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DAS PHONETIK-BLOG [foˈneːtɪkˌblɔk]
Mittwoch, 17. März 2010
Widerspruch in sich [Fester Link zum Beitrag]
Viele User in der Wikipedia verraten auf ihren Benutzerseiten eine Menge privater und weniger privater Details über sich. Zu den weniger privaten, dafür umso nützlicheren Informationen zählt die Angabe der Sprachen, die der Benutzer beherrscht: Es ist zum Beispiel praktisch, zu wissen, dass man jemanden, der sehr gute Kenntnisse in einer Sprache angibt, auf einen darin verfassten Text hinweisen kann, ohne eine Übersetzung mitliefern zu müssen. Auch verzeiht man Nicht-Muttersprachlern gerne so manchen Irrtum, über den man sich bei Nativespeakern wundern würde. Damit die User diese Informationen kompakt und standardisiert einbinden können, gibt es sogenannte Babel-Vorlagen. Das sind kleine Kästchen, in deren linkem Teil auf farbigem Grund der Code der betreffenden Sprache nach ISO 639 angegeben wird; bei Muttersprachlern steht allein der Code, grün hinterlegt, bei Zweitsprachlern ist an den Code mit Bindestrich eine Ziffer angehängt – blau hinterlegt für Grundkenntnisse (1) bis nahezu muttersprachliche Kenntnisse (4), rot hinterlegt für kaum oder keine Kenntnisse (0). Im rechten Teil der Box ist eine Ausformulierung der links kurz dargestellten Inhalte zu lesen: Für ›fr-4‹ beispielsweise lautet der Text ›Cet utilisateur parle français à un niveau comparable à la langue maternelle‹, für ›pl-2‹ lautet er ›Ten użytkownik posługuje się językiem polskim na poziomie średnio zaawansowanym‹. Wie das so ist im Leben, laden derartige Möglichkeiten zum Spielen ein: Benutzer erzeugen eigene Vorlagen, in denen nicht Sprachkenntnisse, sondern regionale Herkunft, Weltanschauung und Hobbys angegeben sind – mit Fotos, Zeichnungen, Karten anstelle der Codes und teilweise amüsanten Texten. Ob man tatsächlich wissen wollte, dass derjenige, der gerade einen Artikel redigiert hat, atheistischer Kettenraucher aus Nordmecklenburg ist, sei dahingestellt.
Auf den Seiten einiger User findet man eine entsprechende Pseudo-Babel-Vorlage für das Internationale Phonetische Alphabet. Ich weiß nicht, wer sie im Original erstellt hat, aber das ist nicht weiter von Interesse. Anders als bei Sprachen existiert nicht für jedes Kenntnisniveau eine Vorlage; es gibt schließlich keine IPA-Muttersprachler, und anzugeben, dass man eben keine Lautschrift beherrscht, ist auch nicht besonders informativ. Gefunden habe ich Vorlagen unter anderem für die Niveaus 3 und 4, was – auf eine tatsächliche Sprache übertragen – mindestens sehr guten Kenntnissen entspricht. Der Text in der rechten Hälfte des Kastens ist, wie üblich, in der ›Sprache‹ gehalten, auf die sich die Vorlage bezieht, in diesem Fall also in Lautschrift. Er lautet: 'diːsɐ bə'nʊtsɐ hat seːɐ guːtə 'kʰəntnɪzə dəs 'ʔiː'pe'ʔaː. Das bezweifle ich. Die Transkription dieses Sätzchens enthält zwei formale und mindestens sechs inhaltliche Fehler, davon ausgehend, dass deutsche Standardaussprache abgebildet werden soll. Das ist ziemlich viel für acht Wörter. Und ich meine nicht den ›Fehler‹, dass die Umschrift nicht von eckigen Klammern bzw. Schrägstrichen eingeschlossen ist, wie es in den meisten Fällen gemacht wird. Ich meine auch nicht, dass die Zeichen