Montag, 24. September 2007
Heute beginnt auf der Erd-Nordhalbkugel der Herbst. Dieses Wort ist ein typisches, wenngleich harmloses Beispiel für die Konsonantencluster germanischer Sprachen, die Sprechern des Spanischen oder Japanischen das Wasser in die Augen treiben. Die Lautung [hɛrpst] wird im Deutschen durch die Verbform schrumpfst [ʃʁʊmpfst] mit fünf Konsonanten in Folge getoppt. Dies kann man nur durch artifiziell wirkende Komposita wie Kampfstreifenhörnchen [ˈkampfˌʃtʁaɪ̯fn̩hœʁnçn̩] oder Strumpfstreit [ˈʃtʁʊmpfˌʃtʁaɪ̯t] überbieten, bei denen sich die gesprochenen Konsonanten auf je zwei Silben verteilen. Dies gilt auch für den Begriff, der im Guinness-Buch der Rekorde als Wort mit den meisten aufeinanderfolgenden geschriebenen Konsonanten verzeichnet sein soll: Borschtschgschnas, was offenbar so viel bedeutet wie »Kostümfest, auf dem russische Rote-Bete-Suppe serviert wird«, bringt es mit der Aussprache [ˈbɔʁʃtʃˌkʃnaːs] auf wohl unschlagbare sieben gesprochene Konsonanten hintereinander. – Auf immerhin vier davon innerhalb einer Silbe kommt man im Englischen mit crunched [kɹʌntʃt] – oder indem man bei strengths [stɹɛŋkθs] den epenthetischen Vokal [k] gelten lässt. Mehr geht nur durch Zusammensetzungen wie Twelfthstreet [ˈtwɛlfθˌstɹiːt] – oder?



Sonntag, 16. September 2007
Automarken und -modelle [Fester Link zum Beitrag]
Gestern öffnete die größte Automesse der Welt, die IAA in Frankfurt/Main, für das Publikum, das nun tausendfach zwischen neuen Modellen herumwuseln wird. Natürlich ist es wichtiger, beim Autofahren keinen Unfall zu bauen, als die Namen der vielen Fahrzeuge korrekt auszusprechen, aber als Linguist mit Leib und Seele vergisst man die Phonetik auch nicht, wenn man im neuen Lamborghini sitzt. Und man weiß: Im Italienischen lautet der Name des Herstellers [lamborˈɡiːni] – keine Affrikate, nirgends. Warum ein italienischer Autobauer seinen Wagen spanische Namen gibt, ist mir unklar: Jedenfalls spricht man das Modell Reventón, das auf das diesjährigen Messe vorgestellt wurde, [reβenˈton]. Eine geschickte Namenswahl? Die spanische Redewendung « tener un reventón » entspricht dem deutschen »einen Platten haben«. Man fühlt sich an den erfolglosen Versuch der Firma Mitsubishi – Japanisch: 三菱, [miˈt͜sɯ̞̈ˌbiɕi] ausgesprochen – erinnert, die versuchte, ihren Geländewagen Pajero in den spanischsprachigen Ländern Südamerikas unter diesem Namen zu kaufen. Das Wort, [paˈxeɾo] gesprochen, benutzt man wie das Schimpfwort »Wichser« im Deutschen. Murciélago (dt. »Fledermaus«) für einen weiteren Lamborghini spricht sich [muɾˈθjelaɰo]. – Ein herbes phonetisches Los hat auch die Marke Citroën im Deutschen gezogen: Gerade weil sie es besonders gut machen wollen, nasalisieren viele vorsichtshalber jeden Vokal – man macht das ja so im Französischen. Tatsächlich lautet der Name [sitʀɔˈɛn]. Vergleichsweise leicht haben es dagegen die Seat-Mitarbeiter, ihren Kunden zu erklären, dass der Markenname [seˈat] lautet – und nicht wie das Wort für »Sitz« im Englischen.



