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DAS PHONETIK-BLOG [foˈneːtɪkˌblɔk]
Sonntag, 12. August 2007
Elfriede Jelinek [Fester Link zum Beitrag]
Die Literaturnobelpreisträgerin aus Österreich wird vor allem von englischen Muttersprachlern bisweilen ausgesprochen, als habe sie einen Hals aus Wackelpudding. Dem ist nicht so. Ihr Name kommt aus dem Tschechischen, wo man mit jelen [ˈjɛlɛn] den Hirsch (lat. cervus) bezeichnet. Der Diminutiv schreibt sich jelínek; die korrekte Aussprache ist [ˈjɛliːnɛk]. Der Akutakzent, der im Deutschen verloren gegangen ist, ohne die Aussprache des Namens zu beeinflussen, hat beim i im Tschechischen eine doppelte phonetische Implikation: Während sich bei allen anderen Vokalen durch den Akzent nur die Quantität ändert, wird i als [ɪ] gesprochen, während í als [iː], also nicht zentralisiert und lang, artikuliert wird. In Tschechien würde Frau Jelinek übrigens wahrscheinlich die weibliche Form Jelínková als Nachname führen; diese spricht man [ˈjɛliːŋkovɐ̞ː]. Das tschechische Phonem /a/ ist ein ungerundeter offener Zentralvokal, den man auch mit [ä] oder [ɑ̈] transkribieren könnte.
Quasimodo [Fester Link zum Beitrag]
Der Ur-Quasimodo, nach dem man bis heute bucklige hässliche Menschen benennt, tauchte in Victor Hugos 1831 erschienenem Roman Notre-Dame de Paris 1482 auf. Den Roman spricht man [nɔtʀ̥ˈdam dəpaˈʀi], seinen Autor [vikˈtɔːʀ yˈɡo]. Der Name des Glöckners lautet im Französischen [kazimɔˈdo]. Im Deutschen verändert sich, neben der Aussprache des Digraphs qu, die Betonung zu [kvaziˈmoːdo]. Für das Englische gilt mit [ˌkwɑːzɪˈməʊdəʊ] dasselbe; während man [ˈkweɪzaɪ] bzw. [ˈkweɪsaɪ] für quasi in der Bedeutung »sozusagen« noch heute hört, ist [ˌkweɪsaɪˈməʊdəʊ] für die Romanfigur unüblich geworden. Noch eine andere Aussprache empfiehlt sich für den Namen des italienischen Lyrikers Salvatore Quasimodo. Man spricht ihn [salvaˈtoːre ku̯aˈziːmodo]. Der Mann war, am Rande bemerkt, weder bucklig noch hässlich. Verwechslungsgefahr besteht auch mit der evangelischen Benennung des ersten Sonntags nach Ostern, den man auch als »Weißen Sonntag« bezeichnet: Der Begriff Quasimodogeniti wird im Deutschen [kvaziˌmodoˈɡeːniti] gesprochen; er geht auf den lateinischen Halbsatz »quasi modo geniti« (dt. »wie die gerade Geborenen«) aus dem Neuen Testament zurück. In Hugos Roman wird der Säugling Quasimodo an diesem Tag von Erzdiakon Frollo auf den Stufen von Notre-Dame in Paris gefunden.
