IPA-Transkriptionen sind nämlich falsch – oder, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, mindestens unpräzise.
Ein paar Beispiele: In mindestens einem Fall wurde aus dem Punk [pʌŋk] der *[pʌɳk]. Dem kundigen Betrachter ist der Fehler sofort ersichtlich, doch der braucht keine Lautschrift für derart einfache Wörter. Dies ist nicht das einzige Mal, dass es drunter und drüber geht, wenn Symbole einander recht ähnlich sehen. Auch die Zeichen [i] und [ɪ] für das Englische werden nicht konsequent eingesetzt. Dadurch wird aus [kɪŋ], dem König von King Records, der *[kiŋ]. Das ist nicht folgenlos für die Aussprache, würde ich allerdings in Einzelfällen wie diesem als eine lässliche Sünde beiseite schieben. Die korrekte Variante kann selbst von Laien leicht erschlossen werden. Weniger gilt das bei groben Fehlern wie der Angabe *[rɑɡɑˈmʌfɪn] für Raggamuffin, das ich [ˈɹæɡəmʌfɪn] transkribieren würde. Doch auch bei deutschen Wörtern kann man sich auf die Lautschrift nicht verlassen: Aus den Kastagnetten, richtig: [kastanˈjɛtn̩], wurden *[kastaŋˈjətn]. Abgesehen davon, dass der velare Laut fehlt, der eine Assimilation von [n] zu [ŋ] rechtfertigt, ist [ə] im Deutschen kein betonbarer Vokal. Die Lautschrift gleich hinter der Sprachangabe »span.« erweckt zudem den falschen Eindruck, »Kastagnetten« sei ein Begriff direkt von der iberischen Halbinsel; dabei nennt man das Rhythmusinstrument in Spanien castañuelas [kastaˈɲwelas]. Bei dem portugiesischen Begriff rajão für eine bestimmte Gitarrentechnik wurde nicht nur die Tilde vergessen. Auch der Hinweis auf die Aussprache ist nicht korrekt: Statt *[raˈjaɔ] muss es [ʁɐˈʒɐ̃u] heißen. Ein weiteres Problem ist, dass in Komposita, deren Bestandteile unter anderem die englische Graphie unverbunden lässt, nur die Betonung der Einzelwörter transkribiert wird. Mal passt es, wie bei [ˈmjuːzɪk hɔːl] für music hall, weil die einzige angegebene Betonung mit der Hauptbetonung des zusammengesetzten Begriffs zusammenfällt. Oft geht es schief, wie bei [njuː weɪv] für New Wave, wenn keines der Wörter für sich eine Betonungsmarkierung benötigt, sodass der Leser ahnungslos bleibt, oder – in anderen Fällen – das einzige Wort mit Betonungszeichen im Kontext des Kompositums nur eine Sekundärbetonung trüge. Ohnehin leidet die Transkription englischer Begriffe unter einem Defizit an Klarheit. Man hat vermieden, sich für die britische oder für die amerikanische Standardlautung zu entscheiden. Das führt dazu, dass jedes in rhotischen Dialekten gesprochene [r] in Klammern vermerkt wird. Doch die scheinbare Zweigleisigkeit endet da, wo sie begonnen hat. Alle anderen Unterschiede zwischen den Varietäten werden zugunsten der britischen Aussprache nivelliert: Dancing ist [ˈdɑːnsɪŋ], notes ist [nəʊts], hop ist [hɒp] – auch in Fällen transatlantischer Provenienz. Man hätte es besser machen können, vielleicht so: Jeder Terminus oder Name, der geografisch zuzuordnen ist, wird in der Lautung seines Herkunftslandes angegeben. Marginale Unterschiede zu GenAm oder RP, wie im Kanadischen oder Australischen, könnte man getrost übersehen. Alle Begriffe, von denen man nicht sagen kann, sie stammten aus einer bestimmten Region, werden in britischem Englisch angegeben. Man könnte genauso gut amerikanisches Englisch wählen, aber RP scheint mir für ein deutsches Nachschlagewerk näher zu liegen. So oder so: Auf die Festlegung sollte im Lexikon hingewiesen werden. Für alle anderen Fehler – um sie zu beschreiben und zu beheben – bedürfte es vor allem Zeit. Zunächst müsste man nämlich herauszufinden, wie sie entstanden sind: Mangelte es bei der IPA-Redaktion für dieses Buch am phonetischen Verständnis oder »nur« an der Sorgfalt im Umgang mit den Zeichen? Ich weiß es leider nicht, bin mir aber sicher, dass es nicht allzu beckmesserisch ist, auf diese Fehler hinzuweisen. Wenn Transkriptionen nicht präzise sind, verkommen sie zur nutzlosen wie verzichtbaren Dekoration – nach dem Motto: »Mach das mal rein, Kalle, damit’s wie ein richtiges Lexikon aussieht.« Wenn der Aufwand betrieben würde, die notwendigen Verbesserungen, von denen ich einige hier angedeutet habe, in Angriff zu nehmen, könnte ein in jeder Hinsicht richtig gutes Lexikon daraus werden. Montag, 24. Dezember 2007
