DAS PHONETIK-BLOG [foˈneːtɪkˌblɔk]


Montag, 16. Januar 2012
[ɡəˈzuːxt] und gefunden: B [Fester Link zum Beitrag]
Hier kommt der zweite Teil der noch jungen Serie. Auch diesen Artikel plane ich im Laufe der Zeit immer wieder mit neuen Begriffen zu ergänzen:
  • Baalbek
    Anders als Reinbek oder Wandsbek liegt Baalbek nicht in Nord­deutsch­land, sondern im Libanon. Zu Zeiten Alexander des Großen trug die Stadt den Namen Ἡλιούπολις (Sonnenstadt), was in der klassischen, attischen Form des Alt­griechischen [hɛːlióːpolis] und im späteren Koine-Griechisch um die Jahr­tausend­wende wohl [eˈli̯upolis] lautete. Der arabische Name spricht sich heute [bɑˈʕɑlbæk]. Er enthält als erstes Element ›Baal‹ – ein Wort mit der Bedeutung ›Herr, Meister‹, das wir in mehreren (semitischen) Sprachen im Mittelmeerraum, unter anderem dem Hebräischen (vgl. ›Beelzebub‹ mit biblischem Ursprung) und dem Akkadischen, finden. Das zweite Glied bezieht sich auf die Bekaa-Ebene, auf der sich die Stadt befindet. Der Vollständigkeit halber: Neben der geografischen Lage unterscheidet Baalbek und norddeutsche Städte, dass das Element ›-bek‹ bei Letzteren zumeist [-beːk] lautet, also zum Beispiel [ˈʁaɪ̯nbeːk] für ›Reinbek‹. Es geht auf ein niederdeutsches (und im Niederländischen noch heute gebräuchliches) Wort ›Beek‹ zurück, das mit ›Bach‹ verwandt und gleichbedeutend ist. In der Hoffnung, die Aussprache mit langem Vokal grafisch klarer zu machen, wurde das ›c‹ aus dem ursprünglich ›-beck‹ geschriebenen Element getilgt (vgl. auch hier zu Dehnungszeichen). Man kann sagen, dass diese Hoffnung zumindest überregional enttäuscht wurde.
  • Bacchus und Bruschetta
    Ich behandle diese zwei Wörter, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, an dieser Stelle gemeinsam, weil in beiden die Buchstabenkombination ›(c)ch‹ für Unsicherheit bei der Aussprache sorgt. Im Fall von ›Bacchus‹ ist das durchaus begründet: Bei Βάκχος handelt es sich ursprünglich um einen Beinamen von Dionysos, dem griechischen Gott des Weines und Rausches, den man klassisch [bákːʰos] sprach. Als (Bei-)Name des römischen Fruchtbarkeitsgottes Liber etablierte sich die latinisierte Form ›Bacchus‹, die man im Deutschen immer noch verwendet. Sie lautete zu klassischer Zeit [ˈbakʰʊs]. Es ist jedoch wohl der traditionellen Schulaussprache des Lateinischen zuzuschreiben, dass sich im Deutschen [ç] und [x] für ›(c)ch‹, allophonisch verteilt wie in der Muttersprache, durchsetzten. Deswegen heißt es in Deutschland heute üblicher­weise [ˈbaxʊs], während in Österreich die historisch fundiertere Lautung [ˈbakʊs] überwiegt. Im Italienischen dagegen ist die Lage einfacher und klarer: ›(c)ch‹ wird immer [k(ː)] ausgesprochen, weshalb ›Bruschetta‹ [brusˈketːa] lautet.
  • Bad Salzuflen
    Der kritische Teil des Namens beginnt zwar nicht mit ›B‹, aber trotzdem sei hier schnell die korrekte Lautung vermeldet: [ˌbaːt zalt͜sˈˀʊflən] (offenbar von ahd. lōh, ›Wald‹).
  • Bagehot
    Walter Bagehot (1826–1877) war ein britischer Ökonom und Autor. Sein Nachname, der [ˈbæd͡ʒət] gesprochen wird, lebt fort als Titel einer Kolumne über britische Politik in The Economist, einer Zeitschrift, deren Herausgeber Bagehot jahrelang war. Andere Kolumnen tragen ihre Namen ebenfalls nicht ohne Grund, wobei reale Personen für einige weitere Pate standen: Die nach dem britischen Mathe­matiker Charles Babbage [ˌt͡ʃɑːlz ˈbæbɪd͡ʒ] benannte Reihe beschäftigt sich mit Fragen der Wissenschaft. ›Charle­magne‹ – französisch [ʃaʀləˈmaɲ], englisch [ˈʃɑːləmeɪ̯n], deutsch Karl der Große – leiht seinen Namen einem Tagebuch über europäische Angelegenheiten, der General Carl von Clausewitz [ˌkaʁl fɔn ˈklaʊ̯zəvɪt͜s] einem über Verteidigungs- und Sicherheitsfragen und der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter [ˌjoːzɛf ˈʃʊmpeːtɐ] einem über Wirtschaft und Management. Als Samuel Johnson [ˌsæmjuəl ˈd͡ʒɒnsn̩], ein Lexiko­graf des 18. Jahrhunderts, wird beim Economist über Sprache geschrieben.
  • Bahrain
    Die im Deutschen gebräuchlichsten Lautungen sind [baˈʁaɪ̯n] und [baxˈʁaɪ̯n]. Woher kommt das /x/ im zweiten Fall? Aus dem Arabischen natürlich, wo das kleine König­reich البحرين (al-Baḥrayn) heißt, was sich [ælbæħˈræjn] spricht. Der deutsche velare bzw. uvulare Frikativ ist die bestmögliche Annäherung an den pharyngal-epiglottalen Laut des Arabischen, der bei der phonetischen Anpassung auch häufig ignoriert wird. Bei der Gelegenheit sei erwähnt, dass der in englischen Lehnwörtern im Deutschen verwendete Diphthong [eɪ̯] den Zwielaut des Arabischen vielleicht besser wiedergeben würde als [aɪ̯], aber wesentlich seltener zu hören ist.
  • Butadien
    Dieser chemische Begriff ist als Buta-di-en zu segmentieren. Für Ketten aus Kohlen­stoffatomen verwendet man die Endung ›-an‹ (gesättigte Verbindungen; Alkane), wobei der jeweilige Terminus über ein Zahlwort hergeleitet wird, das die Anzahl der Kohlen­stoffatome angibt. Methan, Ethan, Propan und Butan, die über ein bis vier Kohlenstoff­atome verfügen, durften seinerzeit ihre Namen behalten. Handelt es sich um un­gesättig­te Kohlenwasserstoffverbindungen mit C=C-Doppelbindung (Alkene), wird ›-en‹ statt ›-an‹ angehängt. Je nach Anzahl der Doppel- und Dreifachbindungen steht vor ›-en‹ ein weiteres Zahlensuffix. Butadien ist demnach eine ungesättigte Verbindung mit vier C-Atomen und zwei Doppelbindungen. Man spricht das Wort [butaˈdi̯eːn].



Samstag, 17. Dezember 2011
Frohe Weihnachten … [Fester Link zum Beitrag]
… und ein gutes neues Jahr wünsche ich auch dieses Jahr allen Lesern des Phonetik-Blogs in zehn Sprachen – natürlich nicht denselben zehn wie letztes Jahr. Das wäre ja öd.

Auf Baskisch: Zorionak eta urte berri on!
[s̻oˈɾionak ˌeta ˈuɾte ˈberi on]

Auf Bulgarisch: Честита Коледа и щастлива Нова Година!
[t͜ʃɛsˈtitɐ ˈkɔlɛdɐ i ʃtɐstˈlivɐ ˈnɔvɐ ɡoˈdinɐ]

Auf Chinesisch: 圣诞快乐。新年快乐。
[˥˩ ʂɤŋ ˥˩ tan ˥˩ ku̯aɪ̯ ˥˩ lɤ | ˥ ɕin ˧˥ ni̯ɛn ˥˩ ku̯aɪ̯ ˥˩ lɤ] (Mandarin)

Auf Dänisch: Glædelig jul og godt nytår!
[ˌɡ̊lɛːðəli ˈjuːʔl ɔ ˌɡ̊ɔd̥ ˈnyd̥ɒːʔ]

Auf Esperanto: Ĝojan Kristnaskon kaj feliĉan novan jaron!
[ˌd͡ʒoi̯an ˌkɾistˈnaskɔn kai̯ feˈlit͡ʃan ˌnovan ˈjaɾon]

Auf Griechisch: Καλά Χριστούγεννα και Καλή Χρονιά!
[kaˌla xɾisˈtuʝɛna kɛ kaˌli xɾɔˈni̯a]

Auf belgischem Niederländisch: Zalig kerstfeest en een gelukkig nieuwjaar!
[ˌzaːləç ˈkɛʀ̥stfeːst ən ə ʝəˈlɵkəç ˌniu̯ˈjaːʀ̥]

Auf Rumänisch: Crăciun fericit şi un An Nou fericit!
[krəˈt͜ʃjun feriˈt͜ʃit ʃjun ˈan ˈnɔw feriˈt͜ʃit]

Auf Russisch: С Новым Годом и Рождеством Христовым!
[s ˈnovɨm ˈɡodəm i rəʐdʲɪˈstvom xrʲɪˈstovɨm]

Auf Ungarisch: Kellemes Karácsonyt és Boldog Új Évet!
[ˈkɛlːɛmɛʃ ˈkɒraːt͜ʃoɲt eːʒ ˈboldoɡ uːj ˈeːvɛt]



Freitag, 25. November 2011
[ɡəˈzuːxt] und gefunden: A [Fester Link zum Beitrag]
Rubriken sind etwas Schönes, weil sie dem Autor Denkarbeit abnehmen und dem Leser eine meist als angenehm empfundene Erwartbarkeit bieten. Wer die Rubrik blöd findet, weiß, dass er gleich weiterklicken kann; wer sie mag, freut sich auf die nächste Folge.