Donnerstag, 9. August 2007
Deutsches und rheinisches R [Fester Link zum Beitrag]
Das deutsche Phonem /r/ besitzt zwei stellungsbedingte Varianten: [ʁ] (oder andere freie Varianten), als »konsonantisches r« bezeichnet, und [ɐ̯], »vokalisches r« genannt. Letzteres steht in der Standardvarietät praktisch immer nach den langen Vokalen außer [aː]; Beispiele hierfür sind Teer [teːɐ̯], Tür [tyːɐ̯] oder Tor [toːɐ̯]. Steht /r/ am Wortende oder vor Konsonant nach den kurzen Vokalen bzw. [aː], muss nicht vokalisiert werden, wird es aber meist; so koexistieren die Aussprachen Sport [ʃpɔɐ̯t] bzw. [ʃpɔʁt], hart [haɐ̯t] bzw. [haʁt] und wirr [vɪɐ̯] bzw. [vɪʁ]. In allen anderen Fällen wird im Hochdeutschen [ʁ] gesprochen; der Laut stellt insofern eine Besonderheit dar, als er, wie die Nasale des Deutschen, im Auslaut nicht voll stimmlos wird, also nicht unter das »Auslautverhärtung« genannte Phänomen fällt, das vor allem Frikative und Plosive betrifft. Eine Abweichung hiervon ist zum Beispiel in einigen rheinischen Dialekten, so im Öcher Platt, also der Aachener Mundart, zu hören: Hier findet oft keine Vokalisierung von /r/ statt, wo dies nicht obligatorisch ist. Anstelle von [ʁ], das man erwarten würde, kann das stimmlose Gegenstück [χ] gesprochen werden. Sport lautet also [ʃpɔχt], wirr demnach [vɪχ]. Zu Sprechern dieser Mundart, die in Funk und Fernsehen bisweilen zu hören sind, zählen die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Manfred Schell. Letzterer ließ jüngst wissen, ein Streikverbot sei für ihn nicht [ˈfoːɐ̯ʃtɛlˌbaːχ].
Donnerstag, 9. August 2007
Im Französischen wird der Name der Hauptstadt Südkoreas [seˈul] gesprochen. Dieser Lautung muss man wohl die Syllabifikation Se-oul zugrunde legen, die sich allerdings nicht mit der koreanischen deckt: Dort besteht das Wort aus zwei Hangeul-Zeichen, nämlich 서울 (Seo-ul). Die südkoreanische Aussprache ist [ˈsʌul]. Die Vokale der beiden Silben bilden keinen Diphthong im phonologischen Sinne, wohl aber im auditorischen. Der Vokal [ʌ] ist die kurze Variante eines Phonems, das wahlweise /ʌ/ oder /ə/ bezeichnet wird, da es zwei recht unterschiedliche Laute zusammenfasst: Ist der Laut kurz, spricht man ihn, wie hier angegeben, [ʌ]; ist er lang, lautet er [əː]. Die englische – und die damit weitgehend identische deutsche – Aussprache, bei der dieser Eigenname in der Regel homophon mit soul (Seele) ist, trägt der koreanischen Phonetik angemessen Rechnung. Mit dem Phoneminventar des Französischen wäre dies gelungen, wenn Seoul wie saule (Weide), also [soːl], lautete.
Mittwoch, 8. August 2007
Tschernobyl [Fester Link zum Beitrag]
Der Name der nord-ukrainischen Stadt wurde 1986 bekannt, als sich in einem nach ihr benannten Kernkraftwerk, das eigentlich näher an der Stadt Prypjat liegt, ein Reaktorunfall ereignete. Auf Ukrainisch schreibt sich die Stadt Чорнобиль (Transliteration: Čornobyl’). Allerdings gehörte die Ukraine zur Sowjetunion, als der GAU passierte; das Ukrainische war zu dieser Zeit nicht verboten, wurde jedoch bis 1991 vom Russischen weitgehend verdrängt oder, wo das nicht, erheblich beeinflusst. Daher bürgerte sich in den westlichen Medien unmittelbar nach der Katastrophe die russische Transkription des Ortnamens ein, die auf die kyrillische Schreibweise Чернобыль (Transliteration: Černobyl’) zurückgeht. Die russische Aussprache des Namens ist [tʲɕɪrˈno̞bɨlʲ], die ukrainische [tʲɕorˈno̞bɪlʲ].