Schengen & andere wichtige Städte [Fester Link zum Beitrag]
Wo liegt eigentlich Schengen? Rund 1500 Menschen könnten auf diese Frage mit »Hier!« antworten. Schengen ist ein luxemburgisches Örtchen im Dreiländereck mit Frankreich und Deutschland; jenseits der Grenze liegen das lothringische Apach – wahrscheinlich [aˈpaʃ] – und das saarländische Perl. Als kleine Gemeinde mag Schengen weniger bedeutsam sein. Durch das Abkommen, das nach dem Ort benannt wurde, dürfte es jedoch für Jahrzehnte in Erinnerung bleiben. Vor wenigen Tagen traten weitere neun Staaten dem sogenannten Schengen-Raum bei, in dem Reisen ohne Passkontrolle an den Grenzen möglich ist. 24 Länder sind nun Vollanwenderstaaten des Abkommens – und die Folgenden sind ihre Hauptstädte, die nun von rund 400 Millionen EU-Bürgern, ohne einen Ausweis vorzeigen zu müssen, besucht werden können. Am äußersten westlichen Rand Europas eröffnet Portugal den Reigen mit Lissabon, in der Landessprache Lisboa [liʒˈβoɐ]. Ebenfalls auf der iberischen Halbinsel, in Spanien, wohnen die Bewohner von Madrid [maˈðɾið], die madrileños [maðɾiˈleɲos]. Am anderen Ende der Reisefreiheit gruppieren sich drei Länder, deren Hauptstädte man nicht oft genug erwähnen kann, weil sie gerne durcheinandergeworfen werden: Nach Estland gehört die kleinste der drei Städte, nämlich Tallinn [ˈtɑlʲːinː], in Lettland liegt Rīga [ˈriːɡa] (nur echt mit Makron!), litauische Hauptstadtbewohner residieren in Vilnius [ˈʋilɲʊs]. Dann geht es für Europakenner wie am Schnürchen Richtung Süden: Polen? Warschau – oder besser: Warszawa [varˈʃava]. Im Vorbeiflug sei angemerkt, dass immer wieder das IPA-Zeichen [ʂ] für den Digraphen sz zu lesen ist. Präzise ist weder dies noch das von mir verwendete Symbol: Es handelt sich um einen laminalen postalveolaren Frikativ [ʃ̻]. Und weiter: Tschechien? Prag, das heißt: Praha [ˈpraɦa]. Österreich? Wien [viːn]. Italien? Roma [ˈroːma], naturalmente. Freunde kühlerer Breiten könnte es nach Norwegen ziehen, etwa in die Hauptstadt Oslo [ˈuʂlu], nach Stockholm [ˈstɔkhɔlm] in Schweden oder ins finnische Helsinki [ˈhɛlsiŋki]. Die deutsche Hauptstadt Berlin [bɛʁˈliːn] – zugegeben! – ist dagegen langweilig. Ebenfalls schwer konkurrieren kann es mit Paris [paˈʀi] in Frankreich und dem griechischen Αθήνα [aˈθina], also Athen. Budapest [ˈbudɒpɛʃt] in Ungarn, Ljubljana [lʲuˈblʲaːna] in Slowenien und Bratislava [ˈbratʲɪsɫava] in der Slowakei muss der geneigte Leser selbst ausprobieren. Wen es nach Malta verschlägt, der möge mir bitte mitteilen, ob für die Hauptstadt Valletta die Lautung [vaˈlɛta] korrekt ist. Fehlen noch das isländische Reykjavík [ˈreiːcaviːk] sowie zwei Länder, deren Hauptstädte in verschiedenen Landessprachen unterschiedlich ausgesprochen werden: Für frankophone Belgier heißt es Bruxelles [bʀyˈsɛl], für niederländischsprachige (oder, wie man auf Französisch so schön sagt, néerlandophones) Brussel [ˈbɾʏsəl]. Luxemburg lautet auf Deutsch [ˈlʊksm̩bʊʁk], auf Französisch [lyksɑ̃ˈbuʀ] und – last, not least – bei der Schreibweise Lëtzebuerg auf Luxemburgisch [ˈlɛt͜səbʊəʀç]. Möchte man eine phonetisch eher komplizierte Sprache hören, ist København [køb̥n̩ˈhɑʊ̯ˀn] in Dänemark ein Ziel erster Wahl. Und wer in einem Land gleich zwei Städte mitnehmen will, der bucht Holland: Amsterdam [ˌɑmstəɾˈdɑm] oder Den Haag [ˌdɛnˈhaːχ] oder beides? As you like it. Grenzkontrollen sind für Schengen-Staatler in keinem Fall zu befürchten.