Ab heute gibt es hier also diese neue Rubrik. Darin widme ich mich Begriffen, deren korrekte oder gängige Aussprache – ausweislich der Vorschlagslisten in Suchmaschinen – von vielen online herauszufinden versucht wird. Das dürfte eine bunte Mischung aus deutschen oder fremdsprachigen Wörtern und Eigennamen sein. Pro Folge nehme ich mir einen Anfangs­buchstaben vor. Um nicht demnächst mit dem Alphabet von vorne anfangen zu müssen, werde ich die Einträge gelegentlich aktualisieren. Vorschläge zu populären Zweifelsfällen, die von den Suchmaschinen nicht erfasst sind, nehme ich gerne entgegen.
  • Aaron
    Männlicher Vorname. Im Deutschen lautet er [ˈaːʁɔn]. Im Englischen ist [ˈɛə̯ɹən] (BE) bzw. [ˈɛɹən] (AE) die traditionelle Aussprache; möglich ist auch [ˈæɹən]. Die arabische Variante ist ›Hārūn‎‹ (هارون); sie wird [hæːˈruːn] gesprochen. Kurios: Der Aussprache­DUDEN bietet eine rumänische Lautung an, die hier nicht fehlen soll: [ˈaɾon].
  • Accessoire
    Von der französischen Aussprache [aksɛˈswaːʀ] bzw. [akseˈswaːʀ] weicht die deutsche nur wenig ab: [aksɛˈso̯aːɐ̯]. Schöner Triphthong. Lautungen, in denen [ks] durch [s] ersetzt wird, gelten im Deutschen als nachlässig bis falsch. Im Niederländischen hat es [ɑsɛˈswaːɾ] bereits in die Wörterbücher geschafft, teilweise sogar als erste Wahl.
  • Aconcagua
    Berg in Südamerika. Die spanische Aussprache ist [akoŋˈkaɰwa]. [ɰ] wird bisweilen [ɣ] transkribiert, obwohl ich es sonderbar finde, den Laut einerseits als Approximant zu charakterisieren, andererseits aber ein Symbol für einen Frikativ zu verwenden, hier und da mit Diakritikum: [ɣ̞]. Ich lese bei Martínez-Celdrán et al. 2003 (Journal of the IPA 33/2), dass [ɰ] das falsche Symbol sei “because it represents an unrounded semi­vowel that requires spread lips” (S. 257). Keine Ahnung, woher sie das haben: In meinem IPA-Handbuch wird der Laut als “voiced velar approximant” beschrieben.
  • Advertisement
    Das englische Wort für ›Werbung‹, kurz auch ›ad(vert)‹, ist ein Klassiker, der immer wieder gerne besprochen wird. Die im britischen Englisch vorherrschende Aussprache ist [ədˈvɜːtɪsmənt]; in den USA sagt man [ˌædvɝːˈtaɪ̯zmənt].
  • Adele
    Weiblicher Vorname. Er kommt aus dem Französischen, wo er [aˈdɛl] lautet. Auf Deutsch ist daraus [aˈdeːlə] geworden, auf Englisch [əˈdɛl], auf Italienisch [aˈdɛːle].
  • aerob
    Adjektiv. Deutsche Aussprachewörterbücher führen eine Reihe von Begriffen, deren erster Bestandteil ›aer(o)-‹ ist und die [aeʁ(o)-] lauten sollen. Die Zahl der Wörter, bei denen diese Buchstabenfolge für [ɛʁ(o)-] steht, ist demgegenüber klein. Trotzdem ist die [ɛ]-Aussprache offenbar weit verbreitet. ›Aerob‹ ist also präskriptiv [aeˈʁoːp], aber häufig [ɛˈʁoːp]. Für ›Aerobic‹ hätte der DUDEN – in Anlehnung an das englische [ɛˈɹoʊ̯bɪk] (AE) – gerne [ɛˈʁoːbɪk], während mir [ɛˈʁɔbɪk] gängiger erscheint.
  • Affiliate
    Der Begriff taucht im Deutschen vor allem in der Zusammensetzung ›Affiliate-Marketing‹ auf. Für Verwirrung bei der Aussprache sorgt, dass das Verb ›to affiliate‹ (angliedern, assoziieren) im Englischen anders lautet als das Substantiv ›affiliate‹ (Tochtergesell­schaft, Zweigfirma). Beim Verb wird mit [əˈfɪlieɪ̯t] in der letzten Silbe ein Diphthong realisiert, der beim Substantiv und Adjektiv mit [əˈfɪliət] zu einem Schwa reduziert wird. Letzteres ist die Aussprache, auf der Eindeutschungen basieren sollten.
  • Akquise
    Das wohl einzige deutsche Wort mit der Buchstabenfolge ›kq‹ ist auch des­wegen etwas Besonderes, weil direkt hintereinander ›k‹ und ›qu‹ stehen, die [k] bzw. [kv] wieder­geben. Muss man also zwei ›k‹ sprechen? Nein, die übliche Aussprache ist [aˈkviːzə]. Aus phonetischer Sicht wäre *›Aquise‹ eine genauso gute Schreibweise und tatsächlich schrieb man das zugrunde liegende Verb im Altfranzösischen ›aquerre‹. Irgendwann ist das etymologisch korrekte ›c‹ bzw. ›k‹, das die assimilierte lateinische Präfixendung aus ›acquaerere‹ (eigentlich ›ad-quaerere‹) erkennen lässt, wieder hinzugekommen.
  • Apnoe
    Abgeleitet von altgriechisch ἄπνοια [ápnɔi̯a] ›Atemlosigkeit‹ lautet die Eindeutschung [aˈpnoːə]. Es ist richtig, dass griechisches ›οι‹ bisweilen zu deutschem [ø] wird (vgl. ›Öko-‹ von griech. οἶκος oder ›Amöbe‹ von griech. ἀμοιβή), aber das ist eher die Ausnahme als die Regel und meist dadurch bedingt, dass wir das Wort nicht direkt aus dem Griechischen, sondern über das Lateinische oder in einer latinisierten Form übernommen haben. Für ›Apnoe‹ gilt dies nicht; die Formen mit [ø] sind unüblich.
  • Arcimboldo
    Italienischer Maler, vollständig Giuseppe Arcimboldo: [d͡ʒuˈzɛpːe art͡ʃimˈbɔldo].
  • Artemis
    Griechische Göttin der Jagd. Anders als bei manch anderem griechischen Namen hat sich die Aussprache hier wenig verändert: Ἄρτεμις spricht man [ártɛmis]. Im Deutschen heißt es [ˈaʁtemɪs], im Englischen [ˈɑːtɪmɪs] (BE) bzw. [ˈɑːɹtɪmɪs] (AE).
  • Axon
    Das Wort wird nicht in Analogie zu etwa ›Aceton‹ [at͜seˈtoːn], ›Hormon‹ [hɔʁˈmoːn] oder ›Ozon‹ [oˈt͜soːn] gesprochen, die alle langes, betontes ›o‹ in der letzten Silbe haben. Vergleichspunkte sind vielmehr ›Neutron‹ [ˈnɔɪ̯tʁɔn], ›Proton‹ [ˈpʁoːtɔn] oder ›Taxon‹ [ˈtaksɔn]. Die übliche Lautung für ›Axon‹ ist also [ˈaksɔn]. Im Plural dagegen wird das ›o‹, insoweit es erhalten bleibt, auch bei den Wörtern der zweiten Gruppe lang, also [aˈksoːnən] usw. Bei einigen Wörtern gibt es zwei oder mehr gängige Aussprachen: ›Argon‹ spricht man [ˈaʁɡɔn] oder, seltener, [aʁˈɡoːn]; Elektron kann [ˈeːlɛktʁɔn] oder [eˈlɛktʁɔn] oder [elɛkˈtʁoːn] lauten. Die letzten drei Aussprachen stehen hier vermutlich in aufsteigender Reihenfolge; ich beobachte, dass die Häufigkeit der [ˈoːn]-Aussprachen bei allen genannten Wörtern zunimmt und Veränderungen in diese Richtung eher akzeptabel sind als zugunsten von unbetontem [ɔn].
  • Ayers Rock
    Berg in Australien. Vielleicht führt die Assoziation mit dem bejahenden seemännischen Ausruf ›Aye aye‹ [ˌaɪ̯ ˈaɪ̯] zu den mir bekannten Falschaussprachen. Die übliche Lautung des englischen Namens des Bergs ist [ˌeːz ˈɹɔk] (AuE). Den im britischen Englisch als [ɛə̯] gesprochenen Zwielaut realisiert man in Amerika wie in Australien oft mono­pthongisch oder mit höchstens schwachem Schwa als zweitem Element: in den USA als [ɛ] plus ggf. [ɹ], in Australien wie oben angegeben. In der örtlichen Sprache der Ur­bevölkerung heißt der Berg übrigens ›Uluṟu‹, was sich offenbar [ˈʊlʊɻʊ] spricht und meist als [ˌuːləˈɹuː] (auch mit initialem Hauptakzent) anglisiert wird.



