Dienstag, 29. Juni 2010
Schland [Fester Link zum Beitrag]
›Schland‹. Dieses Kurzwort war 2006, als die Fußball-WM in Deutschland stattfand, in vieler Munde; jetzt, da das Turnier in Südafrika läuft, hört man es wieder, wenn auch seltener. Der Begriff scheint tatsächlich erst seit vier Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung zu befinden; ich habe keine Belege auftreiben können, die wesentlich vor der WM 2006 datieren. Er entstand wohl aus den Schlachtgesängen von Fans der deutschen Mannschaft, in denen ›Deutschland‹ auf der zweiten Silbe betont wird, die sich ideal dehnen und grölen lässt. Dabei kam es zu einer Resyllabifizierung: Die Silbengrenze, die ursprünglich hinter dem [ʃ] gelegen hatte, verschob sich vor diesen Laut – unter Nichtbeachtung der Morphologie. Es gibt viele Fälle, in denen erst die Information aus diesem Bereich mögliche Segmentierungen ausschließt. ›Rauflustig‹ könnte sonst ohne Weiteres ›rau-flustig‹ getrennt werden. Und ›Deutschland‹ wurde zumindest 2006 eben ›Deut-schland‹ getrennt.
Zumindest ich frage mich: Warum ist das bei diesem Prozess entstandene Wort ›Schland‹ so hässlich? Letzte Erklärungen für derartige persönliche Empfindungen sind schwierig zu geben, aber die Linguistik hat sich auch immer wieder mit der subjektiv empfundenen Ästhetik von Wörtern beschäftigt – wenngleich das vor allem ein Forschungsgebiet längst vergangener Dekaden ist. Ein weder uninteressanter noch unumstrittener Ansatz in diesem Kontext ist die sogenannte Phonästhem-Theorie von John Rupert Firth (1890 – 1960), einem englischen Linguisten, dem wir auch den Begriff ›Kollokation‹ verdanken. Die Theorie besagt, dass Wörter von ähnlicher phonetischer Gestalt oft (oder zumindest in einigen prominenten Fällen) zu einem gemeinsamen Bedeutungsfeld gehören. Firths Annahme steht in einer Reihe mit früheren Ikonizitäts-Hypothesen, die ebenfalls davon ausgehen, dass submorphemische Einheiten, also Einheiten unterhalb der Ebene der kleinsten bedeutungstragenden Elemente, semantischen Wert haben können. Ein klassisches Beispiel ist die Reihe von Wörtern im Englischen, die mit /fl/ beginnt: flacker, flap, flash, flee, fleet, flick, flicker, fling, flip, flit, flitter, flurry, flutter, fly – all diese Begriffe beschreiben Aspekte oder Formen von rascher Bewegung. Kein Zufall, sagt Firth. Woher die Assoziation von Laut und Bedeutung kommt, ist indes eher unklar: Zugrunde liegen mag eine abstrakte Form von Lautmalerei, die sich in dem genannten Fall auf das Geräusch beziehen könnte, das durch einen Luftzug entsteht, den schnelle Bewegung verursacht. Existiert erst einmal eine kleine Gruppe von Wörtern, die auf dieser oder einer anderen Basis gebildet wurde, kann die Serie durch Analogie erweitert werden. Kognitiv ist die Paarung von Form und Bedeutung damit gleich auf zwei Weisen verankert, nämlich einerseits durch die onomatopoetische Motivation, die mehr oder weniger transparent sein kann, sowie andererseits durch das entstehende Paradigma. Dass derartige Muster synchron zumindest bei der passiven Rezeption von Wörtern eine Rolle spielen, kann jeder an sich selbst überprüfen: Würde man, in einem fiktiven Kinderbuch, die zarte blondgelockte Fee ›Glurpf‹ nennen? Wohl kaum. Würde man annehmen, dass sich hinter ›Nipsi‹ ein Landmaschinenhersteller verbirgt? Eher nicht. Freilich repräsentieren solche Entscheidungen bloß Präferenzen, keine absoluten Regeln, aber der komische Effekt, der erzielt werden könnte, nennte man die Fee eben doch ›Glurpf‹, verdeutlicht die Erwartung. Man kann daher sagen: ›Schland‹ klingt für manche so hässlich und grob, weil erstens sein Anlaut ein wenig so klingt, als trete man mit einem Gummistiefel in knöchelhohen Matsch, und weil es zweitens lautliche Charakteristika mit Wörtern teilt, deren Bedeutung ins Negative, Zähe, Dreckige geht – oder kürzer: ins Schlechte. ›Schland‹ reimt sich auf ›Schmant‹, ein eher dickflüssiges Milchprodukt, wobei das Wort regional auch für Schlamm steht. ›Schland‹ teilt den Anlaut ferner mit Wörtern wie ›schlabbern‹, ›Schlacke‹, ›schlaff‹ und ›schlapp‹, ›schlaksig‹ und ›schlampig‹ sowie, wenn man einen Vokalwechsel erlaubt, mit ›schludern‹, ›schlunzen‹, ›schlutzen‹ und manchem mehr. Neutrale Wörter wie ›Schlaf‹ oder ›schlank‹ können wenig ausrichten gegen diese Übermacht an Begriffen, die auf Träges, Schmutziges, Unangenehmes hinweisen – jedenfalls in meinem Kopf. PS: Da es sich hierbei ja um einen Beitrag in einem Phonetik-Blog handelt, sei noch die Aussprache des Schwanzwortes ›Schland‹ erwähnt: [ʃlant]. Freitag, 25. Juni 2010
Die Lösung des Verschlusses [Fester Link zum Beitrag]
Das Wort ›Lösung‹ ist polysem im Deutschen, hat also mehrere verwandte Bedeutungen: ›Lösung‹ bezeichnet Prozesse, wie in ›Die Lösung des Problems dauerte Stunden‹, aber auch Ergebnisse, wie in ›Natronlauge ist eine alkalische Lösung‹. In dem phonetischen Begriff ›Verschlusslösung‹* (engl. ›release‹) ist Ersteres gemeint: der artikulatorische Vorgang, während dessen die bei der Produktion eines Plosivs aufgebaute Spannung gelöst wird. Irgendwann muss die Luft ja wieder raus. In welcher Form sich die Verschlusslösung akustisch manifestiert, hängt zu einem erheblichen Teil von der lautlichen Umgebung ab, aber auch von der mehr oder weniger bewussten Entscheidung des einzelnen Sprechers. Mithilfe des IPA lassen sich vornehmlich vier Arten von Verschlusslösung unterscheiden.