Dienstag, 7. August 2007
Diakritika [Fester Link zum Beitrag]
Es gibt Diakritika im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA), von dem ich hier laufend Gebrauch mache, die man auch in Publikationen zur Phonetik von SAE-Sprachen (Standard Average European) sehr häufig sieht: Dazu zählt beispielsweise das Zeichen für unsilbische Laute, das in dt. Linie [ˈliːni̯ə] verwendet wird. Das Beispiel im Handbook of the IPA in seiner aktuellen Auflage (1999) für dieses Diakritikum ist übrigens falsch: Bei der Transkription für span. poeta (Dichter), die dort als *[po̯ˈeta] angegeben ist, hätte die erste Silbe gar keinen Silbengipfel, da der einzige verfügbare Vokal als unsilbisch gekennzeichnet ist. Gemeint ist offensichtlich, dass die Zitierform [poˈeta] bei zügiger Aussprache zu [ˈpo̯eta] werden kann. Weitere Diakritika, die oft verwendet werden, sind die für Nasalisierung – wie in frz. pain (Brot) [pɛ̃] –, für Palatalisierung – wie in russ. мать (Mutter) [matʲ] – oder für Syllabizität – wie in dt. Garten [ˈɡaːɐ̯tn̩]. Ein Diakritikum, das ich bisher sehr selten gesehen habe, ist dasjenige, das für zusätzliche Stimmhaftigkeit steht: Wird es hervorgeholt, vervollständigt es meist lediglich eine Erläuterung der Zeichen der IPA, um anschließend wieder in der Schublade zu verschwinden. In der Regel wird das Diakritikum anhand von Wortgruppen, in denen sich Assimilationsprozesse vollziehen, erläutert. Die klassischen Beispiele sind engl. back of (Rückseite von) [bæk̬ əv] oder frz. chaque jour (jeden Tag) [ʃak̬ ʒuʀ]. Aus dem Deutschen könnte man das deutlich umgangssprachliche Beispiel auf ihn [aʊ̯f̬ iːn] hinzufügen. Dass das Zeichen nach meinem Eindruck in der Fachliteratur praktisch inexistent ist, könnte damit zu tun haben, dass es aufgrund seiner Ungebräuchlichkeit ohnehin nicht unkommentiert stehen kann und deshalb leicht durch das jeweilige Zeichen für den stimmhaften Laut nebst zwei, drei Sätzen für dessen Auftreten in unerwarteter Position ersetzt werden kann.
Sonntag, 5. August 2007
Seit Januar 2002 bezahlen Menschen in weit mehr als einem Dutzend Staaten Europas mit einer Währung: dem Euro. Die Forderung der Europäischen Kommission, dass dessen offizielle Bezeichnung in allen Ländern, in denen er eingeführt wird, Euro geschrieben werden muss, sofern die Landessprache nicht in einer anderen als der lateinischen Schrift wiedergegeben wird, hat zur Folge, dass dasselbe Wort zahlreichen Lautsystemen unterworfen wird, die auf sehr unterschiedliche Weise damit umgehen. Einen großen Block ähnlicher Lautungen bilden die Sprachen, in denen die Aussprache – mehr oder weniger exakt – [ˈɛu̯ro] lautet. Dazu zählen das Finnische, das Italienische, das Maltesische, das Polnische, das Rumänische, das Spanische, das Tschechische und das Ungarische. Ich unterschlage einige Besonderheiten wie die präzisen Vokalqualitäten, die sich nicht massiv unterscheiden, und die Artikulation der r-Laute, die vor allem als [r] und [ɾ] erscheinen. Erwähnt seien zwei Abweichungen in der Schreibung, nämlich im Maltesischen, wo der Buchstabe w den zweiten Teil des Diphthongs bildet, und im Ungarischen, wo das Wort wegen orthografischer und lautlicher Konventionen auf ó – und damit einen Langvokal – endet. Eine mögliche phonetische Divergenz zeigt sich im Portugiesischen, dessen