Sonntag, 23. Oktober 2011
Wörter-[buːx] XIX [Fester Link zum Beitrag]
  • Amazon: [ˈæməzɑːn] (AE) bzw. [ˈæməzən] (BE)
  • Aoirghe: [ˈiːrʲjə]
  • Desigual: [desiˈɰwal]
  • Thierry Escaich: [tjeˈʀi ɛsˈkɛʃ]
  • Gotye: [ˈɡoːtiæɪ̯] (AuE), eigentlich Wouter De Backer: [ˌwɔʊ̯tər dəˈbɑkər]
  • Carl von Ossietzky: [ˌkaʁl fɔn ɔˈsi̯ɛt͜ski]
  • RAV4: [ˌʁaf ˈfiːɐ̯] (dt.) bzw. [ˌɹæv ˈfɔː(ɹ)] (engl.)
  • ʿAlī ʿAbdullāh Ṣāliḥ (علي عبد الله صالح): [ˈʕæli ʕæbˈdʊlˤːɑh ˈsˤɑlɨħ]
Anmerkung zu Amazon: Die ›offizielle‹ Lautung, die das Unternehmen in Deutschland für seinen Firmennamen verwendet, ist [amaˈt͜soːn]. Dass jemand den Namen so ausgesprochen hat, habe ich allerdings noch nie gehört. Vielmehr liegt die Betonung üblicherweise – bei ansonsten unveränderter Aussprache – auf der ersten Silbe. Darüber hinaus gibt es viele Leute, die eine eingedeutsche Variante der britisch-englischen Lautung, also [ˈɛməzn̩], verwenden. Im Verhältnis zu (und womöglich in Zusammenhang mit) seiner Größe und Bekanntheit schaltet Amazon wenig Funk- und Fernsehwerbung in Deutschland, bei der Otto Normalverbraucher damit in Berührung kommen könnte, wie das Unternehmen seinen Namen gerne ausgesprochen hätte. Bloß erstaunlich, dass die Firma trotzdem an einer Aussprache festhält, die wahrscheinlich nicht mal jeder Mitarbeiter kennt.

Anmerkung zu Gotye: Die hier angegebene Transkription bezieht sich – wie mit ›AuE‹ an­gedeutet – auf die Aussprache im australischen Standardenglisch. In dieser Varietät werden einige Laute, vornehmlich Vokale, anders gesprochen als etwa in der Received Pronunciation, dem britischen Standardenglisch. Schauen wir uns noch mal die oben stehende Umschrift von Gotyes Namen an: [ˈɡoːtiæɪ̯]. Zunächst fällt der Monophthong [oː] auf, der im britischen Englisch nicht vorkommt. Dort spricht man stattdessen das etwas offenere [ɔː]. Darüber hinaus wird das erste Element des australischen Diphthongs [æɪ̯] in der Received Pronunciation geschlossener artikuliert. Nicht nur in diesem Namen, sondern auch sonst stimmt die Aus­sprache der Konsonanten im Australischen mit der Lautung in anderen Varietäten des Eng­lischen weitgehend überein. Im britischen Englisch spräche man den Sänger also [ˈɡɔːtieɪ̯]. Sowohl die britische als auch die australische Variante sind Anglisierungen der französischen Entsprechung von Gotyes niederländischem Vornamen ›Wouter‹ (dt. ›Walter‹ [ˈvaltɐ]): ›Gaut(h)ier‹ (oder ›Gaultier‹) spricht man in Frankreich [ɡoˈtje].



Freitag, 23. September 2011
Wörter-[buːx] XVIII: Kampfkünste-Spezial [Fester Link zum Beitrag]
  • Hapkido (합기도): [ˈhap̚kido]
  • Jūdō (柔道): [ˈd͜ʑɯ̞̈ˌɯ̞̈doo]
  • Karate (空手): [kaˈɺaˌte]
  • Krav Maga (קרב מגע): [ˌkʁav maˈɡa]
  • Pencak Silat: [ˈpent͡ʃɐʔ ˈsilɐt̪]
  • Ranggeln: [ˈʁaŋɡl̩n]
  • Wing Chun (咏春): [˨˩˦ jʊŋ ˥ t͜ʂʰu̯ən] (Mandarin)
    bzw. [˧˥ wɪŋ ˥ t͜s̠ʰɞːŋ] (kantones.)
  • Yağlı güreş: [ˈjaːɫɯ ɟyˈɾe̝ʃ]
Vielen Dank an Ahmet für die Anregung zu diesem Spezial!

Anmerkung zu Hapkido: Im Koreanischen gibt es drei verschiedene Arten von stimmlosen Plosiven, die in einigen Fällen sogar ihre Stimmlosigkeit verlieren. Einen solchen Fall haben wir hier vorliegen: Phonemisch ist der letzte in ›Hapkido‹ vorkommende Plosiv /t/. Das intervokalische Umfeld sorgt für die Realisierung [d]. /t/ gehört zu einer Reihe von unaspirierten Lenisplosiven, die – neben [p], [t] und [k] – auch mitunter [b̥], [d̥] und [ɡ̊] transkribiert werden. Die Revidierte Romanisierung des Koreanischen sieht hier, je nach Kontext, ›b/p‹, ›d/t‹ oder ›g/k‹ vor. Ferner gibt es eine Reihe von (am Silbenanfang) stark aspirierten Fortis-Plosiven: [pʰ], [tʰ] und [kʰ]; diese werden stets als ›p‹, ›t‹ und ›k‹ verschriftlicht, sind also in einigen Positionen von den unaspirierten Plosiven nicht zu unterscheiden. Die eigentliche Besonderheit des Koreanischen ist die dritte Serie von Plosiven, für deren korrekte Transkription es selbst kein geeignetes Diakritikum im Internationalen Phonetischen Alphabet gibt. Für diese Plosive wird der Druck hinter den gespannten, teilweise verengten Stimmlippen erhöht und der Kehlkopf gesenkt. Zur vorläufigen Transkription dient ein Diakritikum aus dem für Sprechstörungen erweiterten Inventar des IPA, das dort als ›kräftige Artikulation‹ (strong articulation) beschrieben wird. Man transkribiert in diesen Fällen also [p͈], [t͈] und [k͈].



Mittwoch, 24. August 2011
Wörter-[buːx] XVII [Fester Link zum Beitrag]
  • Baššār Ḥāfiẓ al-ʾAsad (بشار حافظ الأسد‎): [bæˈʃːɑːr ˈħæːfɨðˤ ælˈʔæsæd]
  • Gerard Butler: [ˈd͡ʒɛɹəd ˈbʌtlə]
  • Zach(ary) Galifianakis (Ζαχαρίας Γαλιφιανάκης):
    [ˈzæk(əri) ˌɡælɪfəˈnækɪs] (engl.) bzw. [zaxaˈɾias ɣalifiaˈnacis] (griech.)
  • Annegret Kramp-Karrenbauer: [ˈanəɡʁeːt ˌkʁamp ˈkaʁənbaʊ̯ɐ]
  • Jerry Leiber: [ˈd͡ʒɛɹi ˈliːbɚ]
  • Pukkelpop: [ˈpɵkəlpɔp]
  • Muʿammar al-Qaḏḏāfī (معمر القذافي): [muˈʕæmːɑr ɐlqæˈðːæːfi] (standardarab.) bzw. [muˈʕæmːɑrˤ əlɡæˈdːæːfi] (libysch-arab.)
  • Charlize Theron: [ʃɑːɹˈliːs ˈθɛɹən]
Vielen Dank an Ahmet für mehrere Anregungen!