der Affrikate in ›Benutzer‹ nicht durch einen darunter gesetzten Bogen verbunden sind – das kann man machen, muss man aber nicht. Auch über die Notwendigkeit, die vorhersagbare Aspiration von [k] am Anfang einer betonten Silbe zu kennzeichnen, kann man geteilter Meinung sein. Was also ist eindeutig falsch? Besondere Schwierigkeiten scheint derjenige, dem diese Transkription anzulasten ist, mit alveolaren Frikativen zu haben. Drei von fünf sind falsch, also genau dann als stimmhaft angegeben, wenn sie stimmlos sind, und umgekehrt. Dem fünften Wort fehlt die bei mehrsilbigen Wörtern obligatorische Betonungsmarkierung, die hier vor der ersten Silbe stehen müsste. Auch ist dem Transkribenten offenbar die zentrale Eigenschaft des deutschen Schwa entgangen, die darin besteht, unbetonbar zu sein; sonst hätte er in der ersten Silbe von ›Kenntnisse‹ wohl stattdessen das korrekte [ɛ] eingesetzt. Zuletzt: Dem zweiten Vokal des Diphthongs in ›sehr‹ fehlt das Diakritikum für Unsilbischkeit. Hinzu kommen, wie erwähnt, zwei Formfehler: Anstelle des Betonungszeichens [ˈ], das im IPA verwendet wird, hat der Benutzer das kürzere, tiefer sitzende Apostroph-Ersatzzeichen ['] benutzt. Statt zu [ɡ], dem Lautschriftzeichen für den stimmhaften velaren Plosiv, das diese zweistöckige Form haben soll, hat der Benutzer zum normalen ›g‹ gegriffen, das in manchen Schriften dreistöckig gezeichnet ist. Natürlich sind das Lappalien. Doch genauso wenig wie ich jemandem, der nicht weiß, dass ›ß‹ ein Buchstabe des Deutschen ist, sehr gute Kenntnisse in dieser Sprache attestieren würde, kann man meines Erachtens von sehr guter Beherrschung der Lautschrift sprechen, wenn gewisse Konventionen unbeachtet bleiben, die im Übrigen nicht grundlos sind: Die Form von Apostroph und ›g‹ variiert in einer Weise, die dem Duktus der jeweiligen Schrift gerecht wird, der optimalen Lesbarkeit von IPA-Transkriptionen aber nicht immer entgegenkommt. Gewährleistet wird diese nur, indem man die eigens für Lautschrift vorgesehenen Zeichen verwendet, die in guten Schriften besagten Formvorgaben entsprechen und dazu beitragen, dass die Transkription, wenn alle Fehler eliminiert sind, wie folgt aussieht: [ˈdiːzɐ bəˈnʊt͜sɐ hat zeːɐ̯ ˈɡuːtə ˈkɛntnɪsə dəs ˌˀiːˌpeːˈˀaː]. Samstag, 27. Februar 2010
Misheard Wettervorhersage [Fester Link zum Beitrag]
Einen amüsanten Splitter liefert mir die Wettervorhersage der tagesschau vom Mittwoch dieser Woche. Ich habe mich nämlich verhört. Produktions- und Rezeptionsfehler – vulgo Versprecher und Verschreiber einerseits, Verhörer und Verleser andererseits – gelten in der Linguistik nicht nur als notorisch populäres Proseminarthema, sondern vor allem als wichtiges ›Fenster‹ ins kognitive System: Durch sie erhofft man sich Erkenntnisse darüber, wie Inhalte im Gehirn organisiert sind. Schließlich ist etwa die Annahme nicht unbegründet, dass nur solche Strukturen beim Wahrnehmen oder Erzeugen von Sprache verwechselt werden, die nah beieinander liegen – und zwar auf eine womöglich weniger offensichtliche Weise als etwa zwei Wörter mit demselben Anfangslaut. Doch nicht nur im Labor kann man durch linguistische Fehlleistungen etwas über Sprache erfahren, wenn auch die Einsichten am heimischen Fernseher bisweilen etwas weniger spektakulär ausfallen.