Der Standardfall – auch insofern, als er nicht durch ein Diakritikum gekennzeichnet werden muss – ist die orale Lösung des Plosivs durch die Aussprache des entsprechenden Lautes. Dies geschieht häufig, wenn zum Beispiel kein weiteres Element folgt, wie in dt. ›Mast‹ [mast], oder ein Vokal, wie in frz. ›terre‹/›taire‹ [t⁼ɛːʀ], wobei das dem erweiterten IPA entnommene Zeichen [⁼] fakultativ anzeigt, dass der Plosiv unaspiriert ist. Folgt einem Plosiv ein weiterer, ist die Lösung des ersten Verschlusses oft nicht oder kaum hörbar (›no audible release‹). Die Artikulationsorgane bewegen sich in die Stellung, die für die Produktion des Lautes erforderlich wäre, aber wenig Luft strömt aus, bevor die Position für den nächsten Laut eingenommen wird. Dies kann innerhalb eines Wortes vorkommen, wie in dem englischen Beispiel ›apt‹ [æp̚t], oder auch über Wortgrenzen hinweg, wie in dt. ›mit dem‹ [mɪt̚‿d̥eːm]. Dass der erste Plosiv nur schwach hörbar ist, bedeutet allerdings nicht, dass es eine Option wäre, ihn wegzulassen. Die Tatsache, dass man seinen Artikulationsapparat so formt, dass der Laut gebildet werden könnte, hat phonetische Auswirkungen auf umgebende Laute. Diese sogenannte Koartikulation sorgt dafür, dass sich angrenzende Laute annähern, sodass etwa ein Vokal nahe einem velaren Konsonant weiter hinten im Mund gesprochen wird, während der velare Konsonant unter Umständen nach vorne rückt, wenn der nächste Laut ein Vorderzungenvokal ist. Diese Möglichkeit der wechselseitigen Beeinflussung bestünde nicht, wenn einer der Laute komplett fehlt. Die unhörbare Verschlusslösung wird mitunter auch als ungelöster Verschluss (›unreleased stop‹) bezeichnet; dies ist inhaltlich aber insofern nicht ganz korrekt, als sich mithilfe bildgebender Verfahren zeigen lässt, dass selbst in solchen Fällen Luft entweicht, wobei das dabei entstehende Geräusch jedoch so schwach ist, dass es von der deutlich hörbaren Lösung des folgenden Plosivs überlagert wird. Neben den beschriebenen Fällen im Deutschen oder Englischen gibt es Sprachen, in denen Plosive auch in Positionen, in denen eine reguläre Verschlusslösung artikulatorisch unaufwändig wäre, unhörbar gelöst werden. Beispiele dafür sind das Thailändische, einige Varietäten des Chinesischen, das Indonesische und das Gayo – zwei austronesische Sprachen – sowie das Mambay, eine im Kamerun und im Tschad gesprochene Niger-Kongo-Sprache. Nasale und laterale Verschlusslösungen hingegen entstehen üblicherweise nicht beliebig, sondern im entsprechenden phonetischen Kontext, das heißt: vor einem Nasal (also [m, n, ŋ] usw.) oder vor einem Lateral (also [l, ɬ, ʎ] usw.). Eine laterale Lösung ist zum Beispiel in dem deutschen Wort ›Trampel‹ [ˈtʁampˡl̩] oder im englischen ›little‹ [ˈlɪtˡl̩] wahrscheinlich und wird durch ein hochgestelltes [l] angezeigt. Das hochgestellte [n] kennzeichnet nasale Lösungen wie in dt. ›Laken‹ [ˈlaːkⁿŋ̍] oder engl. ›happen‹ [ˈhæpⁿm̩] (beide Wörter mit Assimilation des nasalen Artikulationsortes). Es bedürfte schon einiger artikulatorischer Mühe, den Plosiv hier auf andere Weise zu lösen. Eine gewisse Wahlfreiheit, was den Typ der Verschlusslösung angeht, besteht in einigen Sprachen allerdings doch: Viele Plosiv-Nasal- oder Plosiv-Lateral-Cluster im Deutschen und Englischen entstehen nämlich erst dadurch, dass ein zwischen den beiden Konsonanten stehendes Schwa elidiert wird. Dieser Prozess findet in flüssiger Sprache meist statt und unterbleibt eigentlich nur bei betont sorgfältiger und deutlicher