Anmerkung zu Baššār al-ʾAsad: Nachdem ich mich verschiedentlich kritisch zu den Eindeutschungsbemühungen der Redaktion der ARD-Aussprachedatenbank geäußert habe, ist heute ein Lob angebracht, finde ich – wobei ohnehin klar sein sollte, dass ich die Datenbank für eine sinnvolle Institution halte und bloß in Einzelfällen mit Aussprachefestlegungen bzw. deren konkreter Umsetzung durch Moderatoren und Sprecher nicht einverstanden bin. Nicht zuletzt der guten Recherche der Mitarbeiter der Aussprachedatenbank ist wohl zu verdanken, dass der Name des syrischen Präsidenten in vielen ARD-Sendungen, insbesondere der ›tagesschau‹ im Ersten, konsequent [ˈasat] ausgesprochen wird. Besser kann man das Arabische vermutlich nicht eindeutschen. Auf vielen anderen Kanälen im In- wie Ausland sind dagegen Lautungen zu hören, die fälschlicherweise von einer Betonung des Namens auf der letzten Silbe ausgehen, was eingedeutscht [aˈsat] ergäbe. Das klingt weder besser noch ist es einfacher auszusprechen als die Variante mit Initialbetonung. Man muss insofern davon ausgehen, dass es sich hierbei nicht um eine bewusst gewählte, sondern eine aus Unwissen entstandene Aussprache handelt, die in Funkhäusern ohne der Aussprachedatenbank ähnliche Einrichtung – wie man so schön sagt – fröhliche Urständ feiert.

Anmerkung zu Muʿammar al-Qaḏḏāfī: Neben der Aussprache ist natürlich auch die Schreibweise arabischer Namen ein interessantes Thema, auf das ich hier zumindest kurz eingehen will. Die in Deutschland und Österreich gängigste Wiedergabe des Namens des libyschen Staatsoberhauptes ist ›Muammar (al-)Gaddafi‹, die in skandinavischen Sprachen häufig sowie im Englischen hier und da zu lesen ist. Dort konkurriert sie allerdings mit ›Moammar‹ als Transkription des Vornamens und ›Qaddafi‹ für den Nachnamen. Die Schweizer Medien favorisieren ›Muammar Ghadhafi‹ oder ›Gaddhafi‹. Im Französischen herrscht ›Mouammar Kadhafi‹ vor, ›Muamar el Gadafi‹ im Spanischen, ›Muammar Gheddafi‹ im Italienischen. In vielen Sprachen, die sich der lateinischen Schrift bedienen, scheint sich erst gar keine Präferenz gebildet zu haben, weshalb jede Zeitung eine andere Schreibweise verwendet. Die Umschrift, für die ich mich hier entschieden habe, ist die in der DIN-Norm 31635 wiedergegebene Transliteration, die auf einer älteren Empfehlung der Orientalisten­vereinigung ›Deutsche Morgenländische Gesellschaft‹ basiert. Ihr größter Vorzug ist die Tatsache, dass jedem Buchstaben im arabischen Alphabet einer im lateinischen Alphabet entspricht, notfalls mit einem Diakritikum versehen. So geeignet dieses System für wissenschaftliche Zwecke ist, so unbrauchbar ist es für Zeitungen und andere Medien: Das Mehr an zusätzlicher Information, das es gegenüber einer nicht-reversiblen Transkription bietet, dürfte für den durchschnittlichen Leser oder Zuschauer ziemlich uninteressant sein.



Dienstag, 26. Juli 2011
Wörter-[buːx] XVI [Fester Link zum Beitrag]
  • John Boehner: [ˌd͡ʒɑːn ˈbeɪ̯nɚ]
  • Breyell: [ˈbʁaɪ̯əl]
  • Goran Hadžić (Горан Хаџић): [ɡǒran xâd͡ʒit͜ɕ]
  • Petra Kvitová: [ˈpɛtra ˈkvɪtovaː]
  • Pyeongchang (평창): [ˈpʰjʌŋt͜ɕʰɐŋ]
  • Trương Tấn Sang: [˧ cɨ̯əːŋ ˧˥ tən ˧ saːŋ]
  • Utøya: [ʉ̂ːtœjɑ]
  • Tanguy Veys: [ˈtɑŋɣi ˈvɛɪ̯s]
Anmerkung zu Trương Tấn Sang: In Vietnam herrscht beträchtliche Variation, was die Aussprache von sowohl Konsonanten als auch Vokalen angeht. Die Buchstabenfolge ›tr‹ in Sangs Familiennamen etwa würde – statt [c] in der Varietät der Hauptstadt Hà Nội – in bestimmten Dialekten oder nördlicheren Regionen des Landes als [ʈ], [t͡ʂ] oder [z] ausgesprochen. Der Langvokal /aː/ wird an einigen Orten als [æ] realisiert. Auch dadurch bleibt die Abgrenzung zu den beiden anderen mit ›a‹ verschriftlichten Lauten gewahrt, die sich [ə] (im Fall von ›â‹) bzw. [ɐ] (im Fall von ›ă‹) sprechen. Darüber hinaus muss man darauf hinweisen, dass das IPA kein ausreichendes Repertoire an Diakritika bereithält, um die vietnamesische Phonetik adäquat zu notieren: Mehrere der sogenannten ›Töne‹ sind nicht nur durch eine Höhenkontur definiert, sondern werden zudem üblicherweise von einer zum Beispiel knarrenden oder gespannten Stimmqualität begleitet. Für Letztere bietet die hier verwendete Lautschrift kein Zeichen, sodass es dabei bleiben muss, den Tonhöhenverlauf auf ›Tấn‹ als aus mittlerer Lage steigend zu beschreiben.

Anmerkung zu Tanguy Veys: Der Vorname des flämischen Politikers stammt aus dem Bretonischen, wo er ›Tangi‹ geschrieben wird. ›Tanguy‹ ist die französierte Orthografie, wozu die Aussprache [tɑ̃ˈɡi] gehört. Im belgischen Niederländisch verschiebt sich der Akzent auf die erste Silbe; die Nasalierung des Vokals wird durch ein epenthetisches [ŋ] ersetzt. Zu den phonetischen Details des Niederländischen in Belgien ließe sich ein eigener Artikel schreiben, weshalb ich mich darauf beschränke, die folgende Eigenheit anzumerken: Diphthonge – damit meine ich nicht die in den Niederlanden oft diphthongisch realisierten Langvokale – werden in belgischen Varietäten oft monophthongisiert (oder völlig anders gesprochen, aber auch das ist ein eigenes Kapitel). Dabei ist vor allem bei [ɛɪ̯] und [œʏ̯] häufig ein Laut zu hören, der eine gelängte Variante des ersten Elements des Diphthongs darstellt. Konkret würde der Name ›Veys‹ dann [vɛːs] gesprochen; ›huis‹ (›Haus‹) würde [ɦœːs] lauten. Im Fall von [ɔʊ̯], dem dritten Diphthong, schwanken die Realisierungen stärker, wobei unter anderem [ʌː] vorkommt, was eine Entrundung und Längung des ersten Diphthongteils bedeutet. Angesichts der Vielzahl und Verbreitung regionaler Varietäten in Belgien müssen solch allgemeine Aussagen allerdings mit Vorsicht genossen werden.



Sonntag, 20. März 2011
Ein anderer Akzent [Fester Link zum Beitrag]
Aus bekannten Gründen sind in den letzten Tagen japanische Orts- und Personennamen in den Nachrichten außerordentlich präsent gewesen. Je größer der journalistische Druck, desto weniger Zeit ist verständlicherweise für phonetische und phonologische Feinheiten. Deren einige will ich an dieser Stelle zu verdeutlichen versuchen.

Wortbetonung wird im Japanischen nicht über einen Stärkeakzent realisiert, der in vielen mitteleuropäischen Sprachen binär ausgeprägt ist und geringe Auswirkungen auf die Satzintonation hat. Nicht die Silbe, sondern die More (oder: Mora) ist im Japanischen das grundlegende lautliche Konzept. In manchen Fällen – etwa in ›Nagasaki‹ mit vier Silben und vier Moren – deckt sich die Zählung; in vielen anderen Fällen führt die Aufteilung in Silben und Moren zu unterschiedlichen Resultaten, so im Namen der Hauptstadt Tokio. Je nachdem, ob das ›i‹ als syllabisch oder nicht angesehen wird, hätte ›Tokio‹ zwei (To-kio) oder drei Silben (To-ki-o); im Japanischen hat das Wort vier Moren. Wie die Transkription mithilfe des gebräuchlichen Hepburn-Systems, ›Tōkyō‹, erahnen lässt, verteilen sich die beiden mit einem Makron gekennzeichneten Langvokale auf jeweils zwei Moren, sodass ›To-o-kyo-o‹ die korrekte moraische Einteilung des Wortes ist. Zusätzliche Moren können auch durch geminierte Konsonanten entstehen, die in anderen Sprachen, etwa Italienisch, den Silben zugeordnet würden, die bei einem einfachen Konsonanten schon bestünden (vgl. ›papa‹ [ˈpaːpa] vs. ›pappa‹ [ˈpapːa] mit jeweils zwei Silben). Ferner kann ein silbenfinales ›n‹ eine eigene More einnehmen (wie beispielsweise in ›Sendai‹, in Moren: ›Se-n-da-i‹).