Im konkreten Fall hörte ich am Beginn des ersten Satzes besagter Wettervorhersage eine Lautfolge, die sich als [tʰiːf stiˑf] transkribieren lässt. Im Wissen, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete mit Vornamen bezeichnet werden, wenn auch im Unwissen, dass es dieses Jahr die Hochdruckgebiete sind, die Männernamen tragen, glaubte ich ›Tief Steve‹ verstanden zu haben. Warum sollte eine Zyklone nicht ›Steve‹ genannt werden? Doch der Satz nahm eine für mich unerwartete Wendung und lautete schließlich vollständig: »Tiefs, die vom Atlantik nach Dänemark ziehen, bestimmen weiterhin unser Wetter.« Ich hatte mir meinen ›Steve‹ also aus Bestandteilen dreier Wörter – der Coda von ›Tiefs‹, dem Relativpronomen und dem Anlaut der Präposition – zusammengebastelt. Statt zweier Wortgrenzen glaubte ich nur eine zu hören, und die auch noch an einer Stelle, an der sich de facto keine befand. Tatsächlich lautete der Satz nämlich bis zu diesem Punkt [tʰiːfs d̥iˑ f]. Verwirrend wirkte das nahezu voll stimmlose wortinitiale [d], das ich als unaspiriertes [t] wahrnahm – wie bei anlautendem [s] oder [ʃ] im Deutschen üblich. Die Auslautverhärtung bei einem Namen, der im Englischen auf [v] endet, trug ein Übriges bei. Sogar die Satzbetonung, die nicht auf dem Namen, sondern auf dem ersten Wort lag und damit meine Interpretation hätte unplausibel erscheinen lassen müssen, vermochte nicht, mich von meinem Verhörer abzuhalten. Was lernen wir daraus? Dass Hörer offensichtlich eine erhebliche Toleranz zeigen, was die Abweichung einer tatsächlich gehörten Lautfolge von der Ideallautung angeht, die auf der Basis einer angenommenen phonologischen Struktur erwartet wird. Auch ungewöhnliche Realisierungen können einem bestimmten Phonem sofort zugeordnet, zu Wörtern kombiniert und zur Bedeutungskonstruktion genutzt werden – auch wenn, wie in meinem Fall, ein Irrtum zugrunde liegt. Ungeachtet solcher kleiner Pannen ist das System nämlich praktikabel und alternativlos. Wörter, die in lauten Umgebungen, bei großen Entfernungen oder am Telefon problemlos übermittelt werden, wären sonst unter derartigen Bedingungen unverständlich. Dienstag, 9. Februar 2010
Barroso II: Alle Namen, alle Lautungen [Fester Link zum Beitrag]
Heute wurde vom Europaparlament die neue Europäische Kommission bestätigt – wie schon in den letzten fünf Jahren unter Leitung des Portugiesen José Manuel Durão Barroso, dessen Name hier bereits Thema war. Damit jeder Leser die Namen ab dem ersten Tag korrekt aussprechen kann, habe ich sie mit den entsprechenden Lautschriftangaben zusammengestellt. Es sind 26 Personen, und fast so viele Sprachen müsste man beherrschen, um in jedem einzelnen Fall eine perfekte Transkription anbieten zu können – das ist unmöglich. Umso mehr gilt daher für diesen Beitrag: Wer etwas besser weiß, lasse mir eine Mail zukommen.
Montag, 28. Dezember 2009
Forvo: Letzte Nachlese [Fester Link zum Beitrag]
Im Grunde ist alles gesagt zu dem Thema, aber zwei besonders hübsche Perlen sollen hier noch ihren Platz finden. Da wäre zum einen das Wort ›abalienieren‹, das laut Wörterbuch entweder ›entfremden‹ oder ›verkaufen‹ bedeutet. Dies ließe bereits erahnen, dass der Begriff über das gleichbedeutende lateinische Präfixverb ›abaliēnāre‹ auf ›aliēnus‹ für ›fremd‹ zurückgeht. Unberührt von solchen Erkenntnissen sagt der User, der die Lautung bei ›Forvo‹ hochgeladen hat, [abaliˈniːʁən] – statt dem korrekten [ˌapˀali̯eˈniːʁən]. Er schlägt das ›b‹, wie etwa in ›Abalone‹, der zweiten Silbe zu, sodass es weitgehend stimmhaft bleibt, und versteht beide ›e‹ als Dehnungszeichen, obwohl dies nur für das zweite gilt. Womöglich sollte man das Trema im Deutschen wieder einführen und ›abaliënieren‹ schreiben. Ebenfalls und zum anderen missglückt ist die Aussprache des Juristen Samuel von Cocceji. Es hätte genügt, in der Wikipedia nachzusehen, um durch die dortige eher rudimentäre IPA-Angabe eine Idee zu bekommen, wie der Name gängigerweise artikuliert wird. Probiert man es ohne Netz und doppelten Boden, wird aus [kɔkˈt͜seːji], so heißt es richtig, eben [ˈkɔkəd͜ʒiː]. In der Autowerkstatt würde man so etwas wahrscheinlich einen Totalschaden nennen.