Samstag, 8. Dezember 2007
Overt vs. kovert [Fester Link zum Beitrag]
Diese beiden Begriffe dürften vor allem Deutschen bekannt sein, die sich mit Linguistik beschäftigen. Nicht einmal der Fremdwörter-DUDEN führt eines der beiden Wörter. »Overt« bedeutet, dass etwas an der (phonetischen oder orthografischen) Oberfläche realisiert wird, »kovert« das Gegenteil. So muss in Nullsubjekt-Sprachen (auch: Pro-Drop-Sprachen) wie dem Italienischen oder dem Portugiesischen das Subjekt nicht overt realisiert werden; dadurch sind Sätze wie « Ho comprato un computer » (dt. »
Dienstag, 6. November 2007
Pepys, Borges & Palahniuk [Fester Link zum Beitrag]
Samuel Pepys (* 1633; † 1703), Jorge Luis Borges (* 1899; † 1986) und Chuck Palahniuk (* 1962) haben auf den ersten Blick wenig mehr gemeinsam, als dass sie schriftstellerisch tätig waren oder sind. Noch etwas jedoch eint diese drei Namen, nämlich dass sie meistens falsch ausgesprochen werden. Was Pepys angeht, kann man dafür Verständnis haben: Entweder weiß man, wie der Name lauten muss, oder man rät mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Korrekt ist in seinem Fall [ˈsæmjuəl piːps]. Andere Menschen, die denselben Namen tragen, sprechen ihn jedoch [pɛps] oder einfach [ˈpɛpɪs], wie man es erwarten würde. – Jorge Luis Borges war ein früher postmoderner Autor aus Argentinien. In Deutschland hört man seinen Nachnamen nicht selten als [ˈbɔɐ̯çəs] oder ähnlich. Das ist insofern unverständlich, als die Aussprache im Spanischen – abgesehen von dem alveolaren Tap als R-Laut und dem stimmhaften labio-velaren Approximanten als Teil des Diphthongs, die aber leicht ersetzt werden können – keinerlei Laute enthält, die dem Deutschen grundsätzlich fremd sind. Die richtige Aussprache ist relativ leicht von den Regeln der spanischen Phonetik abzuleiten: [ˈxoɾxe lwis ˈboɾxes]. – Beim Nachnamen Chuck Palahniuks, einem amerikanischen Schriftsteller, steht man hingegen wieder völlig im phonetischen Wald. Dass der Name aus dem Ukrainischen kommt (Kyrillisch: Палагнюк) und dort [pɑlɑɦˈnjuk] lautet, hilft auch nicht weiter. Der Autor spricht sich [t͜ʃʌk ˈpɑːlənɪk] aus, wie man sich auch in einem Video bei YouTube anhören kann.