Samstag, 8. September 2007
Bekannt ist, dass Deutsche – laut gewissen Erhebungen jedenfalls – inzwischen mehr Nudeln verzehren als die Italiener. Bei der Aussprache von Wörtern aus deren Sprache hapert es bisweilen jedoch nach wie vor: Der Name des jüngst verstorbenen italienischen Tenors Luciano Pavarotti war hier häufig mit unsilbischem [i] in der zweiten Silbe zu hören. Dabei lautet die korrekte italienische Aussprache [luˈtʃaːno pavaˈrɔtːi]. Dieselbe Regel gilt zum Beispiel für die Automarke Lancia, die man [ˈlantʃa] spricht. Bei der Lautung der Geburts- und Sterbestadt des Sängers, die inzwischen erfreulich oft mit der korrekten Betonung zu hören ist, fällt die Qualität des ersten Vokals auf, der nur von wenigen Deutschen wie im Italienischen artikuliert wird, also: [ˈmɔːdena]. Eine weitere italienische Stadt, deren Endonym genauso betont werden sollte wie deren deutsches Exonym, dies aber selten genug wird, ist Genua [ˈɡeːnu̯a], im Italienischen Genova [ˈdʒɛːnova].

Ein deutscher Privatsender zeigt demnächst die Verfilmung eines Tanklaster-Unfalls, der 1978 auf einem spanischen Campingplatz fast 300 Menschen das Leben kostete. Der Film läuft unter dem Titel Tarragona, dessen Aussprache in den Trailern wenig südländisches Flair vermittelte. Die spanische Aussprache ist [taraˈɰona]. Der erste Laut der dritten Silbe wurde und wird traditionell als [ɣ] transkribiert; allerdings legen sowohl der Höreindruck als auch artikulatorische Untersuchungen nahe, dass es sich nicht um einen velaren Frikativ, sondern um einen Approximanten handelt. Der Campingplatz, auf dem das Unglück geschah, heißt übrigens Los Alfaques (dt. »die Sandbänke«), sprich [los alˈfakes].

Demnächst wird wieder von Romy Schneider zu hören sein, weil diese in drei Wochen ihren 69. Geburtstag gefeiert hätte. Anlass genug, eine kurze Bemerkung zur Aussprache des Künstlernamens der Schauspielerin zu machen. Der Vorname wird, merkwürdigerweise vor allem von älteren Leuten, gerne mit zwei kurzen Vokalen ausgesprochen. Die Standardlautung ist jedoch [ˌroːmi ˈʃnaɪ̯dɐ]. Bürgerlich hieß die Schauspielerin ohnehin Rosemarie Albach.



Sonntag, 12. August 2007
Dieser Blogeintrag erlaubt sich einen – freilich rein linguistischen – Blick zwischen die Beine der Menschen: Die lateinisch-griechischen Bezeichnungen der edelsten Teile von Männlein und Weiblein haben schon so manchen in grammatikalische und phonetische Verwirrung gestürzt. Das »beste Stück« des Mannes darf man guten Gewissens als »Schwanz« bezeichnen, denn nichts anderes bedeutet der Begriff penis im Lateinischen. Die Singularform [ˈpeːnɪs] geht den meisten leicht über die Lippen – aber der Plural? Die unter Medizinern übliche Form lautet Penes, was man [ˈpeːneːs] ausspricht; sonst ist die Form Penisse [ˈpeːnɪsə] weiter verbreitet. Ähnliche Schwierigkeiten phonetischer Art, von anderen ganz zu schweigen, bereitet die weibliche Klitoris: Der Begriff stammt von altgriechisch κλειτορίς, was auf Deutsch »kleiner Hügel« bedeutet und dessen Lautung im attischen Dialekt [kleːtorís] war. Auf dem Weg über das Lateinische ins Deutsche hat sich die Betonung insofern verändert, als wir [ˈkliːtoʁɪs] sprechen. Diese Form kann auch für den Plural stehen. Als außerhalb von Ärztekreisen äußerst rare Pluralvariante existiert [kliˈtoːʁideːs]. Vagina – sprich [ˈvaːɡina] oder seltener [vaˈɡiːna] – und Vulva [ˈvʊlva] nehmen sich dagegen phonetisch unproblematisch aus.