Donnerstag, 24. Dezember 2009
Forvo: Gesammelte Highlights [Fester Link zum Beitrag]
Beim Stöbern auf forvo.com (siehe vorheriger Artikel) bin ich auf zahlreiche Einträge gestoßen, bei denen ich mich gewundert habe, warum sich Leute nicht entblöden, Wörter einzusprechen, deren gängige Lautung ihnen nicht geläufig ist. Hier eine kleine Auswahl, wobei die zu hörende, falsche Aussprache mit einem Asteriskus versehen ist:
Noch ein Nettes: Wer nach ›Katar‹ sucht, gelangt zu einem Eintrag in der Kategorie ›illness‹, bei dem eine Polin in ihrer Muttersprache das Wort für ›Schnupfen‹ artikuliert. Zusätzlich dort zu finden sind zwei deutsche Lautungen, von denen nicht klar ist, ob sie sich auf das arabische Land beziehen oder auf eine Falschschreibung von ›Katarr(h)‹. Nehmen wir zugunsten der Sprecher an, dass es um den Schnupfen geht, denn nur dafür ist die zu hörende Aussprache halbwegs richtig; das Land betont man auf der ersten Silbe. Auch bei ›Jus‹ weiß man nicht so recht, ob die angebotene Aussprache [juːs] richtig oder falsch ist: Für Rechtswissenschaft ist die Lautung zutreffend, für Fleischsaft nicht – den bezeichnet man nämlich, wie im Französischen, als [ʒyː]. Und dass die Apenninen [apɛˈniːnən] bei ›Forvo‹ als [apəˈnɪnən] zu hören sind, könnte daran liegen, dass sie dort als ›Apeninnen‹ (sic!) verzeichnet sind. Auch im Irrtum ist Konsequenz wichtig – und in der Fehlsegmentierung: Oder heißt der Fußballer Per Mertesacker [ˈmɛʁtəs.akɐ] etwa [ˈmɛʁtə.zakɐ], wie hier zu hören ist? Immerhin empfand noch jemand die Version mit [z] als ›Bad‹. Ebenfalls ›Bad‹ oder zumindest äußerst strange sind Einträge, bei denen ausländische Namen in einer, behaupte ich, ungebräuchlichen eingedeutschten Fassung zu hören sind: Gibt es ernsthaft jemanden, der den französischen Präsidenten Sarkozy, im Original [saʀkɔˈzi], als [zaːɐ̯ˈkoːzi] ausspricht? Anscheinend schon. Noch kurioser erscheint mir der Fall des flämischen Malers Pieter Coecke van Aelst, korrekt [ˈpitəɾ ˈkukə vɑn aːlst], zu dem es nicht nur diese gute Aufnahme eines Belgiers gibt, sondern auch die eines Deutschen, der [ˈkøːkə fan ˈɛːlst] sagt. Sehr hilfreich. Mittwoch, 23. Dezember 2009
Forvo.com ist eine kostenlose Website, auf die viele, die sich für die Aussprache von Begriffen in anderen Sprachen interessieren, bereits gestoßen sein dürften. Aufnahmen von ›all the words in the world‹, so heißt es, durch Muttersprachler – das klingt attraktiv und zumindest einer näheren Betrachtung wert, ob das Konzept der Seite tragfähiger ist als das bemitleidenswerte Logo, auf das der Blick des Besuchers nun einmal zuerst fällt.