Freitag, 19. Oktober 2007
Wortlaut [Fester Link zum Beitrag]
Gerade entdecke ich diese Seite (Link), auf der ausgewählte Einträge der öffentlich leider nicht zugänglichen ARD-Aussprachedatenbank in Schrift und Ton vorgestellt werden. Das ist eine sympathische Idee, die vielleicht dazu führt, dass bei einem kleinen Kreis von Personen das Bewusstsein weiter wächst, wie gut es wirkt, sich über die korrekte Aussprache eines Begriffs zu erkundigen und ihn hinfort richtig zu artikulieren. Auf der ARD-Seite erwähnt man zu Recht eine Besonderheit der Aussprachedatenbank (ADB): Anders als zum Beispiel in diesem Blog, in dem es mir vor allem auf korrekte Transkriptionen für die Herkunftssprache eines Wortes ankommt, liegt der Fokus der ADB auf Eindeutschungen, die es Sprechern und Moderatoren ermöglichen sollen, mit dem Phoneminventar des Deutschen eine Lautung zu produzieren, die dem jeweiligen Original nahekommt. Das erklärt, warum manche der IPA-Angaben (immerhin IPA!) wenig mit einer korrekten Transkription für die Sprache, aus der ein bestimmter Begriff kommt, zu tun haben. Dass man Orhan Pamuk, den Träger des Nobelpreises für Literatur 2006, [oɾˈhan paˈmuk] ausspricht, habe ich in diesem Blog schon vor mehreren Monaten geklärt. Die ADB besteht darauf, bei der Eindeutschung die jeweils erste Silbe zu betonen – völlig unnötig, wie ich meine. Beim Namen des isländischen Wasserkraftwerk-Projekts Kárahnjúkavirkjun ist zwar die durchaus notwendige Eindeutschung gelungen, die Angabe der isländischen Lautung in Klammern wurde hingegen erheblich simplifiziert. Mir ist unklar, warum diese Pseudo-Originalfassung überhaupt auftaucht, da man offenbar um der Einfachheit willen keine präzise Transkription liefern kann oder will. Für das Isländische ist jedenfalls [ˈkʰauːraˌn̥juːkaˌvɪr̥cʏn] korrekt. Ein paar weitere Merkwürdigkeiten: Die Aussprache der Kerguelen, eines territoire d’outre-mer, soll unbedingt an die französische Lautung [kɛʀɡeˈlɛn] angelehnt werden, obwohl es es eine gängige deutsche Aussprache, nämlich [kɛʁˈɡeːlən], gibt, die es dem Zuschauer leichter machen dürfte, von der Aussprache auf die Schreibweise zu schließen. – Dáil Éireann, das Unterhaus des irischen Parlaments, spricht man selbst dann nicht wie auf der ARD-Seite angegeben, wenn man eine Eindeutschung im Blick hat, sondern im Irischen [ˌdˠaːlʲ ˈeːɾʲən̪ˠ]. – Auch bei der Transkription des bosnisch-serbisch-kroatischen Begriffs Ражњићи bzw. Ražnjići ist ein kleiner Fehler unterlaufen. Richtig ist [ˈraʒɲit͜ɕi] mit palatalem Nasal.
Fazit: Die ARD-Aussprachedatenbank ist eine sinnvolle Einrichtung, der es offensichtlich bisweilen an der nötigen Korrektheit und Präzision mangelt – selbst in ihrem nicht-internen Online-»Showcase«, was ich ein bisschen peinlich finde. Vielleicht nur ich. Dienstag, 9. Oktober 2007
Literaturnobelpreis [Fester Link zum Beitrag]
Mit dem Medizin-Nobelpreis wurde heute der Reigen der Nobelpreiswoche eröffnet. Diese Auszeichnung erhalten drei Forscher aus englischsprachigen Ländern für ihre Arbeiten an der Knockout-Maus: Es sind die US-Amerikaner Mario Capecchi [ˈmɑːɹioʊ kəˈpɛki] und Oliver Smithies [ˈɑːləvɚ ˈsmɪðiz] sowie der Brite Martin Evans [ˈmɑːtɪn ˈɛvənz]. Am kommenden Donnerstag wird von der Svenska Akademien der Nobelpreis für Literatur vergeben. Wie jedes Jahr kursieren im Vorfeld dutzende von Namen möglicher Kandidaten: Als Außenseiter gelten in der Regel Lyriker wie der Franzose Yves Bonnefoy [iːv bɔnˈfwa], der Chinese 北島 (Pinyin: Běi Dǎo) [˧˥ pei̯ ˨˩ tɑʊ̯] oder der Schwede Tomas Tranströmer [ˈtuːmas ˈtrɑːnstrœmər]. Ebenfalls geringe Chancen räumt man Autoren wie dem Japaner 村上春樹 (Haruki Murakami) [haɺ̠ɯ̞̈ki mɯ̞̈ɺ̠akami], dem Tschechen Milan Kundera [ˈmɪlan ˈkundɛra] und dem Mexikaner Carlos Fuentes [ˈkaɾlos ˈfwen̪tes] ein. Die Chancen für eine Frau als Preisträgerin stehen genauso schlecht: Joyce Carol Oates [dʒɔɪ̯s ˈkæɹəl oʊ̯t͜s] ist eine der wenigen Frauen, deren Name in diesem Zusammenhang erwähnt wird. Schon besser scheint es für Schriftsteller wie den Italiener Antonio Tabucchi [anˈtɔːni̯o taˈbukːi], den Belgier Hugo Claus [ˈhyχöʊ̯ klʌʊ̯s], den Russen Andrei Georgijewitsch Bitow (Kyrillisch: Андрей Георгиевич Битов) [ʌnˈdrʲe̞j ɡʲɪˈo̞rɡʲɪjɪvʲɪtʲɕ bʲɪˈto̞f] und den Israeli Amos Oz (Hebräisch: עמוס עוז) [ˈʔamos ʔoz] auszusehen. Für viele ganz oben stehen der Italiener Claudio Magris [ˈklau̯di̯o ˈmaɡris] und der Portugiese António Lobo Antunes [ɐ̃ˈtɔni̯u ˈloβu ɐ̃ˈtunɯʃ]. Am meisten Chancen dürfen sich, wie behauptet wird, einige renommierte US-amerikanische Autoren ausrechnen: Schon seit Jahren immer wieder als Kandidaten für den Preis im Gespräch sind Philip Roth [ˈfɪləp ˈɹɑːθ], Thomas Pynchon [ˈtɑːməs ˈpɪnˌtʃɑːn] und Don DeLillo [dɑːn dəˈlɪloʊ]. Oder wird es am Ende doch Bob Dylan [bɑːb ˈdɪlən]?