Sprecher zwischen [ɔ] und dem erwartbaren [u], das auch im Katalanischen zu hören ist, als Auslaut schwanken. Eine zweite, kleinere Fraktion gestaltet sich in Schreibung und Lautung des Währungsnamens weniger homogen: Hier taucht als zweiter Laut das [v] auf. Zu dieser Gruppe gehören erstens zwei nicht-lateinische Schriften, zweitens schwankt die Betonung: Im Bulgarischen sowie Serbischen mit [ˈɛvro] – Евро geschrieben – und im Schwedischen mit [ˈɛvɹu] liegt sie auf der ersten Silbe, im Griechischen mit [e̞vˈɾo̞] (Schreibweise: Ευρώ) und Türkischen mit [avˈɾo̞] (Schreibweise: Avro) auf der zweiten und letzten Silbe. An dieser Stelle bereits lassen sich schwerlich weitere Aussprachevarianten zusammenfassen: Allenfalls das Französische – dort heißt es [øˈʀo] – und das Niederländische – dort spricht man vom [ˈøːɾöʊ̯] (danke, Steffie!) – scheinen trotz voneinander abweichender Betonung verwandt. Bleiben einige Sonderfälle wie das Deutsche, das den Digraph eu wie üblich interpretiert, sodass die Währung [ˈɔɪ̯ʁo] lautet, und das Englische, dessen Sprecher selten mit dem Euro bezahlen und diesen [ˈjʊəɹəʊ] sprechen. Für das Isländische hat sich zur Schreibung Evra die Aussprache [ˈɛvra] eingebürgert. Im Irischen koexistieren nach meinen Recherchen die Graphien Euro, über dessen Lautung ich nicht spekulieren möchte, und Eoró; die regelmäßige Aussprache der letztgenannten, selteneren Form ist [ˈoːɾoː]. Als Abschluss bietet sich wieder der Blick in den Osten an, so nach Russland, wo die Schreibweise dieselbe wie im Bulgarischen und Serbischen ist, die Aussprache jedoch [ˈjɛ̞vrə]. In China versucht man nicht, den Namen des Euro klanglich nachzuahmen, sondern setzt ihn aus den Zeichen für »Europa« und »Währung« zusammen: 欧元 (Pinyin: Ōu Yuán) lautet [˥˥ ou̯ ˧˥ yɛ̯n] auf Hochchinesisch. Im Japanischen hält man sich an die englische Lautung, schreibt ユーロ und spricht [jɯ̞̈ɯ̞̈ɺ̠o]. – Übrigens: Wie lautet der Euro in Dänemark und im Baltikum?
Samstag, 4. August 2007
Surrey [Fester Link zum Beitrag]
Die Aussprache des Namens der englischen Grafschaft, in der die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist, in den deutschen Nachrichten zeigt, wie sehr unsere Vorstellungen von englischer Phonetik durch das Amerikanische geprägt sind. Die Buchstabenfolge ur(r) steht in der amerikanischen Aussprache oft für [ɝ]. Einige Wörter mit diesem Laut werden im britischen Englisch mit dessen nicht-rhotischem Äquivalent [ɜ] gesprochen, wie blur, fur, occur oder purr. In anderen Fällen korrespondiert das amerikanische [ɝ] jedoch mit dem britischen [ʌɹ]. Beispiele hierfür sind burrow, flurry, hurry, (s)curry (auffallend viele Begriffe auf y, wie man sieht) – und eben Surrey. Die britische Aussprache dieses Namens ist also [ˈsʌɹi]. Auch die Lautung des Ortes, der in der Nähe des von der Seuche betroffenen Hofes liegt, birgt eine kleine Besonderheit: Guildford lautet korrekt [ˈɡɪlfəd]; das d bleibt stumm, anders als beispielsweise im Namen der Figur Guildenstern aus Shakespeares Hamlet. Die Maul- und Klauenseuche, auch wenn das für deutsche Fleischesser hoffentlich ohne Bedeutung bleiben wird, heißt übrigens auf Englisch foot-and-mouth disease, sprich: [ˌfʊt ən ˈmaʊθ dɪˌziːz] – oder mit ein wenig Assimilation, wie eben bei Sky News gehört, [ˌfʊpm̩ˈmɛˑɤ̯̈z̪ dɪˌziːz̥].