Artikulation, wie sie von Bühnenschauspielern oder Sprechern mitunter zu hören ist. Lautet ›Laken‹ [ˈlaːkən] oder gar [ˈlaːkɛn], wie es Siebs selig noch fürs Theater empfahl, wird der Verschluss in der üblichen oralen Weise hörbar gelöst. Eine offene Frage ist, welche Variante man in diesem Fall bei der Transkription wählt: Band 6 der ›DUDEN‹-Reihe sowie das 2009 bei de Gruyter erschienene ›Deutsche Aussprachewörterbuch‹ haben sich für die Variante ohne Schwa entschieden, denn: »Die Phonemfolgen /əm/, /ən/, /əl/ werden nur bei langsamer und deutlicher Aussprache als [əm], [ən], [əl] […] gesprochen«, wie der DUDEN schreibt. Ich folge dieser Konvention, gebe aber zu, dass die Umschrift, die John Wells in seinem ›Longman Pronunciation Dictionary‹ wählt, ihren Reiz hat: Dort wird zum Beispiel das Wort ›button‹ als [ˈbʌtən] mit hochgestelltem Schwa transkribiert. Daraus ließen sich auch bei deutschen Wörtern beide Aussprachevarianten zweifelsfrei ableiten. * Ich kenne kein Wort, das diesen etwas merkwürdigen Terminus ersetzen könnte. ›Verschlussauflösung‹ klingt umständlicher, als der millisekundenkurze Prozess de facto ist. ›Verschlusssprengung‹ ist für den als Standard beschriebenen Fall eventuell geeignet, vermittelt aber doch ein falsches Bild von Lösungen, bei denen gerade nichts gesprengt wird. Vielleicht sollte man, wie so oft, auf den englischen Begriff zurückgreifen, also ›release‹, der zwar bereits eine andere Denotation im Deutschen hat (Veröffentlichung von Musik oder Software), aber doch etwas weniger vieldeutig ist als ›Lösung‹. Mittwoch, 17. März 2010
Widerspruch in sich [Fester Link zum Beitrag]
Viele User in der Wikipedia verraten auf ihren Benutzerseiten eine Menge privater und weniger privater Details über sich. Zu den weniger privaten, dafür umso nützlicheren Informationen zählt die Angabe der Sprachen, die der Benutzer beherrscht: Es ist zum Beispiel praktisch, zu wissen, dass man jemanden, der sehr gute Kenntnisse in einer Sprache angibt, auf einen darin verfassten Text hinweisen kann, ohne eine Übersetzung mitliefern zu müssen. Auch verzeiht man Nicht-Muttersprachlern gerne so manchen Irrtum, über den man sich bei Nativespeakern wundern würde. Damit die User diese Informationen kompakt und standardisiert einbinden können, gibt es sogenannte Babel-Vorlagen. Das sind kleine Kästchen, in deren linkem Teil auf farbigem Grund der Code der betreffenden Sprache nach ISO 639 angegeben wird; bei Muttersprachlern steht allein der Code, grün hinterlegt, bei Zweitsprachlern ist an den Code mit Bindestrich eine Ziffer angehängt – blau hinterlegt für Grundkenntnisse (1) bis nahezu muttersprachliche Kenntnisse (4), rot hinterlegt für kaum oder keine Kenntnisse (0). Im rechten Teil der Box ist eine Ausformulierung der links kurz dargestellten Inhalte zu lesen: Für ›fr-4‹ beispielsweise lautet der Text ›Cet utilisateur parle français à un niveau comparable à la langue maternelle‹, für ›pl-2‹ lautet er ›Ten użytkownik posługuje się językiem polskim na poziomie średnio zaawansowanym‹. Wie das so ist im Leben, laden derartige Möglichkeiten zum Spielen ein: Benutzer erzeugen eigene Vorlagen, in denen nicht Sprachkenntnisse, sondern regionale Herkunft, Weltanschauung und Hobbys angegeben sind – mit Fotos, Zeichnungen, Karten anstelle der Codes und teilweise amüsanten Texten. Ob man tatsächlich wissen wollte, dass derjenige, der gerade einen Artikel redigiert hat, atheistischer Kettenraucher aus Nordmecklenburg ist, sei dahingestellt.
