Mittwoch, 1. August 2007
Die Popularität des Artikels über Bands mit Heavy-Metal-Umlaut im Namen (siehe 8. Juli) und ein Thread aus einem Gothic-Forum haben mich zu einer Fortsetzung gereizt. Es soll dieses Mal nicht speziell um die Umlautschreibweise, sondern um Bandnamen im Allgemeinen gehen. Der Diskussionsfaden, den ich gefunden habe, zeigt, dass man von Nicht-Linguisten in phonetischer Hinsicht nicht zu viel erwarten sollte. Die meisten Menschen sprechen neben ihrer Muttersprache maximal eine Fremdsprache, meistens Englisch (falls das nicht gerade ihre Muttersprache ist), und selbst das nur leidlich. Kommt es zu Bandnamen wie L’Âme Immortelle, wird es also schwierig: In besagtem Forum wurde spekuliert, ob das erste Wort nicht ausgesprochen werden müsse, als habe es einen Akutakzent auf dem letzten Buchstaben. Nein. Der Bandname bedeutet »unsterbliche Seele« – an Originalität den meisten Namen in dieser Musikrichtung in nichts nachstehend – und spricht sich [ˌlɑm imɔʀˈtɛl] – für die meisten heutigen Französischsprecher mit [a] für [ɑ]. Doch auch bei englischen Begriffen wird über die Aussprache mehr spekuliert als gewusst: Dabei könnte man beispielsweise den Bandnamen Evanescence als Vokabel in vielen Online-Wörterbüchern nachschlagen sowie dadurch herausfinden, dass das Wort mit »Schwund« zu übersetzen ist und sich [ˌɛvəˈnɛsənts], alternativer Anlaut: [ˌiːvə-], spricht. Das Gleiche gilt für Hypocrisy – mir war bis heute Abend übrigens unbekannt, dass es eine Band dieses Namens gibt – mit der Bedeutung »Heuchelei« und der Aussprache [hɪˈpɒkɹəsi]. Als es in dem Forum schließlich um spanische Bands ging, konnte ich mich eines Schmunzelns nicht erwehren: Ob man die Buchstabenfolge oe in Héroes del Silencio wohl [ø] ausspreche, wurde gefragt. Nein, wirklich nicht. Richtig ist [ˈeɾoes ðel siˈlenθjo]. Als für Mitteleuropäer komplizierteren Fall akzeptieren kann man den Namen der norwegischen Band Dimmu Borgir, die sich nach einem Lavafeld in Island benannt hat. Die korrekte isländische Aussprache ist [ˈtɪmːʏˌpɔrcɪr̥]. Das Isländische hat (siehe 19. Juli) keine stimmhaften Plosive. – Ich könnte noch wochenlang jeden Abend zu diesem Thema schreiben, ohne dass mir die Bandnamen ausgehen. Muss aber nicht sein.



Dienstag, 31. Juli 2007
Nach Theaterregisseuren, Literaten und Politikern soll auch die Popmusik zu ihrem Recht kommen, zumal gerade dort die Gefahr falscher Aussprachen hoch ist, weil die Akteure schneller wechseln und oft ungewöhnlichere Pseudonyme haben als auf anderen Gebieten: So wirbt Thomas Hübner als Clueso um die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums. Benannt hat er sich nach Inspektor Jacques Clouseau aus Blake Edwards’ The Pink Panther, den man [ˌʒak kluˈzo] spricht. Vielleicht ist Clueso diese Aussprache unbekannt, vielleicht gefällt sie ihm nicht: Sein Künstlername lautet jedenfalls [klyˈzoː]. Erheblich erfolgreicher, also auch umso häufiger falsch ausgesprochen zu hören, sind Sängerinnen wie Christina Aguilera, Beyoncé, Rihanna und Ciara. Beginnen wir von hinten: Ciara kann sowohl ein weiblicher irischer Vorname sein, der sich [ˈciəɾˠə] spricht, als auch der Vorname besagter Interpretin mit der Lautung [siˈɛɹə]. Von Rihannas Namen kursieren auf diversen dubiosen Seiten ebenso diverse wie dubiose Angaben über die korrekte Lautung. In einem Video, das ich gefunden habe, ist zu hören, wie die Sängerin ihren Namen ausspricht, und zwar [ɹiˈænə]. Auch wenn der Akutakzent anderes glauben machen möchte, reiht sich Beyoncé mit einem Namen ein, der auf der zweiten – und nicht der letzten – Silbe betont wird, also [biˈjɑːnseɪ̯]. Auch im Fall von Christina Aguilera, deren Nachname regelmäßig der Kreativität des jeweiligen Sprechers anheim fällt, besteht phonetischer Aufklärungsbedarf, vornehmlich im deutschsprachigen Raum: Die Aussprache, die von der Sängerin selbst verwendet wird, ist [kɹɪsˈtiːnə æɡɪˈlɛɹə]. Wobei: Die exakte Transkription könnte genauso gut [ɛɡɪˈlæɹə], [ɛɡɪˈlɛɹə] oder noch anders aussehen. Kann man das bei einer Interpretin wissen, die im selben Interview betont, sie sei [ˈhɛpi], ihr “new [ˈrækɚd]” fertiggestellt zu haben?