Donnerstag, 2. August 2007
Minneapolis [Fester Link zum Beitrag]
Aus aktuellem Anlass: Die achtspurige Autobahnbrücke, die gestern in den USA eingestürzt ist, führte über den Mississippi, dessen Aussprache im Englischen [ˌmɪsəˈsɪpi] ist. Sie verband zwei auf verschiedenen Seiten des Flusses gelegene Viertel der Stadt Minneapolis, die man [ˌmɪniˈæpəlɪs] ausspricht. In unmittelbarer Nähe liegt das etwas kleinere Saint Paul, sprich: [seɪnt ˈpɑːl], das zusammen mit Minneapolis als die sogenannten twin cities bezeichnet wird. Beide Städte liegen im US-Bundesstaat Minnesota, der – mit dem typisch nordamerikanischen Merkmal des alveolar tapping – [ˌmɪnəˈsoʊɾə] ausgesprochen wird.
Mittwoch, 1. August 2007
Bandnamen [Fester Link zum Beitrag]
Die Popularität des Artikels über Bands mit Heavy-Metal-Umlaut im Namen (siehe 8. Juli) und ein Thread aus einem Gothic-Forum haben mich zu einer Fortsetzung gereizt. Es soll dieses Mal nicht speziell um die Umlautschreibweise, sondern um Bandnamen im Allgemeinen gehen. Der Diskussionsfaden, den ich gefunden habe, zeigt, dass man von Nicht-Linguisten in phonetischer Hinsicht nicht zu viel erwarten sollte. Die meisten Menschen sprechen neben ihrer Muttersprache maximal eine Fremdsprache, meistens Englisch (falls das nicht gerade ihre Muttersprache ist), und selbst das nur leidlich. Kommt es zu Bandnamen wie L’Âme Immortelle, wird es also schwierig: In besagtem Forum wurde spekuliert, ob das erste Wort nicht ausgesprochen werden müsse, als habe es einen Akutakzent auf dem letzten Buchstaben. Nein. Der Bandname bedeutet »unsterbliche Seele« – an Originalität den meisten Namen in dieser Musikrichtung in nichts nachstehend – und spricht sich [ˌlɑm imɔʀˈtɛl] – für die meisten heutigen Französischsprecher mit [a] für [ɑ]. Doch auch bei englischen Begriffen wird über die Aussprache mehr spekuliert als gewusst: Dabei könnte man beispielsweise den Bandnamen Evanescence als Vokabel in vielen Online-Wörterbüchern nachschlagen sowie dadurch herausfinden, dass das Wort mit »Schwund« zu übersetzen ist und sich [ˌɛvəˈnɛsənts], alternativer Anlaut: [ˌiːvə-], spricht. Das Gleiche gilt für Hypocrisy – mir war bis heute Abend übrigens unbekannt, dass es eine Band dieses Namens gibt – mit der Bedeutung »Heuchelei« und der Aussprache [hɪˈpɒkɹəsi]. Als es in dem Forum schließlich um spanische Bands ging, konnte ich mich eines Schmunzelns nicht erwehren: Ob man die Buchstabenfolge oe in Héroes del Silencio wohl [ø] ausspreche, wurde gefragt. Nein, wirklich nicht. Richtig ist [ˈeɾoes ðel siˈlenθjo]. Als für Mitteleuropäer komplizierteren Fall akzeptieren kann man den Namen der norwegischen Band Dimmu Borgir, die sich nach einem Lavafeld in Island benannt hat. Die korrekte isländische Aussprache ist [ˈtɪmːʏˌpɔrcɪr̥]. Das Isländische hat (siehe 19. Juli) keine stimmhaften Plosive. – Ich könnte noch wochenlang jeden Abend zu diesem Thema schreiben, ohne dass mir die Bandnamen ausgehen. Muss aber nicht sein.