Auf den Seiten einiger User findet man eine entsprechende Pseudo-Babel-Vorlage für das Internationale Phonetische Alphabet. Ich weiß nicht, wer sie im Original erstellt hat, aber das ist nicht weiter von Interesse. Anders als bei Sprachen existiert nicht für jedes Kenntnisniveau eine Vorlage; es gibt schließlich keine IPA-Muttersprachler, und anzugeben, dass man eben keine Lautschrift beherrscht, ist auch nicht besonders informativ. Gefunden habe ich Vorlagen unter anderem für die Niveaus 3 und 4, was – auf eine tatsächliche Sprache übertragen – mindestens sehr guten Kenntnissen entspricht. Der Text in der rechten Hälfte des Kastens ist, wie üblich, in der ›Sprache‹ gehalten, auf die sich die Vorlage bezieht, in diesem Fall also in Lautschrift. Er lautet: 'diːsɐ bə'nʊtsɐ hat seːɐ guːtə 'kʰəntnɪzə dəs 'ʔiː'pe'ʔaː. Das bezweifle ich. Die Transkription dieses Sätzchens enthält zwei formale und mindestens sechs inhaltliche Fehler, davon ausgehend, dass deutsche Standardaussprache abgebildet werden soll. Das ist ziemlich viel für acht Wörter. Und ich meine nicht den ›Fehler‹, dass die Umschrift nicht von eckigen Klammern bzw. Schrägstrichen eingeschlossen ist, wie es in den meisten Fällen gemacht wird. Ich meine auch nicht, dass die Zeichen der Affrikate in ›Benutzer‹ nicht durch einen darunter gesetzten Bogen verbunden sind – das kann man machen, muss man aber nicht. Auch über die Notwendigkeit, die vorhersagbare Aspiration von [k] am Anfang einer betonten Silbe zu kennzeichnen, kann man geteilter Meinung sein. Was also ist eindeutig falsch? Besondere Schwierigkeiten scheint derjenige, dem diese Transkription anzulasten ist, mit alveolaren Frikativen zu haben. Drei von fünf sind falsch, also genau dann als stimmhaft angegeben, wenn sie stimmlos sind, und umgekehrt. Dem fünften Wort fehlt die bei mehrsilbigen Wörtern obligatorische Betonungsmarkierung, die hier vor der ersten Silbe stehen müsste. Auch ist dem Transkribenten offenbar die zentrale Eigenschaft des deutschen Schwa entgangen, die darin besteht, unbetonbar zu sein; sonst hätte er in der ersten Silbe von ›Kenntnisse‹ wohl stattdessen das korrekte [ɛ] eingesetzt. Zuletzt: Dem zweiten Vokal des Diphthongs in ›sehr‹ fehlt das Diakritikum für Unsilbischkeit. Hinzu kommen, wie erwähnt, zwei Formfehler: Anstelle des Betonungszeichens [ˈ], das im IPA verwendet wird, hat der Benutzer das kürzere, tiefer sitzende Apostroph-Ersatzzeichen ['] benutzt. Statt zu [ɡ], dem Lautschriftzeichen für den stimmhaften velaren Plosiv, das diese zweistöckige Form haben soll, hat der Benutzer zum normalen ›g‹ gegriffen, das in manchen Schriften dreistöckig gezeichnet ist. Natürlich sind das Lappalien. Doch genauso wenig wie ich jemandem, der nicht weiß, dass ›ß‹ ein Buchstabe des Deutschen ist, sehr gute Kenntnisse in dieser Sprache attestieren würde, kann man meines Erachtens von sehr guter Beherrschung der Lautschrift sprechen, wenn gewisse Konventionen unbeachtet bleiben, die im Übrigen nicht grundlos sind: Die Form von Apostroph und ›g‹ variiert in einer Weise, die dem Duktus der jeweiligen Schrift gerecht wird, der optimalen Lesbarkeit von IPA-Transkriptionen aber nicht immer entgegenkommt. Gewährleistet wird diese nur, indem man die eigens für Lautschrift vorgesehenen Zeichen verwendet, die in guten Schriften besagten Formvorgaben entsprechen und dazu beitragen, dass die Transkription, wenn alle Fehler eliminiert sind, wie folgt aussieht: [ˈdiːzɐ bəˈnʊt͜sɐ hat zeːɐ̯ ˈɡuːtə ˈkɛntnɪsə dəs ˌˀiːˌpeːˈˀaː]. Samstag, 27. Februar 2010
Misheard Wettervorhersage [Fester Link zum Beitrag]
Einen amüsanten Splitter liefert mir die Wettervorhersage der tagesschau vom Mittwoch dieser Woche. Ich habe mich nämlich verhört. Produktions- und Rezeptionsfehler – vulgo Versprecher und Verschreiber einerseits, Verhörer und Verleser andererseits – gelten in der Linguistik nicht nur als notorisch populäres Proseminarthema, sondern vor allem als wichtiges ›Fenster‹ ins kognitive System: Durch sie erhofft man sich Erkenntnisse darüber, wie Inhalte im Gehirn organisiert sind. Schließlich ist etwa die Annahme nicht unbegründet, dass nur solche Strukturen beim Wahrnehmen oder Erzeugen von Sprache verwechselt werden, die nah beieinander liegen – und zwar auf eine womöglich weniger offensichtliche Weise als etwa zwei Wörter mit demselben Anfangslaut. Doch nicht nur im Labor kann man durch linguistische Fehlleistungen etwas über Sprache erfahren, wenn auch die Einsichten am heimischen Fernseher bisweilen etwas weniger spektakulär ausfallen.