Freitag, 20. Juli 2007
Annie Leibovitz [Fester Link zum Beitrag]
Der Name der US-amerikanischen Fotografin gehört im Deutschen zu denen, deren Lautung in der Herkunftssprache gerne ignoriert wird. Die korrekte Aussprache ist [ˈæni ˈliːbəvɪt͜s]. Der Digraph ei kann im Englischen unter anderem für [eɪ̯] stehen (wie in eight), für [aɪ̯] (wie in either), für [ɛ] (wie in leisure), für [ɪ] (RP) bzw. [ə] (GA) (wie in sovereign) – oder eben für [iː] (wie in seize) Wer nicht gerade die Etymologie all dieser Wörter präsent hat, sollte sich bei der Aussprache auf sein Gedächtnis oder ein gutes Wörterbuch verlassen können, im Falle von Namen wahlweise auch auf ein um Korrektheit bemühtes Phonetik-Blog ;-)



Freitag, 20. Juli 2007
Rosamunde Pilcher [Fester Link zum Beitrag]
Ich habe zufällig gelesen, dass in einem anderen Blog (Link) vor einer Weile hierher verwiesen wurde. Gerne erfülle ich den Wunsch, die Aussprache von Rosamunde Pilchers Namen zu kommentieren. Ich gehe davon aus, dass die alte Dame folgende Lautung selbst verwendet: [ˈɹɒzəmənd ˈpɪltʃə]. Ebenfalls möglich wäre im Englischen [ˈɹəʊzəmənd] für den Vornamen. Im deutschsprachigen Raum hingegen, wo die Autorin sehr populär ist, wird ihr Name fast immer [ˈʁoːzamʊndə ˈpɪlçɐ] gesprochen. Warum? Dies dürfte unter anderem mit dem Publikum zusammenhängen, das Pilcher bedient. Das Genre des trivialen Liebes- und Familienromans, dem ihre Bücher zuzurechnen sind, spricht mehrheitlich alte und relativ ungebildete Leser an, die mangels Fremdsprachenkenntnissen die Übersetzungen der Romane lesen. Da der Name durchaus auf eine deutsche Autorin hindeuten könnte, wird – behaupte ich – von vornherein nicht wahrgenommen, dass es sich um eine englische Schriftstellerin handelt. In den bildungsbürgerlichen Kreisen, durch deren linguistisches Interesse sich in der Regel die korrekte Lautung fremdsprachlicher Namen verbreitet, ist es verpönt, Pilcher-Bücher oder deren Verfilmungen zu kennen. Der Standard für die Aussprache, wenngleich wohl aus Unkenntnis oder Desinteresse entstanden, wurde also offenbar von denjenigen gesetzt, die Pilchers Werke tatsächlich konsumieren, und von vielen anderen übernommen.