Dienstag, 31. Juli 2007
Popstars [Fester Link zum Beitrag]
Nach Theaterregisseuren, Literaten und Politikern soll auch die Popmusik zu ihrem Recht kommen, zumal gerade dort die Gefahr falscher Aussprachen hoch ist, weil die Akteure schneller wechseln und oft ungewöhnlichere Pseudonyme haben als auf anderen Gebieten: So wirbt Thomas Hübner als Clueso um die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums. Benannt hat er sich nach Inspektor Jacques Clouseau aus Blake Edwards’ The Pink Panther, den man [ˌʒak kluˈzo] spricht. Vielleicht ist Clueso diese Aussprache unbekannt, vielleicht gefällt sie ihm nicht: Sein Künstlername lautet jedenfalls [klyˈzoː]. Erheblich erfolgreicher, also auch umso häufiger falsch ausgesprochen zu hören, sind Sängerinnen wie Christina Aguilera, Beyoncé, Rihanna und Ciara. Beginnen wir von hinten: Ciara kann sowohl ein weiblicher irischer Vorname sein, der sich [ˈciəɾˠə] spricht, als auch der Vorname besagter Interpretin mit der Lautung [siˈɛɹə]. Von Rihannas Namen kursieren auf diversen dubiosen Seiten ebenso diverse wie dubiose Angaben über die korrekte Lautung. In einem Video, das ich gefunden habe, ist zu hören, wie die Sängerin ihren Namen ausspricht, und zwar [ɹiˈænə]. Auch wenn der Akutakzent anderes glauben machen möchte, reiht sich Beyoncé mit einem Namen ein, der auf der zweiten – und nicht der letzten – Silbe betont wird, also [biˈjɑːnseɪ̯]. Auch im Fall von Christina Aguilera, deren Nachname regelmäßig der Kreativität des jeweiligen Sprechers anheim fällt, besteht phonetischer Aufklärungsbedarf, vornehmlich im deutschsprachigen Raum: Die Aussprache, die von der Sängerin selbst verwendet wird, ist [kɹɪsˈtiːnə æɡɪˈlɛɹə]. Wobei: Die exakte Transkription könnte genauso gut [ɛɡɪˈlæɹə], [ɛɡɪˈlɛɹə] oder noch anders aussehen. Kann man das bei einer Interpretin wissen, die im selben Interview betont, sie sei [ˈhɛpi], ihr “new [ˈrækɚd]” fertiggestellt zu haben?
Montag, 30. Juli 2007
Tatsächlich [Fester Link zum Beitrag]
Eine zugleich amüsante wie interessante Information, welche phonetischen Themen besonders interessieren, stellen die Auswertungen dar, welche Beiträge dieses Blogs am häufigsten angeklickt werden und mit welchen Suchbegriffen die Leute von (meistens) Google hierher kommen. So war es in den letzten Tagen mehrfach die Frage nach der Aussprache oder vielmehr der Betonung des Wortes tatsächlich, die einen oder mehrere Surfer auf diese Seite getrieben hat. Es gibt – tatsächlich – zwei verschiedene Möglichkeiten, den Begriff zu betonen, nämlich [ˈtaːtzɛçlɪç] und [taːtˈzɛçlɪç]. Allerdings fällt es schwer, einem Deutschlernenden zu erklären, wann man wie betont, weil darüber, wie so oft, der Kontext entscheidet: Aus, sagen wir, euphonischen Gründen passt sich tatsächlich mitunter der Betonung von Wörtern an, die folgen oder vorausgehen: Bei einer Phrase wie »die vermeintlichen und tatsächlichen Vorteile« (dieses und alle weiteren Beispiele aus dem DUDEN-Universalwörterbuch) würde ich beide Wörter auf der zweiten Silbe betonen, bei »sein tatsächlicher Name« spricht vieles für eine Betonung auf der jeweils ersten Silbe. Richtig wäre aber in beiden Fällen auch die andere Variante; ob sie von deutschen Muttersprachlern als befremdlich empfunden würde, bleibt zu untersuchen. Allenfalls für konkrete Sätze wie »Ist das tatsächlich wahr?« (erste Silbe) oder dessen Verkürzung »Tatsächlich?« (zweite Silbe) könnte man von einer Betonungstendenz sprechen, die von Idiolekten in gewissem Maße unabhängig ist. Hier zeigt sich, dass die Intonation mit der zugehörigen Semantik in den meisten Sprachen zu Recht als eines der komplexesten und selbst für Muttersprachler oft schwer zu durchdringenden Gebiete gilt.