Donnerstag, 9. August 2007
Deutsches und rheinisches R [Fester Link zum Beitrag]
Das deutsche Phonem /r/ besitzt zwei stellungsbedingte Varianten: [ʁ] (oder andere freie Varianten), als »konsonantisches r« bezeichnet, und [ɐ̯], »vokalisches r« genannt. Letzteres steht in der Standardvarietät praktisch immer nach den langen Vokalen außer [aː]; Beispiele hierfür sind Teer [teːɐ̯], Tür [tyːɐ̯] oder Tor [toːɐ̯]. Steht /r/ am Wortende oder vor Konsonant nach den kurzen Vokalen bzw. [aː], muss nicht vokalisiert werden, wird es aber meist; so koexistieren die Aussprachen Sport [ʃpɔɐ̯t] bzw. [ʃpɔʁt], hart [haɐ̯t] bzw. [haʁt] und wirr [vɪɐ̯] bzw. [vɪʁ]. In allen anderen Fällen wird im Hochdeutschen [ʁ] gesprochen; der Laut stellt insofern eine Besonderheit dar, als er, wie die Nasale des Deutschen, im Auslaut nicht voll stimmlos wird, also nicht unter das »Auslautverhärtung« genannte Phänomen fällt, das vor allem Frikative und Plosive betrifft. Eine Abweichung hiervon ist zum Beispiel in einigen rheinischen Dialekten, so im Öcher Platt, also der Aachener Mundart, zu hören: Hier findet oft keine Vokalisierung von /r/ statt, wo dies nicht obligatorisch ist. Anstelle von [ʁ], das man erwarten würde, kann das stimmlose Gegenstück [χ] gesprochen werden. Sport lautet also [ʃpɔχt], wirr demnach [vɪχ]. Zu Sprechern dieser Mundart, die in Funk und Fernsehen bisweilen zu hören sind, zählen die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Manfred Schell. Letzterer ließ jüngst wissen, ein Streikverbot sei für ihn nicht [ˈfoːɐ̯ʃtɛlˌbaːχ].



Dienstag, 7. August 2007
Es gibt Diakritika im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA), von dem ich hier laufend Gebrauch mache, die man auch in Publikationen zur Phonetik von SAE-Sprachen (Standard Average European) sehr häufig sieht: Dazu zählt beispielsweise das Zeichen für unsilbische Laute, das in dt. Linie [ˈliːni̯ə] verwendet wird. Das Beispiel im Handbook of the IPA in seiner aktuellen Auflage (1999) für dieses Diakritikum ist übrigens falsch: Bei der Transkription für span. poeta (Dichter), die dort als *[po̯ˈeta] angegeben ist, hätte die erste Silbe gar keinen Silbengipfel, da der einzige verfügbare Vokal als unsilbisch gekennzeichnet ist. Gemeint ist offensichtlich, dass die Zitierform [poˈeta] bei zügiger Aussprache zu [ˈpo̯eta] werden kann. Weitere Diakritika, die oft verwendet werden, sind die für Nasalisierung – wie in frz. pain (Brot) [pɛ̃] –, für Palatalisierung – wie in russ. мать (Mutter) [matʲ] – oder für Syllabizität – wie in dt. Garten [ˈɡaːɐ̯tn̩]. Ein Diakritikum, das ich bisher sehr selten gesehen habe, ist dasjenige, das für zusätzliche Stimmhaftigkeit steht: Wird es hervorgeholt, vervollständigt es meist lediglich eine Erläuterung der Zeichen der IPA, um anschließend wieder in der Schublade zu verschwinden. In der Regel wird das Diakritikum anhand von Wortgruppen, in denen sich Assimilationsprozesse vollziehen, erläutert. Die klassischen Beispiele sind engl. back of (Rückseite von) [bæk̬ əv] oder frz. chaque jour (jeden Tag) [ʃak̬ ʒuʀ]. Aus dem Deutschen könnte man das deutlich umgangssprachliche Beispiel auf ihn [aʊ̯f̬ iːn] hinzufügen. Dass das Zeichen nach meinem Eindruck in der Fachliteratur praktisch inexistent ist, könnte damit zu tun haben, dass es aufgrund seiner Ungebräuchlichkeit ohnehin nicht unkommentiert stehen kann und deshalb leicht durch das jeweilige Zeichen für den stimmhaften Laut nebst zwei, drei Sätzen für dessen Auftreten in unerwarteter Position ersetzt werden kann.