Nachtrag: Den Physik-Nobelpreis erhalten der Deutsche Peter Grünberg [ˈpeːtɐ ˈɡʁyːnbɛʁk] und der Franzose Albert Fert [alˈbɛːʀ fɛʀt] für die Entdeckung des GMR-Effekts. Montag, 1. Oktober 2007
Vatersnamen reloaded [Fester Link zum Beitrag]
Seit gestern gibt es einen neuen unumstrittenen Schachweltmeister: Der bisherige Titelinhaber Wladimir Borissowitsch Kramnik kam aus Russland. Kyrillisch schreibt man seinen Namen Владимир Борисович Крамник (Transliteration: Vladimir Borisovič Kramnik) und spricht ihn auf Russisch [vɫʌˈdʲimʲɪr bʌˈrʲisəvʲɪtʲɕ ˈkramnʲɪk]. Besiegt wurde er von Viswanathan Anand. Er stammt aus dem indischen Bundesstaat Tamil Nadu, in dem – wie der Name schon andeutet – Tamilisch (kurz auch: Tamil) Amtssprache ist. Mit der dortigen Schrift, die wie die Lateinische von links nach rechts verläuft, wird sein Name விஸ்வநாதன் ஆனந்த் geschrieben. Die korrekte Lautung ist [visˈvʌn̪ɑːt̪ɜn̪ ˈɑːn̪ɜn̪d̪]. Tamilisch ist, wie viele indische Sprachen, eine Abugida: Dies bedeutet, dass jedem Konsonanten ein Vokal, hier: [ʌ], inhärent ist, dessen Tilgung gegebenenfalls mit einem Diakritikum angezeigt wird. Im Tamilischen heißt dieses Zeichen pulli. – Wer den neuen Schachweltmeister richtig ansprechen will, kann jedoch nicht ausschließlich über phonetische Hürden stolpern: Viswanathan ist kein Vorname, sondern ein Patronymikon, also der Name von Anands Vater, weshalb man sich nicht damit, sondern mit »(Mr) Anand« an ihn wenden sollte. Ein früherer Schachweltmeister, von dem man dieser Tage aus politischen Gründen oft hört und der ebenfalls ein Patronymikon führt, ist Garri Kimowitsch Kasparow. Seinen Namen schreibt man mit kyrillischen Buchstaben Гарри Кимович Каспаров (Transliteration: Garri Kimovič Kasparov). Jeder, dem das russische System der Vatersnamen vertraut ist, weiß damit, dass Kasparows Vater Kim geheißen haben muss. Jeder Fachmann in russischer Phonetik kennt darüber hinaus die korrekte Aussprache des Namens, nämlich [ˈɡarʲɪ ˈkʲiməvʲɪtʲɕ kʌˈsparəf].