Nach der Einteilung in Moren ist es nun möglich, jeder More einen Akzent zuzuweisen. Das Standardjapanische, eine Sprache mit Pitch-Akzent (was ins Deutsche meist als melodischer oder musikalischer Akzent übersetzt wird), unterscheidet dabei allein zwischen hohem und tiefem Ton (obwohl die phonetische Realisierung komplexer ist, Stichwort: Tonkaskaden). Dabei werden Töne nicht willkürlich zugewiesen, sondern folgen einem System, das die Töne vor- und nachgelagerter Moren einbezieht. Klitika, zum Beispiel, schließen sich in vielen Fällen der tonalen Struktur des vorangehenden Wortes an. Für europäische Ohren hört es sich häufig so an, als sei in einem beispielsweise zwei- oder dreimorigen Wort die More mit hohem Ton das, was man etwa im Deutschen als die betonte Silbe bezeichnen würde. Ich weiß nicht, ob auch umgekehrt gilt, dass Muttersprachler des Japanischen eine Aussprache mit der Stärkebetonung auf dem, was die More mit hohem Ton wäre, als dem Original besonders ähnlich empfänden. Diese Faustregel scheitert übrigens in mindestens zwei Fällen: erstens, wenn sich Silbe und More nicht decken, sodass in einer anderen Sprache die Möglichkeit, den richtigen Teil des Wortes zu betonen, gar nicht besteht; zweitens, wenn ein Wort nicht bloß eine, sondern mehrere Moren mit hohem Ton kennt, was sich in Sprachen, die nur eine Hauptbetonung pro Wort vorsehen, schwerlich wiedergeben lässt. Als erweiterte Faustregel würde ich daher empfehlen, die Silbe zu betonen, der die erste von womöglich mehreren Moren mit hohem Ton zugeordnet werden kann.

Nehmen wir noch einmal konkret den Namen der Hauptstadt, also ›Tōkyō‹ (東京). Hierbei handelt es sich um ein Wort, das als ›heiban‹ (平板), also wörtlich ›Fläche‹ oder ›Platte‹, beschrieben wird: Nur bei diesen als akzentlos geltenden Wörtern fehlt der Übergang von einer hohen zu einer tiefen More; stattdessen ist die erste More tieftonig, die folgenden tragen einen hohen Ton. Als Transkription für das Japanische wäre dementsprechend [toˈːki̯oː] oder [toˈoki̯oː] bzw., um Konsequenz bei der Schreibweise der Langvokale zu erreichen, [toˈoki̯oo] richtig. Alternativ ließe sich die Betonung als tonale Bewegung nach oben, ›Upstep‹ genannt, transkribieren, also dann [toꜛoki̯oo] (und Varianten), wobei [ꜛ] eine inoffizielle, dezentere Variante des eher aufdringlichen IPA-Symbols [↑] ist. Das Gegenstück wäre der Downstep, der etwa in ›Nagasaki‹ (長崎) zu hören ist, einem Wort mit tieftoniger erster und hochtoniger zweiter More: Oft wird hierbei das IPA-Zeichen für Nebenbetonung zweckentfremdet, um das Absinken der Tonhöhe nach der betonten More zu kennzeichnen, was in diesem Fall [naˈɡaˌsaki] ergäbe; andernfalls würde man [naꜛɡaꜜsaki] transkribieren – da möge jeder für sich selbst entscheiden, welche Konvention er deutlicher oder ästhetisch ansprechender findet. Die Anwendung meiner Faustregel für Sprachen ohne Pitch-Akzent ergäbe demnach eine Betonung auf der ersten Silbe im Fall von Tokio und eine auf der zweiten für Nagasaki. Letzteres stimmt nicht mit der etablierten Aussprache im Deutschen und Englischen überein. Das Gleiche gilt für Sendai (仙台) [ˈseˌɴdai], das in deutschen Medien meist auf der zweiten Silbe betont wurde, und Fukushima (福島) [ɸɯ̞̥̈ˈkɯ̞̈ˌɕima], bei dem die intuitive Betonung Deutschsprachiger auf die vorletzte Silbe fällt. Weitere japanische Namen, die jüngst viel zu hören waren, sind Tōhoku (東北) [ˈtoˌohokɯ̞̈], Miyagi (宮城) [ˈmiˌjaɡi] und Kurihara (栗原) [kɯ̞̈ˈɺ̠iˌhaɺ̠a] – wobei die Aussprache dieser Namen durch Deutsche variierte. Es ist eben schwierig, hier zumindest nah am Original zu liegen, wenn selbst das Hören der korrekten Tonfolge vielen Europäern Mühe bereitet.



Samstag, 25. Dezember 2010
Frohe Weihnachten … [Fester Link zum Beitrag]
… und ein gutes Jahr 2011 wünsche ich allen Lesern des Phonetik-Blogs in zehn Sprachen:

Auf Deutsch: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
[ˌfʁoːə ˈvaɪ̯naxtn̩ ʊnt aɪ̯n ˌɡuːtəs ˌnɔɪ̯əs ˈjaːɐ̯]

Auf Englisch: Merry Christmas and a Happy New Year!
[ˌmɛɹi ˈkɹɪsməs ənd ə ˌhæpi ˌnjuː ˈjɪə̯]

Auf Französisch: Joyeux Noël et bonne année!
[ʒwaˌjø nɔˈɛl e ˌbɔn aˈne]

Auf Niederländisch: Prettige kerstdagen en een gelukkig nieuwjaar!
[ˌpɾɛtəχə ˈkɛɾstdaːχən ən ə χəˌlɵkəχ niu̯ˈjaːɾ]

Auf Italienisch: Buon Natale e felice anno nuovo!
[ˌbwɔnːaˈtaːle e feˌliːt͜ʃe ˌanːo ˈnwɔːvo]

Auf Spanisch: ¡Feliz Navidad y próspero año nuevo!
[feˌɫiθ naβiˈðað i ˈpɾospeɾo ˌaɲo ˈnweβo]

Auf Portugiesisch: Feliz Natal e um próspero ano novo!
[fɯˌliʒ nɐˈtaɫ i ũ ˈpɾɔʃpɯɾu ˌɐnu ˈnovu]

Auf Polnisch: Wesołych Świąt i szczęśliwego Nowego Roku!
[veˌsɔwɨx ˈɕfjɔnt i st͜ʃɛ̃ɕlʲiˌvɛɡɔ nɔˌvɛɡɔ ˈrɔku]

Auf Tschechisch: Veselé Vánoce a šťastný nový rok!
[ˌʋɛsɛlɛː ˈʋaːnot͜sɛ a ˌʃcastniː ˌnoʋiː ˈrok]

Auf Finnisch: Hyvää joulua ja onnellista uutta vuotta!
[ˌhyvæː ˈjɔu̯lu̯ɑ jɑ ˌɔnːɛlːistɑ ˌuːtːɑ ˈvu̯ɔtːɑ]



Dienstag, 29. Juni 2010
›Schland‹. Dieses Kurzwort war 2006, als die Fußball-WM in Deutschland stattfand, in vieler Munde; jetzt, da das Turnier in Südafrika läuft, hört man es wieder, wenn auch seltener. Der Begriff scheint tatsächlich erst seit vier Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung zu befinden; ich habe keine Belege auftreiben können, die wesentlich vor der WM 2006 datieren. Er entstand wohl aus den Schlachtgesängen von Fans der deutschen Mannschaft, in denen ›Deutschland‹ auf der zweiten Silbe betont wird, die sich ideal dehnen und grölen lässt. Dabei kam es zu einer Resyllabifizierung: Die Silbengrenze, die ursprünglich hinter dem [ʃ] gelegen hatte, verschob sich vor diesen Laut – unter Nichtbeachtung der Morphologie. Es gibt viele Fälle, in denen erst die Information aus diesem Bereich mögliche Segmentierungen ausschließt. ›Rauflustig‹ könnte sonst ohne Weiteres ›rau-flustig‹ getrennt werden. Und ›Deutschland‹ wurde zumindest 2006 eben ›Deut-schland‹ getrennt.