Montag, 9. Juli 2007
Heavy-Metal-Umlaut [Fester Link zum Beitrag]
Die US-amerikanische Rockband Blue Öyster Cult war eine der ersten Formationen, die sich dieser Schreibweise bediente. Meistens in Kombination mit einer Frakturschrift sollte dem Bandnamen damit ein »germanischer« Touch verliehen werden. Die britischen Motörhead waren wahrscheinlich die nächsten, gefolgt von Hüsker Dü, Mötley Crüe und einigen anderen. Eine Weiterentwicklung stellt die Diärese in Queensrÿche dar, die man in dieser Verbindung im Französischen vermuten würde. Noch einen Schritt weiter ging die Filmband Spın̈al Tap, die dem i einen Punkt nahm und dem n dafür gleich zwei verpasste. Bleibt nur eine Frage offen: Wie spricht man die Buchstaben mit Trema aus – das ö vielleicht [ø], das ü etwa [y]? Ganz falsch. Die Antwort ist viel banaler: Man spricht die Bandnamen, als seien die Diakritika gar nicht da. Motörhead sind phonetisch folglich [ˈməʊtəˌhɛd], und die Amerikaner Mötley Crüe entpuppen sich lediglich als ein bunter Haufen (engl. motley crew) mit der gewöhnlichen Lautung [ˌmɑːtliˈkɹuː]. Selbst bei Queensrÿche ist die Aussprache [ˈkwiːnzˌɹaɪk] längst nicht so überraschend wie die Grafie. Schade eigentlich.



Donnerstag, 5. Juli 2007
Für Briten und die meisten anderen Muttersprachler des Englischen dürfte der Anfang meines Beitrags redundant sein. Zahlreiche Deutsche jedoch – ich schließe mich ausdrücklich ein – scheinen gerne zu vergessen, woran ich heute dezent erinnert wurde (danke, Beeke!): Die Themse spricht sich im Englischen nicht etwa mit einem Diphthong, sondern [tɛmz]. Damit es auch für Briten interessant wird, habe ich zwei Handvoll Exonyme des Flusses gesammelt. Beginnen wir in Deutschland: Dort nennt man ihn Themse, was man [ˈtɛmzə] spricht. Für Franzosen handelt es sich um la Tamise [taˈmiz]. In diesem Kontext wird [i] meist lang gesprochen; bedeutungsunterscheidend ist diese Quantität jedoch nicht. Für Italiener fließt durch London il Tamigi – beachte das Genus! – mit der Aussprache [taˈmiːdʒi]. Auch in Spanien ist dieser Strom männlich: El Támesis wird [ˈtamesis] gesprochen. Im Portugiesischen ist die Schreibweise Tâmisa (auch ohne Zirkumflex) verbreitet, was man in Europa [ˈtɐmizɐ] spricht. Bevor wir zu Sprachen mit anderen Schriftsystemen als dem lateinischen Alphabet kommen, sei auf die niederländische Theems [teːms] – auch mit dem Diphthong [eɪ] eng zu transkribieren –, die polnische Tamiza [taˈmiza] sowie die ungarische Temze [ˈt̪ɛmz̻ɛ] hingewiesen; [t] wird im Ungarischen dental, [z] laminal artikuliert. In Griechenland schreibt man Τάμεσης und spricht [ˈtame̞s̺is̺]; auch hier bemerkt der Kenner ein kleines Feuerwerk von Diakritika, die auf ein etwas stärker geöffnetes [e], das man genauso gut [ɛ̝] schreiben könnte, und eine apikale Aussprache von [s] hinweisen. Die kyrillische Schreibweise ist Темза, dessen Lautung [ˈtʲe̞mzə]. Japaner schreiben den Fluss テムズ und sprechen ihn [temɯzɯ]. Unsere kleine phonetische Schifffahrt endet im Osten, wo Chinesen 泰晤士河 (Pinyin: Tài Wù Shì Hé) schreiben und auf Mandarin [˥˩ tʰaɪ ˥˩ wu ˥˩ ʂɨ ˧˥ xɤ] sprechen. Ich hoffe, dass bei so vielen Sprachen niemand seekrank geworden ist.



Dienstag, 3. Juli 2007
Jacqueline Bisset [Fester Link zum Beitrag]
Der britische Singer/Songwriter Al Stewart nahm 1970 ein Stück mit dem Titel Clifton in the Rain auf, in dem die Schauspielerin angesprochen wird. Die Strophe mit den betreffenden Zeilen lautet:

Jacqueline Bisset
I saw your movie
Wondered if you really felt that way
Do you ever fear
The images of Hollywood?
Have you felt a shadow of its pain?
I thought of you in Clifton in the rain
(Vollständiger Songtext: Link)

Als Reim mit way im dritten Vers kann der Nachname Bissets nur [bɪˈseɪ] gesprochen bzw. gesungen werden – und wird es, wie man auf Al Stewarts Aufnahme hört. Dummerweise ist das falsch. Die korrekte Lautung des Namens ist nämlich [ˈdʒækəlɪn ˈbɪsɪt]. Stewart bekannte sich in einem Interview zu seinem Irrtum, singt aber auf Konzerten weiterhin die falsche Fassung – nach seinen Angaben aus Gewohnheit und um des Reimes willen.