Dehnungs-u [Fester Link zum Beitrag]
Die deutsche Sprache kennt mehrere Möglichkeiten, die lange Aussprache eines Vokals orthografisch anzuzeigen – neben der Verdopplung des betreffenden Buchstaben, wie in Aal [aːl]. Am häufigsten dienen dazu die Vokale h und e hinter i. In vielen Fällen ergeben sich dadurch Redundanzen: Sowohl Wal als auch Wahl lauten [vaːl]; sowohl Stil als auch Stiel kann man [ʃtiːl] sprechen, wobei [stiːl] als Variante für erstere Graphie möglich ist. An dieser Stelle sei auf einen Fehler im Artikel »Dehnungszeichen« der deutschen Wikipedia hingewiesen, die den Pyhrnpass als Beispiel für ein Dehnungs-h anführt: Tatsächlich spricht man den Pass – je nach Quelle – [pɪʁn] bzw. [pʏʁn], in keinem Fall aber mit langem Vokal. Falls es jemand berichtigen möchte: bitte sehr! Auch eine Korrektur der IPA-Angabe zu dem bayerischen Ort Buchloe wäre angebracht: Man betont ihn nicht auf der zweiten Silbe, sondern [ˈbuːxloːə]. Immerhin taugt die Wikipedia für ein gutes Dutzend nette Beispiele von Dehnungs-e hinter Vokalen außer i: Leider hat sich dort ein weiterer Irrtum eingeschlichen. Im Ortsnamen Schaephuysen kann schlechterdings nicht von einem Dehnungs-e gesprochen werden, wenn der erste Vokal als kurz transkribiert wird. Richtig ist auf Deutsch natürlich [ˈʃaːphyːzn̩]; im Niederländischen, woher der Name sichtlich stammt, müsste es [ˈsχapɦœʏ̯zə] lauten. – Dass außerhalb Norddeutschlands nur wenig Bewusstsein für das Dehnungs-c herrscht, wusste Thomas Mann bereits Anfang letzten Jahrhunderts: Aus dem Familiennamen Buddenbrock [ˈbʊdn̩ˌbʁoːk] machte er die Buddenbrooks, um einer gesamtdeutschen Leserschaft die korrekte Aussprache förmlich aufzudrängen. Bei Städten und Regionen, die sich nicht die Freiheit eines Literaten, die Namensschreibweise anzupassen, nehmen können oder wollen, ist die kurze Aussprache des Vokals längst gang und gäbe, selbst vor Ort, so in Mecklenburg-Vorpommern oder Lübeck, das man einst [ˈlyːbeːk] sprach. Noch geringer als die Zahl derer, die von [ˈmeːklənbʊʁk] sprechen, dürfte die derjenigen sein, die auf Anhieb den Namen des Dörfchens Pouch in Sachsen-Anhalt korrekt artikulieren: Das Phänomen, das zu der Aussprache [poːx] führt, stelle ich hier – um auf den Titel dieses Artikels zurückzukommen – als einziges mir bekanntes Beispiel für ein Dehnungs-u vor.
Wir sind Weltmeister! [Fester Link zum Beitrag]
Ich weiß nicht, wie gebräuchlich der folgende Begriff im Englischen ist, aber einen Deutschen, der ihn aktiv benutzte, kenne ich nicht: »Wir sind […]!« ist einer der derzeit gebräuchlichsten deutschen Snowclones. Ich denke, man spricht den Begriff [ˈsnəʊˌkləʊn]. Er bezeichnet Phrasen, bei deren Zitierung ein Element oder mehrere ausgetauscht werden, um sie der jeweiligen Situation anzupassen. So wie die deutsche Zeitung BILD am 20. April 2005 anlässlich der Wahl Kardinal Ratzingers zum Pontifex Maximus »Wir sind Papst!« titelte, kann man über die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen nach der WM in China schreiben: »Wir sind Weltmeister!«. Wer noch nicht weiß, wie die Namen der Spielerinnen ausgesprochen werden, bekommt hier geholfen: Den Vornamen der jungen Innenverteidigerin Annike Krahn betont man nicht auf der ersten Silbe; der ganze Name lautet [aˈniːkə kʁaːn]. Wesentlich bekannter dürfte, nach Rekordnationalspielerin Birgit Prinz, die Veteranin Renate Lingor sein. Man spricht ihren Namen [ʁeˈnaːtə ˈlɪŋɡoːɐ̯]. Ariane Hingst hat zwar keinen ungewöhnlichen Namen, spielt aber bei einem ausländischen Verein, der nur wenigen deutschen Sportreportern leicht von den Lippen geht: Der Club stammt aus einem Vorort Stockholms, nämlich Djurgården, was man [ˈjʉːɹˌɡoːɖən] spricht. Hingsts Mannschaftskollegin Linda Bresonik wird [ˈlɪnda bʁɛˈsɔnɪk] gesprochen. Der Name von Stürmerin Kerstin Garefrekes lautet [ˈkɛʁstiːn ˈɡaːʁəˌfʁeːkəs]. Sandra Smizek, die bereits 2003 Weltmeisterin war, spricht man korrekt [ˈzandʁa ˈsmɪzək]. Den letzten WM-Treffer für die deutsche Mannschaft erzielte gestern Simone Laudehr [ziˈmoːnə ˈlaʊ̯dɐ].