Sonntag, 5. August 2007
Seit Januar 2002 bezahlen Menschen in weit mehr als einem Dutzend Staaten Europas mit einer Währung: dem Euro. Die Forderung der Europäischen Kommission, dass dessen offizielle Bezeichnung in allen Ländern, in denen er eingeführt wird, Euro geschrieben werden muss, sofern die Landessprache nicht in einer anderen als der lateinischen Schrift wiedergegeben wird, hat zur Folge, dass dasselbe Wort zahlreichen Lautsystemen unterworfen wird, die auf sehr unterschiedliche Weise damit umgehen. Einen großen Block ähnlicher Lautungen bilden die Sprachen, in denen die Aussprache – mehr oder weniger exakt – [ˈɛu̯ro] lautet. Dazu zählen das Finnische, das Italienische, das Maltesische, das Polnische, das Rumänische, das Spanische, das Tschechische und das Ungarische. Ich unterschlage einige Besonderheiten wie die präzisen Vokalqualitäten, die sich nicht massiv unterscheiden, und die Artikulation der r-Laute, die vor allem als [r] und [ɾ] erscheinen. Erwähnt seien zwei Abweichungen in der Schreibung, nämlich im Maltesischen, wo der Buchstabe w den zweiten Teil des Diphthongs bildet, und im Ungarischen, wo das Wort wegen orthografischer und lautlicher Konventionen auf ó – und damit einen Langvokal – endet. Eine mögliche phonetische Divergenz zeigt sich im Portugiesischen, dessen Sprecher zwischen [ɔ] und dem erwartbaren [u], das auch im Katalanischen zu hören ist, als Auslaut schwanken. Eine zweite, kleinere Fraktion gestaltet sich in Schreibung und Lautung des Währungsnamens weniger homogen: Hier taucht als zweiter Laut das [v] auf. Zu dieser Gruppe gehören erstens zwei nicht-lateinische Schriften, zweitens schwankt die Betonung: Im Bulgarischen sowie Serbischen mit [ˈɛvro] – Евро geschrieben – und im Schwedischen mit [ˈɛvɹu] liegt sie auf der ersten Silbe, im Griechischen mit [e̞vˈɾo̞] (Schreibweise: Ευρώ) und Türkischen mit [avˈɾo̞] (Schreibweise: Avro) auf der zweiten und letzten Silbe. An dieser Stelle bereits lassen sich schwerlich weitere Aussprachevarianten zusammenfassen: Allenfalls das Französische – dort heißt es [øˈʀo] – und das Niederländische – dort spricht man vom [ˈøːɾöʊ̯] (danke, Steffie!) – scheinen trotz voneinander abweichender Betonung verwandt. Bleiben einige Sonderfälle wie das Deutsche, das den Digraph eu wie üblich interpretiert, sodass die Währung [ˈɔɪ̯ʁo] lautet, und das Englische, dessen Sprecher selten mit dem Euro bezahlen und diesen [ˈjʊəɹəʊ] sprechen. Für das Isländische hat sich zur Schreibung Evra die Aussprache [ˈɛvra] eingebürgert. Im Irischen koexistieren nach meinen Recherchen die Graphien Euro, über dessen Lautung ich nicht spekulieren möchte, und Eoró; die regelmäßige Aussprache der letztgenannten, selteneren Form ist [ˈoːɾoː]. Als Abschluss bietet sich wieder der Blick in den Osten an, so nach Russland, wo die Schreibweise dieselbe wie im Bulgarischen und Serbischen ist, die Aussprache jedoch [ˈjɛ̞vrə]. In China versucht man nicht, den Namen des Euro klanglich nachzuahmen, sondern setzt ihn aus den Zeichen für »Europa« und »Währung« zusammen: 欧元 (Pinyin: Ōu Yuán) lautet [˥˥ ou̯ ˧˥ yɛ̯n] auf Hochchinesisch. Im Japanischen hält man sich an die englische Lautung, schreibt ユーロ und spricht [jɯ̞̈ɯ̞̈ɺ̠o]. – Übrigens: Wie lautet der Euro in Dänemark und im Baltikum?



Montag, 30. Juli 2007
Eine zugleich amüsante wie interessante Information, welche phonetischen Themen besonders interessieren, stellen die Auswertungen dar, welche Beiträge dieses Blogs am häufigsten angeklickt werden und mit welchen Suchbegriffen die Leute von (meistens) Google hierher kommen. So war es in den letzten Tagen mehrfach die Frage nach der Aussprache oder vielmehr der Betonung des Wortes tatsächlich, die einen oder mehrere Surfer auf diese Seite getrieben hat. Es gibt – tatsächlich – zwei verschiedene Möglichkeiten, den Begriff zu betonen, nämlich [ˈtaːtzɛçlɪç] und [taːtˈzɛçlɪç]. Allerdings fällt es schwer, einem Deutschlernenden zu erklären, wann man wie betont, weil darüber, wie so oft, der Kontext entscheidet: Aus, sagen wir, euphonischen Gründen passt sich tatsächlich mitunter der Betonung von Wörtern an, die folgen oder vorausgehen: Bei einer Phrase wie »die vermeintlichen und tatsächlichen Vorteile« (dieses und alle weiteren Beispiele aus dem DUDEN-Universalwörterbuch) würde ich beide Wörter auf der zweiten Silbe betonen, bei »sein tatsächlicher Name« spricht vieles für eine Betonung auf der jeweils ersten Silbe. Richtig wäre aber in beiden Fällen auch die andere Variante; ob sie von deutschen Muttersprachlern als befremdlich empfunden würde, bleibt zu untersuchen. Allenfalls für konkrete Sätze wie »Ist das tatsächlich wahr?« (erste Silbe) oder dessen Verkürzung »Tatsächlich?« (zweite Silbe) könnte man von einer Betonungstendenz sprechen, die von Idiolekten in gewissem Maße unabhängig ist. Hier zeigt sich, dass die Intonation mit der zugehörigen Semantik in den meisten Sprachen zu Recht als eines der komplexesten und selbst für Muttersprachler oft schwer zu durchdringenden Gebiete gilt.