Im konkreten Fall hörte ich am Beginn des ersten Satzes besagter Wettervorhersage eine Lautfolge, die sich als [tʰiːf stiˑf] transkribieren lässt. Im Wissen, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete mit Vornamen bezeichnet werden, wenn auch im Unwissen, dass es dieses Jahr die Hochdruckgebiete sind, die Männernamen tragen, glaubte ich ›Tief Steve‹ verstanden zu haben. Warum sollte eine Zyklone nicht ›Steve‹ genannt werden? Doch der Satz nahm eine für mich unerwartete Wendung und lautete schließlich vollständig: »Tiefs, die vom Atlantik nach Dänemark ziehen, bestimmen weiterhin unser Wetter.« Ich hatte mir meinen ›Steve‹ also aus Bestandteilen dreier Wörter – der Coda von ›Tiefs‹, dem Relativpronomen und dem Anlaut der Präposition – zusammengebastelt. Statt zweier Wortgrenzen glaubte ich nur eine zu hören, und die auch noch an einer Stelle, an der sich de facto keine befand. Tatsächlich lautete der Satz nämlich bis zu diesem Punkt [tʰiːfs d̥iˑ f]. Verwirrend wirkte das nahezu voll stimmlose wortinitiale [d], das ich als unaspiriertes [t] wahrnahm – wie bei anlautendem [s] oder [ʃ] im Deutschen üblich. Die Auslautverhärtung bei einem Namen, der im Englischen auf [v] endet, trug ein Übriges bei. Sogar die Satzbetonung, die nicht auf dem Namen, sondern auf dem ersten Wort lag und damit meine Interpretation hätte unplausibel erscheinen lassen müssen, vermochte nicht, mich von meinem Verhörer abzuhalten. Was lernen wir daraus? Dass Hörer offensichtlich eine erhebliche Toleranz zeigen, was die Abweichung einer tatsächlich gehörten Lautfolge von der Ideallautung angeht, die auf der Basis einer angenommenen phonologischen Struktur erwartet wird. Auch ungewöhnliche Realisierungen können einem bestimmten Phonem sofort zugeordnet, zu Wörtern kombiniert und zur Bedeutungskonstruktion genutzt werden – auch wenn, wie in meinem Fall, ein Irrtum zugrunde liegt. Ungeachtet solcher kleiner Pannen ist das System nämlich praktikabel und alternativlos. Wörter, die in lauten Umgebungen, bei großen Entfernungen oder am Telefon problemlos übermittelt werden, wären sonst unter derartigen Bedingungen unverständlich. Dienstag, 9. Februar 2010
Barroso II: Alle Namen, alle Lautungen [Fester Link zum Beitrag]
Heute wurde vom Europaparlament die neue Europäische Kommission bestätigt – wie schon in den letzten fünf Jahren unter Leitung des Portugiesen José Manuel Durão Barroso, dessen Name hier bereits Thema war. Damit jeder Leser die Namen ab dem ersten Tag korrekt aussprechen kann, habe ich sie mit den entsprechenden Lautschriftangaben zusammengestellt. Es sind 26 Personen, und fast so viele Sprachen müsste man beherrschen, um in jedem einzelnen Fall eine perfekte Transkription anbieten zu können – das ist unmöglich. Umso mehr gilt daher für diesen Beitrag: Wer etwas besser weiß, lasse mir eine Mail zukommen.
Montag, 28. Dezember 2009
Forvo: Letzte Nachlese [Fester Link zum Beitrag]
Im Grunde ist alles gesagt zu dem Thema, aber zwei besonders hübsche Perlen sollen hier noch ihren Platz finden. Da wäre zum einen das Wort ›abalienieren‹, das laut Wörterbuch entweder ›entfremden‹ oder ›verkaufen‹ bedeutet. Dies ließe bereits erahnen, dass der Begriff über das gleichbedeutende lateinische Präfixverb ›abaliēnāre‹ auf ›aliēnus‹ für ›fremd‹ zurückgeht. Unberührt von solchen Erkenntnissen sagt der User, der die Lautung bei ›Forvo‹ hochgeladen hat, [abaliˈniːʁən] – statt dem korrekten [ˌapˀali̯eˈniːʁən]. Er schlägt das ›b‹, wie etwa in ›Abalone‹, der zweiten Silbe zu, sodass es weitgehend stimmhaft bleibt, und versteht beide ›e‹ als Dehnungszeichen, obwohl dies nur für das zweite gilt. Womöglich sollte man das Trema im Deutschen wieder einführen und ›abaliënieren‹ schreiben. Ebenfalls und zum anderen missglückt ist die Aussprache des Juristen Samuel von Cocceji. Es hätte genügt, in der Wikipedia nachzusehen, um durch die dortige eher rudimentäre IPA-Angabe eine Idee zu bekommen, wie der Name gängigerweise artikuliert wird. Probiert man es ohne Netz und doppelten Boden, wird aus [kɔkˈt͜seːji], so heißt es richtig, eben [ˈkɔkəd͜ʒiː]. In der Autowerkstatt würde man so etwas wahrscheinlich einen Totalschaden nennen.