Montag, 24. September 2007
Herbstanfang [Fester Link zum Beitrag]
Heute beginnt auf der Erd-Nordhalbkugel der Herbst. Dieses Wort ist ein typisches, wenngleich harmloses Beispiel für die Konsonantencluster germanischer Sprachen, die Sprechern des Spanischen oder Japanischen das Wasser in die Augen treiben. Die Lautung [hɛrpst] wird im Deutschen durch die Verbform schrumpfst [ʃʁʊmpfst] mit fünf Konsonanten in Folge getoppt. Dies kann man nur durch artifiziell wirkende Komposita wie Kampfstreifenhörnchen [ˈkampfˌʃtʁaɪ̯fn̩hœʁnçn̩] oder Strumpfstreit [ˈʃtʁʊmpfˌʃtʁaɪ̯t] überbieten, bei denen sich die gesprochenen Konsonanten auf je zwei Silben verteilen. Dies gilt auch für den Begriff, der im Guinness-Buch der Rekorde als Wort mit den meisten aufeinanderfolgenden geschriebenen Konsonanten verzeichnet sein soll: Borschtschgschnas, was offenbar so viel bedeutet wie »Kostümfest, auf dem russische Rote-Bete-Suppe serviert wird«, bringt es mit der Aussprache [ˈbɔʁʃtʃˌkʃnaːs] auf wohl unschlagbare sieben gesprochene Konsonanten hintereinander. – Auf immerhin vier davon innerhalb einer Silbe kommt man im Englischen mit crunched [kɹʌntʃt] – oder indem man bei strengths [stɹɛŋkθs] den epenthetischen Vokal [k] gelten lässt. Mehr geht nur durch Zusammensetzungen wie Twelfthstreet [ˈtwɛlfθˌstɹiːt] – oder?
Sonntag, 16. September 2007
Automarken und -modelle [Fester Link zum Beitrag]
Gestern öffnete die größte Automesse der Welt, die IAA in Frankfurt/Main, für das Publikum, das nun tausendfach zwischen neuen Modellen herumwuseln wird. Natürlich ist es wichtiger, beim Autofahren keinen Unfall zu bauen, als die Namen der vielen Fahrzeuge korrekt auszusprechen, aber als Linguist mit Leib und Seele vergisst man die Phonetik auch nicht, wenn man im neuen Lamborghini sitzt. Und man weiß: Im Italienischen lautet der Name des Herstellers [lamborˈɡiːni] – keine Affrikate, nirgends. Warum ein italienischer Autobauer seinen Wagen spanische Namen gibt, ist mir unklar: Jedenfalls spricht man das Modell Reventón, das auf das diesjährigen Messe vorgestellt wurde, [reβenˈton]. Eine geschickte Namenswahl? Die spanische Redewendung « tener un reventón » entspricht dem deutschen »einen Platten haben«. Man fühlt sich an den erfolglosen Versuch der Firma Mitsubishi – Japanisch: 三菱, [miˈt͜sɯ̞̈ˌbiɕi] ausgesprochen – erinnert, die versuchte, ihren Geländewagen Pajero in den spanischsprachigen Ländern Südamerikas unter diesem Namen zu kaufen. Das Wort, [paˈxeɾo] gesprochen, benutzt man wie das Schimpfwort »Wichser« im Deutschen. Murciélago (dt. »Fledermaus«) für einen weiteren Lamborghini spricht sich [muɾˈθjelaɰo]. – Ein herbes phonetisches Los hat auch die Marke Citroën im Deutschen gezogen: Gerade weil sie es besonders gut machen wollen, nasalisieren viele vorsichtshalber jeden Vokal – man macht das ja so im Französischen. Tatsächlich lautet der Name [sitʀɔˈɛn]. Vergleichsweise leicht haben es dagegen die Seat-Mitarbeiter, ihren Kunden zu erklären, dass der Markenname [seˈat] lautet – und nicht wie das Wort für »Sitz« im Englischen.
Samstag, 8. September 2007
Dracula und seine Landsleute [Fester Link zum Beitrag]
Für die Hauptfigur von Bram Stokers Roman Dracula (1897) diente eine reale Person als Vorlage, und zwar Vlad III. Drăculea, der im 15. Jahrhundert über die rumänische Walachei herrschte. Der Namensbestandteil Drăculea [drəˈkule̯a] bedeutet »Sohn des Drachens«. Ein Beiname, der dieser historischen Figur noch heute oft zugeordnet wird, ist Țepeș (dt. »der Pfähler«). Das erste Zeichen dieses Wortes kommt nur im Rumänischen vor; es handelt sich um ein T, unter dem ein Komma – keine Cedille! – steht. Dadurch ergibt sich die Aussprache [ˈt͜se̞pe̞ʃ]. – Der exklusive Buchstabe kommt auch in dem Namen der Stadt bzw. Provinz Galați vor, die jüngst von starkem Hochwasser betroffen war; der Name lautet [ɡaˈlat͜sʲ]. Silbenfinales i wird im Rumänischen als Palatalisierung des vorangehenden Konsonanten realisiert. Dies gilt auch im Namen der kleinen Stadt, die am schlimmsten überschwemmt wurde: Tecuci spricht man [te̞ˈkutʃʲ]. Der Ort liegt am Fluss Bârlad, sprich [bɨrˈlad].