Zumindest ich frage mich: Warum ist das bei diesem Prozess entstandene Wort ›Schland‹ so hässlich? Letzte Erklärungen für derartige persönliche Empfindungen sind schwierig zu geben, aber die Linguistik hat sich auch immer wieder mit der subjektiv empfundenen Ästhetik von Wörtern beschäftigt – wenngleich das vor allem ein Forschungsgebiet längst vergangener Dekaden ist. Ein weder uninteressanter noch unumstrittener Ansatz in diesem Kontext ist die sogenannte Phonästhem-Theorie von John Rupert Firth (1890 – 1960), einem englischen Linguisten, dem wir auch den Begriff ›Kollokation‹ verdanken. Die Theorie besagt, dass Wörter von ähnlicher phonetischer Gestalt oft (oder zumindest in einigen prominenten Fällen) zu einem gemeinsamen Bedeutungsfeld gehören. Firths Annahme steht in einer Reihe mit früheren Ikonizitäts-Hypothesen, die ebenfalls davon ausgehen, dass submorphemische Einheiten, also Einheiten unterhalb der Ebene der kleinsten bedeutungstragenden Elemente, semantischen Wert haben können. Ein klassisches Beispiel ist die Reihe von Wörtern im Englischen, die mit /fl/ beginnt: flacker, flap, flash, flee, fleet, flick, flicker, fling, flip, flit, flitter, flurry, flutter, fly – all diese Begriffe beschreiben Aspekte oder Formen von rascher Bewegung. Kein Zufall, sagt Firth. Woher die Assoziation von Laut und Bedeutung kommt, ist indes eher unklar: Zugrunde liegen mag eine abstrakte Form von Lautmalerei, die sich in dem genannten Fall auf das Geräusch beziehen könnte, das durch einen Luftzug entsteht, den schnelle Bewegung verursacht. Existiert erst einmal eine kleine Gruppe von Wörtern, die auf dieser oder einer anderen Basis gebildet wurde, kann die Serie durch Analogie erweitert werden. Kognitiv ist die Paarung von Form und Bedeutung damit gleich auf zwei Weisen verankert, nämlich einerseits durch die onomatopoetische Motivation, die mehr oder weniger transparent sein kann, sowie andererseits durch das entstehende Paradigma.

Dass derartige Muster synchron zumindest bei der passiven Rezeption von Wörtern eine Rolle spielen, kann jeder an sich selbst überprüfen: Würde man, in einem fiktiven Kinderbuch, die zarte blondgelockte Fee ›Glurpf‹ nennen? Wohl kaum. Würde man annehmen, dass sich hinter ›Nipsi‹ ein Landmaschinenhersteller verbirgt? Eher nicht. Freilich repräsentieren solche Entscheidungen bloß Präferenzen, keine absoluten Regeln, aber der komische Effekt, der erzielt werden könnte, nennte man die Fee eben doch ›Glurpf‹, verdeutlicht die Erwartung. Man kann daher sagen: ›Schland‹ klingt für manche so hässlich und grob, weil erstens sein Anlaut ein wenig so klingt, als trete man mit einem Gummistiefel in knöchelhohen Matsch, und weil es zweitens lautliche Charakteristika mit Wörtern teilt, deren Bedeutung ins Negative, Zähe, Dreckige geht – oder kürzer: ins Schlechte. ›Schland‹ reimt sich auf ›Schmant‹, ein eher dickflüssiges Milchprodukt, wobei das Wort regional auch für Schlamm steht. ›Schland‹ teilt den Anlaut ferner mit Wörtern wie ›schlabbern‹, ›Schlacke‹, ›schlaff‹ und ›schlapp‹, ›schlaksig‹ und ›schlampig‹ sowie, wenn man einen Vokalwechsel erlaubt, mit ›schludern‹, ›schlunzen‹, ›schlutzen‹ und manchem mehr. Neutrale Wörter wie ›Schlaf‹ oder ›schlank‹ können wenig ausrichten gegen diese Übermacht an Begriffen, die auf Träges, Schmutziges, Unangenehmes hinweisen – jedenfalls in meinem Kopf.

PS: Da es sich hierbei ja um einen Beitrag in einem Phonetik-Blog handelt, sei noch die Aussprache des Schwanzwortes ›Schland‹ erwähnt: [ʃlant].



Freitag, 25. Juni 2010
Die Lösung des Verschlusses [Fester Link zum Beitrag]
Das Wort ›Lösung‹ ist polysem im Deutschen, hat also mehrere verwandte Bedeutungen: ›Lösung‹ bezeichnet Prozesse, wie in ›Die Lösung des Problems dauerte Stunden‹, aber auch Ergebnisse, wie in ›Natronlauge ist eine alkalische Lösung‹. In dem phonetischen Begriff ›Verschlusslösung‹* (engl. ›release‹) ist Ersteres gemeint: der artikulatorische Vorgang, während dessen die bei der Produktion eines Plosivs aufgebaute Spannung gelöst wird. Irgendwann muss die Luft ja wieder raus. In welcher Form sich die Verschlusslösung akustisch manifestiert, hängt zu einem erheblichen Teil von der lautlichen Umgebung ab, aber auch von der mehr oder weniger bewussten Entscheidung des einzelnen Sprechers. Mithilfe des IPA lassen sich vornehmlich vier Arten von Verschlusslösung unterscheiden.

Der Standardfall – auch insofern, als er nicht durch ein Diakritikum gekennzeichnet werden muss – ist die orale Lösung des Plosivs durch die Aussprache des entsprechenden Lautes. Dies geschieht häufig, wenn zum Beispiel kein weiteres Element folgt, wie in dt. ›Mast‹ [mast], oder ein Vokal, wie in frz. ›terre‹/›taire‹ [t⁼ɛːʀ], wobei das dem erweiterten IPA entnommene Zeichen [⁼] fakultativ anzeigt, dass der Plosiv unaspiriert ist.

Folgt einem Plosiv ein weiterer, ist die Lösung des ersten Verschlusses oft nicht oder kaum hörbar (›no audible release‹). Die Artikulationsorgane bewegen sich in die Stellung, die für die Produktion des Lautes erforderlich wäre, aber wenig Luft strömt aus, bevor die Position für den nächsten Laut eingenommen wird. Dies kann innerhalb eines Wortes vorkommen, wie in dem englischen Beispiel ›apt‹ [æp̚t], oder auch über Wortgrenzen hinweg, wie in dt. ›mit dem‹ [mɪt̚‿d̥eːm]. Dass der erste Plosiv nur schwach hörbar ist, bedeutet allerdings nicht, dass es eine Option wäre, ihn wegzulassen. Die Tatsache, dass man seinen Artikulationsapparat so formt, dass der Laut gebildet werden könnte, hat phonetische Auswirkungen auf umgebende Laute. Diese sogenannte Koartikulation sorgt dafür, dass sich angrenzende Laute annähern, sodass etwa ein Vokal nahe einem velaren Konsonant weiter hinten im Mund gesprochen wird, während der velare Konsonant unter Umständen nach vorne rückt, wenn der nächste Laut ein Vorderzungenvokal ist. Diese Möglichkeit der wechselseitigen Beeinflussung bestünde nicht, wenn einer der Laute komplett fehlt. Die unhörbare Verschlusslösung wird mitunter auch als ungelöster Verschluss (›unreleased stop‹) bezeichnet; dies ist inhaltlich aber insofern nicht ganz korrekt, als sich mithilfe bildgebender Verfahren zeigen lässt, dass selbst in solchen Fällen Luft entweicht, wobei das dabei entstehende Geräusch jedoch so schwach ist, dass es von der deutlich hörbaren Lösung des folgenden Plosivs überlagert wird. Neben den beschriebenen Fällen im Deutschen oder Englischen gibt es Sprachen, in denen Plosive auch in Positionen, in denen eine reguläre Verschlusslösung artikulatorisch unaufwändig wäre, unhörbar gelöst werden. Beispiele dafür sind das Thailändische, einige Varietäten des Chinesischen, das Indonesische und das Gayo – zwei austronesische Sprachen – sowie das Mambay, eine im Kamerun und im Tschad gesprochene Niger-Kongo-Sprache.