Donnerstag, 24. Dezember 2009
Forvo: Gesammelte Highlights [Fester Link zum Beitrag]
Beim Stöbern auf forvo.com (siehe vorheriger Artikel) bin ich auf zahlreiche Einträge gestoßen, bei denen ich mich gewundert habe, warum sich Leute nicht entblöden, Wörter einzusprechen, deren gängige Lautung ihnen nicht geläufig ist. Hier eine kleine Auswahl, wobei die zu hörende, falsche Aussprache mit einem Asteriskus versehen ist:
Noch ein Nettes: Wer nach ›Katar‹ sucht, gelangt zu einem Eintrag in der Kategorie ›illness‹, bei dem eine Polin in ihrer Muttersprache das Wort für ›Schnupfen‹ artikuliert. Zusätzlich dort zu finden sind zwei deutsche Lautungen, von denen nicht klar ist, ob sie sich auf das arabische Land beziehen oder auf eine Falschschreibung von ›Katarr(h)‹. Nehmen wir zugunsten der Sprecher an, dass es um den Schnupfen geht, denn nur dafür ist die zu hörende Aussprache halbwegs richtig; das Land betont man auf der ersten Silbe. Auch bei ›Jus‹ weiß man nicht so recht, ob die angebotene Aussprache [juːs] richtig oder falsch ist: Für Rechtswissenschaft ist die Lautung zutreffend, für Fleischsaft nicht – den bezeichnet man nämlich, wie im Französischen, als [ʒyː]. Und dass die Apenninen [apɛˈniːnən] bei ›Forvo‹ als [apəˈnɪnən] zu hören sind, könnte daran liegen, dass sie dort als ›Apeninnen‹ (sic!) verzeichnet sind. Auch im Irrtum ist Konsequenz wichtig – und in der Fehlsegmentierung: Oder heißt der Fußballer Per Mertesacker [ˈmɛʁtəs.akɐ] etwa [ˈmɛʁtə.zakɐ], wie hier zu hören ist? Immerhin empfand noch jemand die Version mit [z] als ›Bad‹. Ebenfalls ›Bad‹ oder zumindest äußerst strange sind Einträge, bei denen ausländische Namen in einer, behaupte ich, ungebräuchlichen eingedeutschten Fassung zu hören sind: Gibt es ernsthaft jemanden, der den französischen Präsidenten Sarkozy, im Original [saʀkɔˈzi], als [zaːɐ̯ˈkoːzi] ausspricht? Anscheinend schon. Noch kurioser erscheint mir der Fall des flämischen Malers Pieter Coecke van Aelst, korrekt [ˈpitəɾ ˈkukə vɑn aːlst], zu dem es nicht nur diese gute Aufnahme eines Belgiers gibt, sondern auch die eines Deutschen, der [ˈkøːkə fan ˈɛːlst] sagt. Sehr hilfreich. Mittwoch, 23. Dezember 2009
Forvo.com ist eine kostenlose Website, auf die viele, die sich für die Aussprache von Begriffen in anderen Sprachen interessieren, bereits gestoßen sein dürften. Aufnahmen von ›all the words in the world‹, so heißt es, durch Muttersprachler – das klingt attraktiv und zumindest einer näheren Betrachtung wert, ob das Konzept der Seite tragfähiger ist als das bemitleidenswerte Logo, auf das der Blick des Besuchers nun einmal zuerst fällt.
Die Seite ist unkompliziert aufgebaut; wesentliche technische Hürden gibt es nicht. Wer etwas sucht, kann sowohl via Suchmaschine auf die Seite finden als auch dortselbst über die Suchmaske zu Einträgen gelangen. An diesem Punkt sollte man über eine Soundkarte und ein Audioausgabegerät verfügen, denn die Seite bietet keinerlei Lautschrift, sondern – wie erwähnt – Aufnahmen durch Laien-Nativespeaker der jeweiligen Sprache. Damit nutzt die Seite im Prinzip jedem Hörenden – und nicht nur, wie auch dieses Blog, einem kleinen Kreis akademischer IPA-Fans. Wer eigene aufgenommene Lautungen hochladen oder fehlende Aussprachen erbitten will, kann das nach unkomplizierter, anonymer Anmeldung. Inhaltlich liegt der Fokus, den die Beitragenden bestimmen, auf Eigennamen; es interessiert eben mehr Leute, wie Paulo Coelho ausgesprochen wird als wie ›rir‹ in der ersten Person Plural des konjunktivischen Mais-que-Perfeito Composto lautet (nós tivéssemos rido). Damit sind Reiz und Crux bereits beschrieben. Wie bei jedem Projekt, das auf Userbeteiligung basiert und nur durch minimale redaktionelle Eingriffe gesteuert wird, stehen auch bei ›Forvo‹ Gutes und Schrott nebeneinander – wobei ich mich auf den Inhalt beziehe und nicht auf die oft mäßige akustische Güte der Beiträge. Die Aporie benutzergenerierter Inhalte besteht darin, dass diese sich einerseits an die richten, die etwas wissen wollen, andererseits aber vieles bereithalten, das nur der, der bereits weiß, richtig einordnen kann. Wenn ich weiß, dass sich Robert Musil korrekt [ˈmuːsɪl] (bzw. mit [z] für Nicht-Österreicher) ausspricht, kann ich darüber schmunzeln, dass es zwei Einträge gibt, in denen [muˈziːl] angegeben wird. Wenn nicht, blamiere ich mich eventuell. Die Möglichkeit, als