PS – für alle, die es interessiert: Stark gefragt war in den letzten Tagen der Beitrag zu Pratibha Patil. Dauerbrenner sind die Aussprache Salman Rushdies und, wie zu erwarten, Libyens. Sonntag, 29. Juli 2007
Die Betonung des Namens der afghanischen Hauptstadt schwankt im Deutschen zwischen beiden möglichen Silben. Grundsätzlich gilt für das Persische, das man in Afghanistan spricht, dass eine Endbetonung wahrscheinlich ist. Dies sieht man beispielsweise am Namen des Landes, der sich in seiner Kurzform افغانستان schreibt und [ævˌɣɒnɛ̝̈ˈstɒːn] spricht. Wie man an der Schreibweise sieht, wirkt bei diesem Begriff der Prozess der antizipativen Assimilation: Der Buchstabe ف steht für [f], wird aber aufgrund des folgenden [ɣ] von sehr vielen Sprechern praktisch stimmhaft gesprochen. Den Vokal direkt vor der betonten Silbe habe ich dem Phonem /ɛ/ zugeordnet, das phonetisch etwas geschlossener artikuliert wird und in der unbetonten Position, wie hier, durch Zentralisierung eine schwa-ähnliche Qualität annimmt. Zurück zu Kabul: Bereits hier stimmt die generelle Annahme einer finalen Betonung nicht mehr. Die Betonung von Eigennamen ist nicht vorhersagbar; bei Substantiven und Verben liegt sie im Persischen in der Tat meist auf der letzten Silbe, allerdings nur in den jeweiligen Zitierformen. Betonte Präfixe, unbetonte Suffixe sowie eine Betonungsverschiebung durch den Vokativ führen dazu, dass in der Alltagssprache nur rund die Hälfte aller Wörter endbetont ist. Die Hauptstadt Afghanistans schreibt man auf Persisch کابل; die Aussprache ist [ˈkɒːbʊl]. Der erste Vokal ist, diachronisch gesehen, ein Langvokal, der jedoch heute höchstens in betonter Position minimal gelängt ist; der zweite Vokal, in betonter Stellung dem Kardinalvokal [u] vergleichbar, wird unbetont – siehe oben – merklich zentralisiert.
Tempura [Fester Link zum Beitrag]
Da ich hier kein Koch-Blog führe, soll es natürlich vor allem um die Aussprache dieser japanischen Speise gehen – und nicht darum, wie lecker das Zeug schmeckt. Im Deutschen ist das Wort dreisilbig, also Tem|pu|ra, mit der Aussprache [tɛmˈpuːʁa]. Auf Japanisch schreibt man auf diese Weise zubereitetes Essen 天ぷら (oder auch 天麩羅). So oder so: In seiner Herkunftssprache, deren meiste Dialekte keine Silben zählen, besteht der Begriff aus vier Moren (Singular: Mora). Die phonologische Schreibweise mit Silbengrenzen ist /te.ɴ.pɯ.ra/. Der sogenannte moraische Nasal, der die zweite Silbe alleine bildet, deckt im Japanischen jedoch ein recht großes Spektrum an Allophonen ab: Am Wortschluss kann tatsächlich [ɴ] gesprochen werden; in anderen Positionen ist der folgende Laut entscheidend. In unserem Fall führt der bilabiale Plosiv in der nächsten Mora zur Aussprache [ˈteˌmpɯ̞̈ɺ̠ɐ̞].