Die Seite ist unkompliziert aufgebaut; wesentliche technische Hürden gibt es nicht. Wer etwas sucht, kann sowohl via Suchmaschine auf die Seite finden als auch dortselbst über die Suchmaske zu Einträgen gelangen. An diesem Punkt sollte man über eine Soundkarte und ein Audioausgabegerät verfügen, denn die Seite bietet keinerlei Lautschrift, sondern – wie erwähnt – Aufnahmen durch Laien-Nativespeaker der jeweiligen Sprache. Damit nutzt die Seite im Prinzip jedem Hörenden – und nicht nur, wie auch dieses Blog, einem kleinen Kreis akademischer IPA-Fans. Wer eigene aufgenommene Lautungen hochladen oder fehlende Aussprachen erbitten will, kann das nach unkomplizierter, anonymer Anmeldung. Inhaltlich liegt der Fokus, den die Beitragenden bestimmen, auf Eigennamen; es interessiert eben mehr Leute, wie Paulo Coelho ausgesprochen wird als wie ›rir‹ in der ersten Person Plural des konjunktivischen Mais-que-Perfeito Composto lautet (nós tivéssemos rido). Damit sind Reiz und Crux bereits beschrieben. Wie bei jedem Projekt, das auf Userbeteiligung basiert und nur durch minimale redaktionelle Eingriffe gesteuert wird, stehen auch bei ›Forvo‹ Gutes und Schrott nebeneinander – wobei ich mich auf den Inhalt beziehe und nicht auf die oft mäßige akustische Güte der Beiträge. Die Aporie benutzergenerierter Inhalte besteht darin, dass diese sich einerseits an die richten, die etwas wissen wollen, andererseits aber vieles bereithalten, das nur der, der bereits weiß, richtig einordnen kann. Wenn ich weiß, dass sich Robert Musil korrekt [ˈmuːsɪl] (bzw. mit [z] für Nicht-Österreicher) ausspricht, kann ich darüber schmunzeln, dass es zwei Einträge gibt, in denen [muˈziːl] angegeben wird. Wenn nicht, blamiere ich mich eventuell. Die Möglichkeit, als Benutzer über die Qualität der Aufnahmen abzustimmen, soll derartige Irrtümer verhindern helfen und bringt in diesem Fall – gar nichts: Die falsche Aussprache wurde je ein bzw. drei Mal von anderen Deutschen als ›Good‹ bewertet. Wer nachprüfen möchte, ist am Ende wieder auf ein kostenpflichtiges, gedrucktes Werk wie den Aussprache-›DUDEN‹ angewiesen. Im aktuellen Rahmen scheint es kaum abzustellen, dass Ahnungslose Ahnungslosen applaudieren. Die Funktion ›Report word‹ ist, wenn ich das richtig verstehe, nur für Fälle gedacht, in denen das betreffende Wort “does not really exist, is offensive or similar”. Mehr Klarheit würde weder geschaffen, indem man die falschen Aufnahmen mit einem einzelnen ›Bad‹ bewertete, noch durch das Hochladen einer Aufnahme der korrekten Aussprache. Im Fall von ›Kopenhagen‹, das üblicherweise [koːpn̩ˈhaːɡn̩] lautet und bei ›Forvo‹ von einem etwas nachlässigen Sprecher als [kɔpn̩ˈhaːɡn̩] artikuliert wird, wäre wohl noch etwas zu retten. Schade nur, dass man die Aufnahme von ›Zweibrücken‹ [ˈt͜svaɪ̯bʁʏkn̩] mit falscher Betonung auf der zweiten Silbe trotz Tippfehler in der Benennung (›u‹ statt ›ü‹) finden kann. Noch schwerer als unzutreffende Aussprachen ist zu verhindern, dass konkurrierende Lautungen für denselben Begriff hochgeladen werden. Hier wäre erneut eine kundige Kommentierung der Aufnahmen hilfreich, um die Schwankungen zu ergründen. User sind zwar gehalten, auf einer Karte anzugeben, wo ihre Varietät beheimatet ist, aber das ist eine kaum hilfreiche Angabe, wenn es nicht gerade um gröbste geografische Unterscheidungen (Irland oder Australien, Portugal oder Brasilien) geht. Nicht jeder, der in Erfurt wohnt, spricht hörbar Thüringisch. Unklar bleibt demnach, ob eine auf den ersten Blick merkwürdige Aussprache regional gebräuchlich ist oder schlicht falsch. Wer zum Beispiel wissen will, wie Cees Nootebooms Vorname im Niederländischen lautet, findet einmal [keːs] und einmal [seːs], wobei Letzteres nach meinen Informationen korrekt ist. Ohne externe Quellen hinzuzuziehen, ist der Ratsuchende an dieser Stelle so klug als wie zuvor. Manches Wörterbuch, in dem kommentarlos zwei Möglichkeiten aufgeführt werden, ist in dieser Hinsicht nicht besser; bloß ist dort wahrscheinlicher, dass nicht eine der beiden Varianten lediglich mangelnder Sachkenntnis geschuldet ist. Und: Wo man sich in Lautschrift auf ein Phonem festlegen muss, können Differenzierungen in den Aufnahmen mit einem auf halben Weg zwischen den Möglichkeiten liegenden Laut weggenuschelt werden. Eine zusätzliche kleinere Schwäche der Seite liegt darin, dass nicht-lateinische Schriften sehr uneinheitlich – und damit so gut wie unauffindbar – transkribiert werden. Dass ich auf eine akzeptable Aufnahme von Anton Pavlovič Čechovs Namen unter dessen spanischer Umschrift ›Antón