Benutzer über die Qualität der Aufnahmen abzustimmen, soll derartige Irrtümer verhindern helfen und bringt in diesem Fall – gar nichts: Die falsche Aussprache wurde je ein bzw. drei Mal von anderen Deutschen als ›Good‹ bewertet. Wer nachprüfen möchte, ist am Ende wieder auf ein kostenpflichtiges, gedrucktes Werk wie den Aussprache-›DUDEN‹ angewiesen. Im aktuellen Rahmen scheint es kaum abzustellen, dass Ahnungslose Ahnungslosen applaudieren. Die Funktion ›Report word‹ ist, wenn ich das richtig verstehe, nur für Fälle gedacht, in denen das betreffende Wort “does not really exist, is offensive or similar”. Mehr Klarheit würde weder geschaffen, indem man die falschen Aufnahmen mit einem einzelnen ›Bad‹ bewertete, noch durch das Hochladen einer Aufnahme der korrekten Aussprache. Im Fall von ›Kopenhagen‹, das üblicherweise [koːpn̩ˈhaːɡn̩] lautet und bei ›Forvo‹ von einem etwas nachlässigen Sprecher als [kɔpn̩ˈhaːɡn̩] artikuliert wird, wäre wohl noch etwas zu retten. Schade nur, dass man die Aufnahme von ›Zweibrücken‹ [ˈt͜svaɪ̯bʁʏkn̩] mit falscher Betonung auf der zweiten Silbe trotz Tippfehler in der Benennung (›u‹ statt ›ü‹) finden kann. Noch schwerer als unzutreffende Aussprachen ist zu verhindern, dass konkurrierende Lautungen für denselben Begriff hochgeladen werden. Hier wäre erneut eine kundige Kommentierung der Aufnahmen hilfreich, um die Schwankungen zu ergründen. User sind zwar gehalten, auf einer Karte anzugeben, wo ihre Varietät beheimatet ist, aber das ist eine kaum hilfreiche Angabe, wenn es nicht gerade um gröbste geografische Unterscheidungen (Irland oder Australien, Portugal oder Brasilien) geht. Nicht jeder, der in Erfurt wohnt, spricht hörbar Thüringisch. Unklar bleibt demnach, ob eine auf den ersten Blick merkwürdige Aussprache regional gebräuchlich ist oder schlicht falsch. Wer zum Beispiel wissen will, wie Cees Nootebooms Vorname im Niederländischen lautet, findet einmal [keːs] und einmal [seːs], wobei Letzteres nach meinen Informationen korrekt ist. Ohne externe Quellen hinzuzuziehen, ist der Ratsuchende an dieser Stelle so klug als wie zuvor. Manches Wörterbuch, in dem kommentarlos zwei Möglichkeiten aufgeführt werden, ist in dieser Hinsicht nicht besser; bloß ist dort wahrscheinlicher, dass nicht eine der beiden Varianten lediglich mangelnder Sachkenntnis geschuldet ist. Und: Wo man sich in Lautschrift auf ein Phonem festlegen muss, können Differenzierungen in den Aufnahmen mit einem auf halben Weg zwischen den Möglichkeiten liegenden Laut weggenuschelt werden. Eine zusätzliche kleinere Schwäche der Seite liegt darin, dass nicht-lateinische Schriften sehr uneinheitlich – und damit so gut wie unauffindbar – transkribiert werden. Dass ich auf eine akzeptable Aufnahme von Anton Pavlovič Čechovs Namen unter dessen spanischer Umschrift ›Antón Chéjov‹ gestoßen bin, war nur dem Zufall zu verdanken; mit der wissenschaftlichen Transliteration oder der deutschen Fassung ›Tschechow‹ blieb die Suche ergebnislos. So gehen Einträge praktisch verschütt, die das gar nicht verdient haben. Dasselbe kann passieren, wenn auf umständliche Transkriptionen direkt verzichtet und der Eintrag in der ursprünglichen Schrift, etwa Arabisch, gemacht wird, die für alle ohne entsprechende Tastaturbelegung schwer einzugeben ist. Wieder wird eine Diskrepanz deutlich, die sich auftut zwischen den notwendigen bis wünschenswerten Kenntnissen, um die Seite voll auszuschöpfen, und den mutmaßlichen Kenntnissen der anvisierten Gruppe derer, die ohne Vorkenntnisse dazulernen wollen. Hier wäre eine Standardisierung nicht nur angenehm, sondern unerlässlich, damit nicht Dutzende Einträge in Quasi-Orkus verschwinden. Für Phonetiker, die gar nicht wissen wollen, wie ein bestimmtes Wort ausgeprochen wird, ist die Seite eine Fundgrube voller Aussprachen in diversen Schattierungen. Vielleicht ist das die Gruppe, die mit ›Forvo‹ auf dem derzeitigen Stand die meiste Freude habe kann. Wenn es darum geht, die als richtig geltende Aussprache – insbesondere eines Eigennamens, bei dem es wenig Spielraum für Idiotismen gibt – herauszufinden, ist ›Forvo‹ als (einzige) Quelle zu wackelig. An eigener Recherche oder einem Blick in die einschlägigen Wörterbücher führt wenig vorbei. Doch: Die zugrunde liegende Idee ist gut und vor allem dahingehend ausbaufähig, dass die Seite nicht nur lustig bis kurios, sondern zunehmend nützlich ist. Samstag, 5. Dezember 2009