Miszellen [Fester Link zum Beitrag]
Bekannt ist, dass Deutsche – laut gewissen Erhebungen jedenfalls – inzwischen mehr Nudeln verzehren als die Italiener. Bei der Aussprache von Wörtern aus deren Sprache hapert es bisweilen jedoch nach wie vor: Der Name des jüngst verstorbenen italienischen Tenors Luciano Pavarotti war hier häufig mit unsilbischem [i] in der zweiten Silbe zu hören. Dabei lautet die korrekte italienische Aussprache [luˈtʃaːno pavaˈrɔtːi]. Dieselbe Regel gilt zum Beispiel für die Automarke Lancia, die man [ˈlantʃa] spricht. Bei der Lautung der Geburts- und Sterbestadt des Sängers, die inzwischen erfreulich oft mit der korrekten Betonung zu hören ist, fällt die Qualität des ersten Vokals auf, der nur von wenigen Deutschen wie im Italienischen artikuliert wird, also: [ˈmɔːdena]. Eine weitere italienische Stadt, deren Endonym genauso betont werden sollte wie deren deutsches Exonym, dies aber selten genug wird, ist Genua [ˈɡeːnu̯a], im Italienischen Genova [ˈdʒɛːnova].
Ein deutscher Privatsender zeigt demnächst die Verfilmung eines Tanklaster-Unfalls, der 1978 auf einem spanischen Campingplatz fast 300 Menschen das Leben kostete. Der Film läuft unter dem Titel Tarragona, dessen Aussprache in den Trailern wenig südländisches Flair vermittelte. Die spanische Aussprache ist [taraˈɰona]. Der erste Laut der dritten Silbe wurde und wird traditionell als [ɣ] transkribiert; allerdings legen sowohl der Höreindruck als auch artikulatorische Untersuchungen nahe, dass es sich nicht um einen velaren Frikativ, sondern um einen Approximanten handelt. Der Campingplatz, auf dem das Unglück geschah, heißt übrigens Los Alfaques (dt. »die Sandbänke«), sprich [los alˈfakes]. Demnächst wird wieder von Romy Schneider zu hören sein, weil diese in drei Wochen ihren 69. Geburtstag gefeiert hätte. Anlass genug, eine kurze Bemerkung zur Aussprache des Künstlernamens der Schauspielerin zu machen. Der Vorname wird, merkwürdigerweise vor allem von älteren Leuten, gerne mit zwei kurzen Vokalen ausgesprochen. Die Standardlautung ist jedoch [ˌroːmi ˈʃnaɪ̯dɐ]. Bürgerlich hieß die Schauspielerin ohnehin Rosemarie Albach. Donnerstag, 30. August 2007
Osaka und Akihito [Fester Link zum Beitrag]
Derzeit findet in Ōsaka (Japanisch: 大阪) die Leichtathletik-WM statt. Im Deutschen hat sich eine Aussprache mit betonter zweiter Silbe eingebürgert, die so richtig oder falsch ist wie jede andere. Der Name der Stadt gehört zu den Wörtern, die keinen obligatorischen Akzent im Japanischen tragen; es gibt lediglich einen vorhersagbaren Pitch-Anstieg nach der ersten More. Man kann ihn daher [oˈːsaka] transkribieren. Die Lautung, die japanische Muttersprachler produzieren, hört sich für Europäer an, als werde das Wort auf der ersten Silbe akzentuiert. Ich benutze und empfehle diese Betonung, aber einen zwingenden Grund dafür gibt es aus Sicht des Japanischen nicht. – Anders verhält es sich beim Namen des japanischen Tennō, also Kaisers, Akihito (Japanisch: 明仁). Dieser spricht sich [aˈkiˌçi̥to]. Vokale, insbesondere /i/ und /ɯ/, werden zwischen stimmlosen Konsonanten in unbetonten Moren ebenfalls stimmlos – und zwar nicht nur bei schnellem Sprechen. Für Nicht-Japaner entsteht dabei oft der Höreindruck, der Vokal werde gar nicht artikuliert. Im Gegensatz zu der Betonung auf der zweiten Silbe – anstatt, wie im Deutschen üblich, auf der dritten – lässt sich der stimmlose Vokal in SAE-Sprachen wohl kaum reproduzieren.
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