Chéjov‹ gestoßen bin, war nur dem Zufall zu verdanken; mit der wissenschaftlichen Transliteration oder der deutschen Fassung ›Tschechow‹ blieb die Suche ergebnislos. So gehen Einträge praktisch verschütt, die das gar nicht verdient haben. Dasselbe kann passieren, wenn auf umständliche Transkriptionen direkt verzichtet und der Eintrag in der ursprünglichen Schrift, etwa Arabisch, gemacht wird, die für alle ohne entsprechende Tastaturbelegung schwer einzugeben ist. Wieder wird eine Diskrepanz deutlich, die sich auftut zwischen den notwendigen bis wünschenswerten Kenntnissen, um die Seite voll auszuschöpfen, und den mutmaßlichen Kenntnissen der anvisierten Gruppe derer, die ohne Vorkenntnisse dazulernen wollen. Hier wäre eine Standardisierung nicht nur angenehm, sondern unerlässlich, damit nicht Dutzende Einträge in Quasi-Orkus verschwinden. Für Phonetiker, die gar nicht wissen wollen, wie ein bestimmtes Wort ausgeprochen wird, ist die Seite eine Fundgrube voller Aussprachen in diversen Schattierungen. Vielleicht ist das die Gruppe, die mit ›Forvo‹ auf dem derzeitigen Stand die meiste Freude habe kann. Wenn es darum geht, die als richtig geltende Aussprache – insbesondere eines Eigennamens, bei dem es wenig Spielraum für Idiotismen gibt – herauszufinden, ist ›Forvo‹ als (einzige) Quelle zu wackelig. An eigener Recherche oder einem Blick in die einschlägigen Wörterbücher führt wenig vorbei. Doch: Die zugrunde liegende Idee ist gut und vor allem dahingehend ausbaufähig, dass die Seite nicht nur lustig bis kurios, sondern zunehmend nützlich ist. Samstag, 5. Dezember 2009
Wörter-[buːx] XIV [Fester Link zum Beitrag]
Anmerkung zu Herman Van Rompuy: Am Abend des 19. 11. 2009 muss in vielen deutschen Fernseh- und Radioredaktionen wieder gedacht worden sein: »Hätte es denn kein anderer werden können?« Nicht, dass der belgische Premierminister als künftiger EU-Ratspräsident für unqualifiziert gehalten würde – aber der Name! Dementsprechend kreativ fielen die ersten Ausspracheversuche aus – mal näher am niederländischen Original, bei einigen Brüsseler Korrespondenten, mal weiter davon entfernt, wie bei Gabi Bauers Versuch [fan ˈrɔmpui̯]. Inzwischen haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender wohl auf [fan ˈrɔmpɔɪ̯] als Eindeutschung geeinigt. Ich hätte für eine stärkere Annäherung an die Originalaussprache plädiert, aber auf dem Boden der deutschen Phoneme und deren üblicher Realisierungen, auf dem sich ›tagesschau‹ & Co. bewegen, ist nicht wesentlich mehr möglich. Das Niederländische bereitet dabei nicht viel weniger Schwierigkeiten als manch – germanozentrisch gesehen – ›abseitigere‹ Fremdsprache. Zu dessen belgischer Varietät ist ohnehin anzumerken, dass die ›nackten‹ IPA-Symbole teilweise nur einen Anhaltspunkt geben, wie der Laut tatsächlich klingt: Das [ɑ] ist, genauer gesagt, ein [ɑ̽], das [ɛ], präziser angegeben, ein [ɛ̝̈], und hinter dem Diphthong [œy̑] verbirgt sich so etwas wie [ɞ̞ʏ̯̽]. Das sind etwas größerere Abstände als üblich zwischen im Mittel produziertem Laut und verwendetem Zeichen. Donnerstag, 8. Oktober 2009
Literaturnobelpreis 2009 [Fester Link zum Beitrag]
Der Einstieg in diesen Artikel ist keine phonetische Beobachtung, sondern eine am Rande der literarischen Öffentlichkeit gemachte: Dieses Jahr wollte ich wieder einen Artikel anbieten zu den inoffiziellen Kandidaten für den Literaturnobelpreis, von denen geraunt wird. Natürlich sind diese Listen nichts als Kaffeesatzleserei, aber eine der amüsant-harmlosen Art, verschafft sie doch eine überblicksartige Momentaufnahme, wer in den Feuilletonredaktionen, den Universitäten, den Verlagen geschätzt wird – und vielleicht in seiner Wirkung auf die schwedische Akademie auch falsch eingeschätzt. Als kurios fiel mir nun ins Auge, dass auf den Listen, die dieses Jahr kursieren, wieder praktisch dieselben Namen stehen wie schon im Oktober 2007 und 2008, Namen, die jeder, der sich für Literatur interessiert, kennen und aussprechen können sollte: Thomas Pynchon, Amos Oz, Běi Dǎo, Haruki Murakami, Claudio Magris usw. Es ist wie die Dirndlmode fürs Oktoberfest, die sich – abgesehen von ein paar Verzierungen in der Modefarbe des jeweiligen Jahres – stets wiederholt. Das ist keine neue Tendenz und auch keine, die bisher nur mir aufgefallen wäre: Dass Autoren wie der 2008 ungenobelt verstorbene Hugo Claus oder der noch lebende, auch dieses Jahr allerorten genannte António Lobo Antunes sich über die Rolle des ewigen Nobelpreis-Favoriten beklagt haben sollen, ist wohl zwischen Koketterie und echter Irritation anzusiedeln.