PS – für alle, die es interessiert: Stark gefragt war in den letzten Tagen der Beitrag zu Pratibha Patil. Dauerbrenner sind die Aussprache Salman Rushdies und, wie zu erwarten, Libyens.



Dienstag, 17. Juli 2007
Brunsbüttel und Krümmel [Fester Link zum Beitrag]
Die Namen der beiden Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein sind identisch mit denen der Orte, in denen sie stehen. Die Stadt Brunsbüttel liegt im Westen des Bundeslandes. Man spricht den Ort wie das AKW [bʁʊnsˈbʏtl̩] – nicht etwa, wie häufig zu hören, mit langem Vokal in der ersten Silbe. Eine Betonung auf dieser Silbe ist allerdings möglich. Das Kernkraftwerk Krümmel liegt in einem Ortsteil von Geesthacht bei Hamburg. Die korrekte Lautung ist [ˈkʁʏml̩] – anders als die eines Brotbrockens (Krümel), der sich mit langem Vokal spricht.



Montag, 16. Juli 2007
Sei es Euripides, sei es Sappho, sei es Aristophanes: Die für das Deutsche konventionalisierte Betonung keiner dieser Autornamen deckt sich mit der des Griechischen. So schreibt man den Autor zweier der frühesten Werke der Weltliteratur Ὅμηρος (Hómeros), was man im attischen Dialekt des Altgriechischen offenbar [hómɛːros] sprach. Die Betonung, die damals primär durch Pitch (Tonhöhe) realisiert wurde, kann eindeutig auf der ersten Silbe lokalisiert werden. Im neugriechischen [ˈo̞miɾo̞s] ist die Initialbetonung erhalten. Im Deutschen spricht man hingegen [hoˈmeːɐ̯]. Kaum überraschend, dass auch die Titel von Homers Hauptwerken – Ἰλιάς (Iliás) und Ὀδύσσεια (Odýsseia) – anders als im Deutschen betont wurden. Das gleiche Bild bei Σαπφώ (Sapphó), deren Name einst [sapːʰɔ́ː] lautete und heute [sapˈfo̞] gesprochen wird. Auf Deutsch heißt es [ˈzap͜fo]. Αἰσχύλος (Aischýlos) – klassisch: [ai̯skʰýlos], modern: [e̞sˈçilo̞s] – spricht der deutsche Bildungsbürger [ˈai̯sçylɔs]. Und bei Euripides, dem Aufhänger dieses Beitrags, der mit Überzeugung als [ɔɪ̯ˈriːpidɛs] aus Altgriechischstunden schallt? Dasselbe Lied. Die korrekte Aussprache von Εὐριπίδης (Euripídes) im Altgriechischen war wohl [eu̯ripídɛːs], während lebende Griechen von [e̞vriˈpiðis] sprechen. Eine lange Reihe weiterer Fälle, ebenso wie die Aufzählung durchaus vorhandener Gegenbeispiele, erspare ich den Lesern und mir.

Die interessantere Frage ist doch: Warum? Ich kann darauf leider keine belegbare Antwort geben. Ich vermute, dass die Betonung der Namen – unter Einfluss des Lateinischen – von Altphilologen der jeweiligen Zielsprache nach »Gefühl« neu bestimmt wurde. Übereinstimmungen mit dem Griechischen – auch in anderen Sprachen eher selten – scheinen zufällig zu sein. Überprüfen könnte man diese Behauptung durch einen Vergleich der traditionellen deutschen Betonung der Namen mit deren intuitiver Aussprache durch deutsche Muttersprachler, denen die griechischen Autoren unbekannt sind.



Letzte Aktualisierung:
21. Januar, 16:07
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