Freitag, 27. Juli 2007
Cahors – Angoulême [Fester Link zum Beitrag]
Auch wenn das sportliche Interesse an der Tour de France aus nahe liegenden Gründen abgeflaut ist, taugt die Veranstaltung für einen Hinweis auf die Aussprache des Start- und Zielorts der morgigen Etappe. Los geht es im Département Lot, das man infamerweise [lɔt] spricht, und nicht etwa mit stummem t. Dafür birgt die Aussprache von Cahors, die da [kaˈɔʀ] wäre, keine Überraschungen für Frankreichkenner. Von selbst ernannten ebensolchen habe ich allerdings schon mehrfach denselben Irrtum bei der Aussprache von Angoulême gehört. Das hübsche Städtchen im Département Charente – sprich: [ʃaˈʀɑ̃t] – fällt phonetisch unter die Regel, dass g im Französischen nur vor e, i und y als [ʒ] ausgesprochen wird. Lautlich korrekt endet die 18. Etappe der Rundfahrt demnach in [ɑ̃ɡuˈlɛm].
Freitag, 27. Juli 2007
Iwan Sergejewitsch Turgenew [Fester Link zum Beitrag]
In den Zettelkatalogen von Bibliotheken, die ältere Aufnahmen in den Bestand verzeichnen, dürfte man exakt unter dem in der Überschrift genannten Nachnamen oft erfolglos suchen. Bis vor einigen Jahren war die Schreibweise Turgenjew üblich. Übrigens: Turgenew – wer war das noch mal? Ein guter Schachspieler? Stimmt. Der Mann, der für das schwerste Gehirn im Guinness-Buch der Rekorde steht? Auch. Und sonst? Ach ja, Bibliothek, Schriftsteller, klar. Die kyrillische Schreibweise seines Namens ist Иван Сергеевич Тургенев (Transliteration: Ivan Sergeevič Turgenev). Ein Blick auf die Aussprache seines Namens lässt erahnen, woher das j in der alten Transkription kommt. Die korrekte Lautung ist: [ɪˈvan sʲɪrˈɡʲejɪvʲɪtʲɕ tʊrˈɡʲenʲɪf]. Offenbar sollte die überholte Schreibweise die Palatalisierung in der letzten, unbetonten Silbe des Namens festhalten. Davon abgekommen ist man, da es schwer zu begründen ist, warum eine Palatalisierung verschriftlicht wird, während andere von mehr oder weniger kundigen Lesern selbstständig ergänzt werden müssen. Vielleicht trägt auch dieses Blog dazu bei, dass – wenn auch einer kleinen, so doch wachsenden Zahl von Interessierten – ersichtlich wird, wann und wie im Russischen Konsonanten palatalisiert oder Vokale reduziert werden.
Sławomir Mrożek [Fester Link zum Beitrag]
Der Pole ist bekannt als Prosaautor, Karikaturist und vor allem als Dramatiker. Geboren wurde er 1930 in Borzęcin. Wo das liegt? In der Nähe von Krakau – oder, wie es auf Polnisch heißt, Kraków. Dies spricht man [ˈkrɐ̞kuf], den Geburtsort Mrożeks [bɔˈʒɛnt͜ɕin]. Im Polnischen spricht sich der Buchstabe ę in der Regel [ɛ̃], doch was wäre eine anständige Regel ohne Ausnahme? Vor Plosiven und Affrikaten wird der Vokal denasalisiert und durch einen nasalen Konsonanten am selben Artikulationsort wie der folgende Laut ergänzt. So ist beispielsweise die korrekte Lautung für die pommerische Stadt Lębork [ˈlɛmbɔrk]. Am Wortende spricht man ę als [ɛ]. Im Namen des Autors, der diesen Beitrag angeregt hat, begegnen Nicht-Polen zwei weitere diakritische Hürden: Das »durchgestrichene« l spricht man dafür immer gleich, nämlich [w]. Der Laut, für den hier ż steht, kann im Polnischen auf verschiedene Weise ausgedrückt werden: Auch mit der Buchstabenfolge rz kann man [ʒ] wiedergeben. Die Wörter morze (Meer) und może (er/sie kann) werden also identisch als [ˈmɔʒɛ] gesprochen. Dass, als phonetischer Bonus sozusagen, ź hinzukommt, das man [ʑ] spricht, ist für die Aussprache des Namens unseres Autors hingegen nicht wichtig. Er lautet [swɐ̞ˈvɔmir ˈmrɔʒɛk].
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