Nasale und laterale Verschlusslösungen hingegen entstehen üblicherweise nicht beliebig, sondern im entsprechenden phonetischen Kontext, das heißt: vor einem Nasal (also [m, n, ŋ] usw.) oder vor einem Lateral (also [l, ɬ, ʎ] usw.). Eine laterale Lösung ist zum Beispiel in dem deutschen Wort ›Trampel‹ [ˈtʁampˡl̩] oder im englischen ›little‹ [ˈlɪtˡl̩] wahrscheinlich und wird durch ein hochgestelltes [l] angezeigt. Das hochgestellte [n] kennzeichnet nasale Lösungen wie in dt. ›Laken‹ [ˈlaːkⁿŋ̍] oder engl. ›happen‹ [ˈhæpⁿm̩] (beide Wörter mit Assimilation des nasalen Artikulationsortes). Es bedürfte schon einiger artikulatorischer Mühe, den Plosiv hier auf andere Weise zu lösen. Eine gewisse Wahlfreiheit, was den Typ der Verschlusslösung angeht, besteht in einigen Sprachen allerdings doch: Viele Plosiv-Nasal- oder Plosiv-Lateral-Cluster im Deutschen und Englischen entstehen nämlich erst dadurch, dass ein zwischen den beiden Konsonanten stehendes Schwa elidiert wird. Dieser Prozess findet in flüssiger Sprache meist statt und unterbleibt eigentlich nur bei betont sorgfältiger und deutlicher Artikulation, wie sie von Bühnenschauspielern oder Sprechern mitunter zu hören ist. Lautet ›Laken‹ [ˈlaːkən] oder gar [ˈlaːkɛn], wie es Siebs selig noch fürs Theater empfahl, wird der Verschluss in der üblichen oralen Weise hörbar gelöst. Eine offene Frage ist, welche Variante man in diesem Fall bei der Transkription wählt: Band 6 der ›DUDEN‹-Reihe sowie das 2009 bei de Gruyter erschienene ›Deutsche Aussprachewörterbuch‹ haben sich für die Variante ohne Schwa entschieden, denn: »Die Phonemfolgen /əm/, /ən/, /əl/ werden nur bei langsamer und deutlicher Aussprache als [əm], [ən], [əl] […] gesprochen«, wie der DUDEN schreibt. Ich folge dieser Konvention, gebe aber zu, dass die Umschrift, die John Wells in seinem ›Longman Pronunciation Dictionary‹ wählt, ihren Reiz hat: Dort wird zum Beispiel das Wort ›button‹ als [ˈbʌtən] mit hochgestelltem Schwa transkribiert. Daraus ließen sich auch bei deutschen Wörtern beide Aussprachevarianten zweifelsfrei ableiten.

* Ich kenne kein Wort, das diesen etwas merkwürdigen Terminus ersetzen könnte. ›Verschlussauflösung‹ klingt umständlicher, als der millisekundenkurze Prozess de facto ist. ›Verschlusssprengung‹ ist für den als Standard beschriebenen Fall eventuell geeignet, vermittelt aber doch ein falsches Bild von Lösungen, bei denen gerade nichts gesprengt wird. Vielleicht sollte man, wie so oft, auf den englischen Begriff zurückgreifen, also ›release‹, der zwar bereits eine andere Denotation im Deutschen hat (Veröffentlichung von Musik oder Software), aber doch etwas weniger vieldeutig ist als ›Lösung‹.



Montag, 7. Juni 2010
Wörter-[buːx] XV: Englisch-Spezial [Fester Link zum Beitrag]
Englisch ist die Weltsprache, fast jeder beherrscht sie – irgendwie. ›Sprachschützer‹ aus dem anglo-amerikanischen Raum äußern sich, analog zur Angst vor Infiltration durch das Englische in Deutschland oder Frankreich, bisweilen besorgt, die englische Grammatik könne durch die große Zahl an Nicht-Muttersprachlern, die von ihr intensiven Gebrauch machen, über die Maßen simplifiziert werden. Das ist wahrscheinlich eine unzutreffende Befürchtung: Warum sollten Nativespeaker nicht in der Lage sein, zu unterscheiden zwischen einerseits der voll ausgebauten Grammatik, aus der sie schöpfen, wenn sie mit ihresgleichen sprechen, und andererseits einer vereinfachten Version des Englischen, die bei der Kommunikation mit Leuten, die Englisch nicht als erste Sprache gelernt haben, zum Einsatz kommt? Das grammatikalische Wissen einer Mutter nimmt ja auch keinen Schaden, wenn sie über Jahre mit ihren Kindern kommuniziert und dabei auf gewisse komplexe Konstruktionen mehr oder weniger bewusst verzichtet. Wahr hingegen ist, dass falsche Aussprachen von englischen Personen- und Ortsnamen bei Nicht-Muttersprachlern häufiger vorkommen. Schließlich ist dies kein Bereich, in dem formale Regeln – wie etwa in der Morphologie und der Syntax – erschöpfende Erklärungen bieten. Vielmehr stolpert man von einer Ausnahme zur anderen. Hier ist eine kleine Auswahl, die mir in letzter Zeit begegnet ist:
  • Aotearoa: [ˌɐːɐʉ̯tɪə̯ˈɹɐʉ̯ɘ]
  • Ellen DeGeneres: [ˈɛlən dəˈd͜ʒɛnərəs]
  • Ralph Lauren: [ɹælf ˈlɑːɹən]
  • John Le Carré: [d͜ʒɒn ləˈkæɹeɪ̯]
  • Schenectady: [skɪˈnɛktədi]
  • Maurice Sendak: [mɑːˈɹiːs ˈsɛndæk]
  • Siobhán: [ʃəˈvɔːn] (engl.) bzw. [ˈʃʊwaːn̪ˠ] (ir.)
  • Vancouver: [væŋˈkuːvə] (engl.) bzw. [vɑ̃kuˈvɛːʀ] (frz.)
Anmerkung zu Aotearoa: Der Begriff ist eine verbreitete Māori-Bezeichnung für Neuseeland, wobei ich mit der ursprünglichen Phonologie nicht vertraut bin. Bei der Umsetzung in neuseeländisches Englisch ist zu beachten, dass sich die Lautwerte zum Teil erheblich von denen der britischen Received Pronunciation oder von General American unterscheiden. So ist etwa der Vokal in ›palm‹, wie im Australischen, nach vorne verlagert und hat eine zwischen [aː] und [ɐː] liegende Qualität. Zur Differenzierung des ›goat‹-Diphthongs von Lauten wie in ›mouth‹ trägt vor allem der erste Vokal bei, der in ›goat‹ [ɡɐʉ̯t] weiter hinten liegt als in ›mouth‹ [mɛɔ̯θ]; zusätzlich dürfte das zweite Element in letzterem Diphthong mit leicht tieferer Zungenlage gesprochen werden, wobei [mɛʉ̯θ] ebenfalls eine vorstellbare Transkription wäre. Der Diphthong [ɪə̯] entspricht dem britischen [ɛə̯] wie in ›square‹, das in der prätonischen Silbe von ›Aotearoa‹ mitunter zu hören ist. Dagegen kann bei (vor allem jungen) Neuseeländern, die den Diphthong nicht wie in England realisieren, von einem sonst selten anzutreffenden ›NEAR-SQUARE merger‹ gesprochen werden, bei dem die Laute dieser zwei Wörter ununterscheidbar werden. Nicht zum Tragen kommt in dem hier diskutierten Wort allerdings das wohl markanteste Charakteristikum von Kiwi-Englisch, da es die Vokale in ›had‹, ›head‹ und ›hid‹ betrifft: Letzterer fällt durch erhebliche Zentralisierung mit dem nur in unbetonten Silben vorkommenden [ɘ] oder [ə] zusammen, was den Weg dafür frei macht, dass die beiden anderen Vokale geschlossener als in vielen Varietäten gesprochen werden (Stichwort: Kettenverschiebung), also [hɪd] oder [hed] für ›head‹ und [hɛd] für ›had‹.



Mittwoch, 17. März 2010
Widerspruch in sich [Fester Link zum Beitrag]
Viele User in der Wikipedia verraten auf ihren Benutzerseiten eine Menge privater und weniger privater Details über sich. Zu den weniger privaten, dafür umso nützlicheren Informationen zählt die Angabe der Sprachen, die der Benutzer beherrscht: Es ist zum Beispiel praktisch, zu wissen, dass man jemanden, der sehr gute Kenntnisse in einer Sprache angibt, auf einen darin verfassten Text hinweisen kann, ohne eine Übersetzung mitliefern zu müssen. Auch verzeiht man Nicht-Muttersprachlern gerne so manchen Irrtum, über den man sich bei Nativespeakern wundern würde. Damit die User diese Informationen kompakt und standardisiert einbinden können, gibt es sogenannte Babel-Vorlagen. Das sind kleine Kästchen, in deren linkem Teil auf farbigem Grund der Code der betreffenden Sprache nach ISO 639 angegeben wird; bei Muttersprachlern steht allein der Code, grün hinterlegt, bei Zweitsprachlern ist an den Code mit Bindestrich eine Ziffer angehängt – blau hinterlegt für Grundkenntnisse (1) bis nahezu muttersprachliche Kenntnisse (4), rot hinterlegt für kaum oder keine Kenntnisse (0). Im rechten Teil der Box ist eine Ausformulierung der links kurz dargestellten Inhalte zu lesen: Für ›fr-4‹ beispielsweise lautet der Text ›Cet utilisateur parle français à un niveau comparable à la langue maternelle‹, für ›pl-2‹ lautet er ›Ten użytkownik posługuje się językiem polskim na poziomie średnio zaawansowanym‹. Wie das so ist im Leben, laden derartige Möglichkeiten zum Spielen ein: Benutzer erzeugen eigene Vorlagen, in denen nicht Sprachkenntnisse, sondern regionale Herkunft, Weltanschauung und Hobbys angegeben sind – mit Fotos, Zeichnungen, Karten anstelle der Codes und teilweise amüsanten Texten. Ob man tatsächlich wissen wollte, dass derjenige, der gerade einen Artikel redigiert hat, atheistischer Kettenraucher aus Nordmecklenburg ist, sei dahingestellt.