Wer also sind die Farbtupfer dieses Jahres? Da wäre zum Beispiel eine nicht mehr ganz taufrische Newcomerin, die 56-jährige Herta Müller [ˈhɛʁta ˈmʏlɐ] aus Berlin – eine seit ihrem Debüt ›Niederungen‹ (1984) und derzeit wieder für ihren Roman ›Atemschaukel‹ im Feuilleton gepriesene, aber meines Wissens nicht viel gelesene Autorin. In Deutschland noch weniger wahrgenommen werden die aus Algerien stammende, auf Französisch schreibende Assia Djebar [aˈsja d͜ʒeˈbaʀ], die als wichtige Stimme des Maghreb gilt, und der syrische Lyriker Adunis (أدونيس) [ædʊˈniːs], was mit der Gattung seiner Texte zu tun haben könnte, die viele für generell schwerer übersetzbar halten als epische oder dramatische Werke. Als Außenseiter muss man den inzwischen betagten Spanier Luis Goytisolo [lwis ɡoi̯tiˈsolo] bezeichnen, ebenso wie den Österreicher Peter Handke [ˈpeːtɐ ˈhantkə], den Tschechen Arnošt Lustig [ˈarno̞ʃt ˈlustɪk] sowie den US-amerikanischen Romancier Edgar Lawrence Doctorow [ˈɛdɡɚ ˈlɑːɹəns ˈdɑːktəɹoʊ̯]. Und wer wird es nun? In knapp elf Stunden wissen wir es – auch, ob die Aussprache des Preisträger-Namens hier schon zu lesen war. Nachtrag: Sie war es – herzlichen Glückwunsch, Frau Müller! Mittwoch, 7. Oktober 2009
Wörter-[buːx] XIII [Fester Link zum Beitrag]
Sonntag, 7. Juni 2009
Wörter-[buːx] XII [Fester Link zum Beitrag]
Anmerkung zu Diaspora: Vor Kurzem hörte ich eine Aussprache dieses Wortes mit Betonung auf der vorletzten Silbe. Das ist im Deutschen ungewöhnlich und scheint von Begriffen wie ›Diaphragma‹ [diaˈfʁaɡma] oder ›Diabetes‹ [diaˈbeːtɛs] beeinflusst zu sein. Interessant ist, dass die deutsche Lautung nicht von der griechischen abgeleitet werden kann: Im Fall von διάφραγμα [diápʰraɡma], dem griechischen Wort für ›Zwerchfell‹, findet sich im Original die Betonung, die wir bei ›Diaspora‹ haben – nur dass diesem deutschen Wort das griechische διασπορά [diasporá] für ›Verstreuung‹ mit einer ganz anderen Betonung zugrunde liegt. Nur bei διαβήτης [diabɛ́ːtɛːs] ist der Wortakzent erhalten geblieben. Woher die Betonung von ›Diaspora‹ kommt, die selbst unter den ›Dia-‹ beginnenden Begriffen im deutschen Wortschatz relativ allein dasteht, ist mir unbekannt. Ich kann nur darauf hinweisen, dass mehrere europäische Sprachen den Akzent auf dieselbe Weise platzieren, etwa ›diáspora‹ [diˈaspoɾa] im Spanischen bzw. [diˈaspoɾɐ] im Portugiesischen, ›diaspora‹ [diˈaspora] im Italienischen, ›диаспора‹ [dʲɪˈaspərə] im Russischen oder im Englischen – gleichfalls mit erheblicher Veränderung der Vokalqualitäten – ›diaspora‹ [daɪ̯ˈæspəɹə]. Ausnahmen sind Sprachen mit fixierter Betonung wie Französisch, dort heißt es ›diaspora‹ [djaspɔˈʀa], Ungarisch mit seiner Variante ›diaszpóra‹ [ˈdiɒspoːrɒ] oder Georgisch, das mit დიასპორა [diˈɑsp’ɔrɑ] das griechische Wort benutzt, wie das auch Japanisch und Koreanisch tun, und rein zufällig durch den üblichen Akzent auf der Antepänultima die Originalbetonung reproduziert. Donnerstag, 21. Mai 2009