Wörter-[buːx] XIV [Fester Link zum Beitrag]
Anmerkung zu Herman Van Rompuy: Am Abend des 19. 11. 2009 muss in vielen deutschen Fernseh- und Radioredaktionen wieder gedacht worden sein: »Hätte es denn kein anderer werden können?« Nicht, dass der belgische Premierminister als künftiger EU-Ratspräsident für unqualifiziert gehalten würde – aber der Name! Dementsprechend kreativ fielen die ersten Ausspracheversuche aus – mal näher am niederländischen Original, bei einigen Brüsseler Korrespondenten, mal weiter davon entfernt, wie bei Gabi Bauers Versuch [fan ˈrɔmpui̯]. Inzwischen haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender wohl auf [fan ˈrɔmpɔɪ̯] als Eindeutschung geeinigt. Ich hätte für eine stärkere Annäherung an die Originalaussprache plädiert, aber auf dem Boden der deutschen Phoneme und deren üblicher Realisierungen, auf dem sich ›tagesschau‹ & Co. bewegen, ist nicht wesentlich mehr möglich. Das Niederländische bereitet dabei nicht viel weniger Schwierigkeiten als manch – germanozentrisch gesehen – ›abseitigere‹ Fremdsprache. Zu dessen belgischer Varietät ist ohnehin anzumerken, dass die ›nackten‹ IPA-Symbole teilweise nur einen Anhaltspunkt geben, wie der Laut tatsächlich klingt: Das [ɑ] ist, genauer gesagt, ein [ɑ̽], das [ɛ], präziser angegeben, ein [ɛ̝̈], und hinter dem Diphthong [œy̑] verbirgt sich so etwas wie [ɞ̞ʏ̯̽]. Das sind etwas größerere Abstände als üblich zwischen im Mittel produziertem Laut und verwendetem Zeichen. Donnerstag, 8. Oktober 2009
Literaturnobelpreis 2009 [Fester Link zum Beitrag]
Der Einstieg in diesen Artikel ist keine phonetische Beobachtung, sondern eine am Rande der literarischen Öffentlichkeit gemachte: Dieses Jahr wollte ich wieder einen Artikel anbieten zu den inoffiziellen Kandidaten für den Literaturnobelpreis, von denen geraunt wird. Natürlich sind diese Listen nichts als Kaffeesatzleserei, aber eine der amüsant-harmlosen Art, verschafft sie doch eine überblicksartige Momentaufnahme, wer in den Feuilletonredaktionen, den Universitäten, den Verlagen geschätzt wird – und vielleicht in seiner Wirkung auf die schwedische Akademie auch falsch eingeschätzt. Als kurios fiel mir nun ins Auge, dass auf den Listen, die dieses Jahr kursieren, wieder praktisch dieselben Namen stehen wie schon im Oktober 2007 und 2008, Namen, die jeder, der sich für Literatur interessiert, kennen und aussprechen können sollte: Thomas Pynchon, Amos Oz, Běi Dǎo, Haruki Murakami, Claudio Magris usw. Es ist wie die Dirndlmode fürs Oktoberfest, die sich – abgesehen von ein paar Verzierungen in der Modefarbe des jeweiligen Jahres – stets wiederholt. Das ist keine neue Tendenz und auch keine, die bisher nur mir aufgefallen wäre: Dass Autoren wie der 2008 ungenobelt verstorbene Hugo Claus oder der noch lebende, auch dieses Jahr allerorten genannte António Lobo Antunes sich über die Rolle des ewigen Nobelpreis-Favoriten beklagt haben sollen, ist wohl zwischen Koketterie und echter Irritation anzusiedeln.
Wer also sind die Farbtupfer dieses Jahres? Da wäre zum Beispiel eine nicht mehr ganz taufrische Newcomerin, die 56-jährige Herta Müller [ˈhɛʁta ˈmʏlɐ] aus Berlin – eine seit ihrem Debüt ›Niederungen‹ (1984) und derzeit wieder für ihren Roman ›Atemschaukel‹ im Feuilleton gepriesene, aber meines Wissens nicht viel gelesene Autorin. In Deutschland noch weniger wahrgenommen werden die aus Algerien stammende, auf Französisch schreibende Assia Djebar [aˈsja d͜ʒeˈbaʀ], die als wichtige Stimme des Maghreb gilt, und der syrische Lyriker Adunis (أدونيس) [ædʊˈniːs], was mit der Gattung seiner Texte zu tun haben könnte, die viele für generell schwerer übersetzbar halten als epische oder dramatische Werke. Als Außenseiter muss man den inzwischen betagten Spanier Luis Goytisolo [lwis ɡoi̯tiˈsolo] bezeichnen, ebenso wie den Österreicher Peter Handke [ˈpeːtɐ ˈhantkə], den Tschechen Arnošt Lustig [ˈarno̞ʃt ˈlustɪk] sowie den US-amerikanischen Romancier Edgar Lawrence Doctorow [ˈɛdɡɚ ˈlɑːɹəns ˈdɑːktəɹoʊ̯]. Und wer wird es nun? In knapp elf Stunden wissen wir es – auch, ob die Aussprache des Preisträger-Namens hier schon zu lesen war. Nachtrag: Sie war es – herzlichen Glückwunsch, Frau Müller! ... nächste Seite
|
Letzte Aktualisierung:
21. Januar, 16:07 online for 6379 days Menu
Suche
|
startseite | kategorien | login |