Mittwoch, 27. Juni 2007
Die korrekte Aussprache seines Namens ist trotz der jüngsten Kontroverse über seinen Ritter­schlag vielen deutsch- und englischsprachigen Menschen unbekannt. Interessant sein könnte ein Blick auf die Schreibweise und zugehörige Aussprache des Namens in zwei Sprachen In­diens, wo Rushdie geboren ist: Auf Urdu schreibt man seinen Namen سَلمان رُشدی und spricht ihn [salmɑːn rʊʃdi]. In der Schreibweise, die hier angeführt ist, habe ich mittels eines Zabar im Vornamen sowie eines Pesch im Nachnamen zwei sonst nicht geschriebene Vokale angege­ben. Ich füge keine Betonung hinzu, weil sie in dieser Sprache nicht distinktiv ist. Auf Hin­di, geschrieben in Devanāgarī, sieht der Name wie folgt aus: सलमान रश्दी. Die Lautung ist, wie zu erwarten, ähnlich und kann ebenfalls ohne Betonungsmarkierung transkribiert werden: [sɐlmɑ̃ːn rɐʃd̪iː]. Die Nasalisierung im Vornamen ist rein allophonisch und tritt in Hindi stets auf, wenn ein Vokal vor oder hinter einem nasalen Konsonanten steht. Und was machen nun wir aus diesen phonetischen Erkenntnissen in Europa? Die bevorzugte Lautung des Au­tors im Englischen ist [sælˈmɑːn ˈɹʊʃdi] – ziemlich nah an den anderen beiden Aussprachen.



Dienstag, 26. Juni 2007
Robert Zoellick [Fester Link zum Beitrag]
Gestern wurde Zoellick vom Exekutivrat der Weltbank einstimmig als Nachfolger Paul Wolfowitz’ im Amt des Präsidenten der Finanzinstitution vorgeschlagen. Die Aussprache seines Namens, vollständig: Robert Bruce Zoellick, ist bisher nicht zu allen deutschen Sprechern durchgedrungen. Sie lautet: [ˈɹɑːbɚt bɹuːs ˈzɛlɪk]. Im amerikanischen Englisch kann oe unter anderem für [oʊ] stehen (wie in goes), für [ʌ] (wie in does), für [iː] (wie in amoeba), aber auch für [uː] (wie in canoe) – oder eben für [ɛ] (wie in roentgen). Man muss sich die Aussprache von Zoellicks Namens also einfach merken, aber es lohnt sich: Er tritt am Sonntag eine fünfjährige Amtszeit an, in der sicher von ihm zu hören sein wird.



Montag, 18. Juni 2007
Gemeint ist die Past-Simple- bzw. Past-Participle-Form des englischen Verbs to shine. Die meisten Wörterbücher verzeichnen als einzige Aussprache [ʃɒn] bzw. [ʃɑːn] als Variante mit amerikanischer Vokalqualität. Meine Beobachtungen und die Onlineausgabe des Merriam-Webster (Link) widersprechen dem: Die verbreitetste Lautung der Verbform in den Vereinigten Staaten ist [ʃoʊn]. Vor kurzem hörte ich einen Amerikaner das Gedicht Musée des Beaux Arts des englischen Dichters W. H. Auden rezitieren. In der vierten Zeile des letzten Teils, der im Folgenden zu lesen ist, sprach er shone diphthongisch aus:

In Breughel’s Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the ploughman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
Had somewhere to get to and sailed calmly on.
(Vollständiges Gedicht und Gemäldeabbildung: Link)

Sogleich wurde seine Aussprache korrigiert, und tatsächlich: In diesem Stück Lyrik ist die Lautung [ʃɒn] obligatorisch, um den Reim mit on in der letzten Zeile zu bewahren. Vielleicht hätte man von vornherein einen Briten das Gedicht lesen lassen sollen: Auden, rezitiert von einem Amerikaner, klingt so passend wie Allen Ginsbergs Howl mit britischem Akzent.



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