Auf den Seiten einiger User findet man eine entsprechende Pseudo-Babel-Vorlage für das Internationale Phonetische Alphabet. Ich weiß nicht, wer sie im Original erstellt hat, aber das ist nicht weiter von Interesse. Anders als bei Sprachen existiert nicht für jedes Kenntnisniveau eine Vorlage; es gibt schließlich keine IPA-Muttersprachler, und anzugeben, dass man eben keine Lautschrift beherrscht, ist auch nicht besonders informativ. Gefunden habe ich Vorlagen unter anderem für die Niveaus 3 und 4, was – auf eine tatsächliche Sprache übertragen – mindestens sehr guten Kenntnissen entspricht. Der Text in der rechten Hälfte des Kastens ist, wie üblich, in der ›Sprache‹ gehalten, auf die sich die Vorlage bezieht, in diesem Fall also in Lautschrift. Er lautet: 'diːsɐ bə'nʊtsɐ hat seːɐ guːtə 'kʰəntnɪzə dəs 'ʔiː'pe'ʔaː.

Das bezweifle ich. Die Transkription dieses Sätzchens enthält zwei formale und mindestens sechs inhaltliche Fehler, davon ausgehend, dass deutsche Standardaussprache abgebildet werden soll. Das ist ziemlich viel für acht Wörter. Und ich meine nicht den ›Fehler‹, dass die Umschrift nicht von eckigen Klammern bzw. Schrägstrichen eingeschlossen ist, wie es in den meisten Fällen gemacht wird. Ich meine auch nicht, dass die Zeichen der Affrikate in ›Benutzer‹ nicht durch einen darunter gesetzten Bogen verbunden sind – das kann man machen, muss man aber nicht. Auch über die Notwendigkeit, die vorhersagbare Aspiration von [k] am Anfang einer betonten Silbe zu kennzeichnen, kann man geteilter Meinung sein. Was also ist eindeutig falsch? Besondere Schwierigkeiten scheint derjenige, dem diese Transkription anzulasten ist, mit alveolaren Frikativen zu haben. Drei von fünf sind falsch, also genau dann als stimmhaft angegeben, wenn sie stimmlos sind, und umgekehrt. Dem fünften Wort fehlt die bei mehrsilbigen Wörtern obligatorische Betonungsmarkierung, die hier vor der ersten Silbe stehen müsste. Auch ist dem Transkribenten offenbar die zentrale Eigenschaft des deutschen Schwa entgangen, die darin besteht, unbetonbar zu sein; sonst hätte er in der ersten Silbe von ›Kenntnisse‹ wohl stattdessen das korrekte [ɛ] eingesetzt. Zuletzt: Dem zweiten Vokal des Diphthongs in ›sehr‹ fehlt das Diakritikum für Unsilbischkeit.

Hinzu kommen, wie erwähnt, zwei Formfehler: Anstelle des Betonungszeichens [ˈ], das im IPA verwendet wird, hat der Benutzer das kürzere, tiefer sitzende Apostroph-Ersatzzeichen ['] benutzt. Statt zu [ɡ], dem Lautschriftzeichen für den stimmhaften velaren Plosiv, das diese zweistöckige Form haben soll, hat der Benutzer zum normalen ›g‹ gegriffen, das in manchen Schriften dreistöckig gezeichnet ist. Natürlich sind das Lappalien. Doch genauso wenig wie ich jemandem, der nicht weiß, dass ›ß‹ ein Buchstabe des Deutschen ist, sehr gute Kenntnisse in dieser Sprache attestieren würde, kann man meines Erachtens von sehr guter Beherrschung der Lautschrift sprechen, wenn gewisse Konventionen unbeachtet bleiben, die im Übrigen nicht grundlos sind: Die Form von Apostroph und ›g‹ variiert in einer Weise, die dem Duktus der jeweiligen Schrift gerecht wird, der optimalen Lesbarkeit von IPA-Transkriptionen aber nicht immer entgegenkommt. Gewährleistet wird diese nur, indem man die eigens für Lautschrift vorgesehenen Zeichen verwendet, die in guten Schriften besagten Formvorgaben entsprechen und dazu beitragen, dass die Transkription, wenn alle Fehler eliminiert sind, wie folgt aussieht: [ˈdiːzɐ bəˈnʊt͜sɐ hat zeːɐ̯ ˈɡuːtə ˈkɛntnɪsə dəs ˌˀiːˌpeːˈˀaː].



Samstag, 27. Februar 2010
Misheard Wettervorhersage [Fester Link zum Beitrag]
Einen amüsanten Splitter liefert mir die Wettervorhersage der tagesschau vom Mittwoch dieser Woche. Ich habe mich nämlich verhört. Produktions- und Rezeptionsfehler – vulgo Versprecher und Verschreiber einerseits, Verhörer und Verleser andererseits – gelten in der Linguistik nicht nur als notorisch populäres Proseminarthema, sondern vor allem als wichtiges ›Fenster‹ ins kognitive System: Durch sie erhofft man sich Erkenntnisse darüber, wie Inhalte im Gehirn organisiert sind. Schließlich ist etwa die Annahme nicht unbegründet, dass nur solche Strukturen beim Wahrnehmen oder Erzeugen von Sprache verwechselt werden, die nah beieinander liegen – und zwar auf eine womöglich weniger offensichtliche Weise als etwa zwei Wörter mit demselben Anfangslaut. Doch nicht nur im Labor kann man durch linguistische Fehlleistungen etwas über Sprache erfahren, wenn auch die Einsichten am heimischen Fernseher bisweilen etwas weniger spektakulär ausfallen.

Im konkreten Fall hörte ich am Beginn des ersten Satzes besagter Wettervorhersage eine Lautfolge, die sich als [tʰiːf stiˑf] transkribieren lässt. Im Wissen, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete mit Vornamen bezeichnet werden, wenn auch im Unwissen, dass es dieses Jahr die Hochdruckgebiete sind, die Männernamen tragen, glaubte ich ›Tief Steve‹ verstanden zu haben. Warum sollte eine Zyklone nicht ›Steve‹ genannt werden? Doch der Satz nahm eine für mich unerwartete Wendung und lautete schließlich vollständig: »Tiefs, die vom Atlantik nach Dänemark ziehen, bestimmen weiterhin unser Wetter.« Ich hatte mir meinen ›Steve‹ also aus Bestandteilen dreier Wörter – der Coda von ›Tiefs‹, dem Relativpronomen und dem Anlaut der Präposition – zusammengebastelt. Statt zweier Wortgrenzen glaubte ich nur eine zu hören, und die auch noch an einer Stelle, an der sich de facto keine befand. Tatsächlich lautete der Satz nämlich bis zu diesem Punkt [tʰiːfs d̥iˑ f]. Verwirrend wirkte das nahezu voll stimmlose wortinitiale [d], das ich als unaspiriertes [t] wahrnahm – wie bei anlautendem [s] oder [ʃ] im Deutschen üblich. Die Auslautverhärtung bei einem Namen, der im Englischen auf [v] endet, trug ein Übriges bei. Sogar die Satzbetonung, die nicht auf dem Namen, sondern auf dem ersten Wort lag und damit meine Interpretation hätte unplausibel erscheinen lassen müssen, vermochte nicht, mich von meinem Verhörer abzuhalten.

Was lernen wir daraus? Dass Hörer offensichtlich eine erhebliche Toleranz zeigen, was die Abweichung einer tatsächlich gehörten Lautfolge von der Ideallautung angeht, die auf der Basis einer angenommenen phonologischen Struktur erwartet wird. Auch ungewöhnliche Realisierungen können einem bestimmten Phonem sofort zugeordnet, zu Wörtern kombiniert und zur Bedeutungskonstruktion genutzt werden – auch wenn, wie in meinem Fall, ein Irrtum zugrunde liegt. Ungeachtet solcher kleiner Pannen ist das System nämlich praktikabel und alternativlos. Wörter, die in lauten Umgebungen, bei großen Entfernungen oder am Telefon problemlos übermittelt werden, wären sonst unter derartigen Bedingungen unverständlich.



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