Wörter-[buːx] XI [Fester Link zum Beitrag]
Anmerkung zu Tadeusz Różewicz: Über die Realisierung der polnischen Grafeme ›sz‹, ›rz‹ und ›ż‹ herrscht Uneinigkeit. Es gibt zwei Positionen: Die erste – meines Erachtens phonetisch plausiblere – besteht in der Annahme, dass die Laute als [ʃ̻] und [ʒ̻], das heißt: mit dem Zungenblatt an den Alveolen artikuliert, richtig beschrieben sind; die zweite hält die Konsonanten für laminal und retroflex, also [ʂ̻] und [ʐ̻]. Unumstritten ist, dass die beiden Laute mit [ɕ] und [ʑ] kontrastieren, die unter anderem den Grafemen ›ś‹ und ›ź‹ entsprechen. Mittwoch, 21. Januar 2009
Wörter-[buːx] X [Fester Link zum Beitrag]
Anmerkung zu Thukydides: Die Lautung altgriechischer Namen in lebenden Sprachen ist zuweilen sonderbar, wie ich schon einmal in einem Beitrag vor anderthalb Jahren angemerkt hatte. Bei dem Namens des besagten Historikers hat sich von der klassisch attischen zur neugriechischen Lautung – wie man es in rund 2500 Jahren erwarten kann – einiges geändert. Gleich blieb jedoch die Betonung: Sie liegt in jedem Fall auf der vorletzten Silbe, wobei sie heute nicht mehr, wie vermutlich einst im Altgriechischen, als Pitch-Akzent realisiert wird. Merkwürdig ist nun, dass diese Betonung in kaum einer mitteleuropäischen Sprache wiederzufinden ist. Im Deutschen zum Beispiel sagen die meisten Altsprachler [tuˈkyːdidɛs], in Spanien heißt es [tuˈθiðiðes] bei der Schreibweise ›Tucídides‹, Briten schreiben ›Thucydides‹ und sagen [θjuˈsɪdədiːz]. Sprachen mit fixiertem Wortakzent wie das Französische, das ein dem Griechischen ähnliches [tysiˈdid] hat, oder das Polnische, wo es meines Wissens [tukiˈdɨdɛs] heißt, fallen bei dieser Betrachtung heraus. Mittwoch, 5. November 2008
Wörter-[buːx] IX [Fester Link zum Beitrag]
Montag, 6. Oktober 2008
Wörter-[buːx] VIII [Fester Link zum Beitrag]
Herzliche Grüße gehen an eine Friedensforscherin mit ausdauernden Ohren:
Anmerkung zu Martina Gedeck: Die Schauspielerin heißt in der Tat wie das, was das wohl bekannteste deutsche Wörterbuch definiert als »Gesamtheit aller für eine Person auf einen Tisch in bestimmter Anordnung hingelegten Gegenstände zur Benutzung bei einer Mahlzeit«. Diese Gesamtheit spricht man allerdings [ɡəˈdɛk]. Anmerkung zu Cem Özdemir: Im Durchschnitt hat sich die Aussprache des Nachnamens in letzter Zeit deutlich verbessert. Noch vor wenigen Jahren war [ˈœts-] weit verbreitet. Der Buchstabe ›z‹ steht im Türkischen, anders als in der deutschen Sprache, invariabel für [z]. Aufgrund der deutschen Auslautverhärtung wird aus dem am Ende der ersten Silbe stehenden /z/ ein [s]. In der Türkei würde man den Namen auf der letzten Silbe betonen; der Politiker scheint sich in seiner Präferenz an die deutsche Intuition angepasst zu haben. Der Weg vom populären, aber der ursprünglichen Lautung unangemessenen Wiedergabe des Vornamens als [tʃɛm] zum adäquaten [dʒɛm] scheint etwas weiter zu sein. ... older stories
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