Sonntag, 15. Juli 2007
Ich bin sicher, dass viele der Überzeugung sind, dass dieses Wort deutscher Herkunft ist, nährt doch die regelmäßige Aussprache [ˈbeːlt͜səˌbuːp] keine Zweifel an dieser Theorie. Der erste Bestandteil könnte von einem archaischen Verb (*beelzen) stammen, der zweite kennzeichnet den Teufel – auch wenn die Vorstellung etwas merkwürdig ist – als Bub, als Jungen. Doch: Weit gefehlt! Der Begriff Beelzebub für den Teufel wurde aus dem Hebräischen übernommen, wo man – inklusive Nikkud – בַעַל זְבוּב (Ba’al Zevuv) schreibt und [ˈbɐ̞ʔɐ̞l zəˈvuv] spricht. Bei diesem Ausdruck, meist als »Herr der Fliegen« (siehe William Golding) übersetzt, handelt es sich um eine Verballhornung von בַעַל זְבוּל (Ba’al Zebul), im Alten Testament der Name des Gottes von Ekron, das »erhabener Herr« bedeutet. Auch in einigen anderen Sprachen außer dem Deutschen ist der Begriff bekannt: Im Englischen schreibt man ihn wie im Deutschen; die Lautung ist jedoch [biˈɛlzəˌbʌb], seltener [ˈbiːlzəˌbʌb], mit [bʊb] als Alternative für die letzte Silbe. Der französische Belzébuth spricht sich [bɛlzeˈbyt], bisweilen ohne [t] im Auslaut. In Spanien schreibt man Belcebú ; die korrekte Aussprache auf der iberischen Halbinsel ist [belθeˈβu]. Sogar nach Japan hat es der Beelzebub geschafft, und zwar als ベルゼブブ (Beruzebubu), den man [beɺ̠ɯ̞̈zebɯ̞̈bɯ̞̈] spricht. Im Deutschen übrigens ist eine zweite Aussprache möglich, die allerdings wenig verbreitet ist, nämlich [beˈɛlt͜səˌbuːp].



Mittwoch, 11. Juli 2007
Der Name dieses Landes ist ein altes phonetisches Thema, das mit hübscher Regelmäßigkeit wiederbelebt wird – so dieser Tage, da das nordafrikanische Land in den Schlagzeilen ist. Die meisten Sprecher quält hörbar das y, das sich an einer für Deutsche ungewöhnlichen Stelle befindet und mit dem Laut [y] assoziiert wird. Wohl aus Gründen sprachlicher Ökonomie wird dieser Laut in der Praxis an eine angenehmere Stelle verlegt und das Land [ˈlyːbi̯ən] gesprochen. Von der präskriptiven Seite, dem Aussprache-DUDEN, ist diese phonetische Metathese nicht gedeckt: Dort wird die Lautung [ˈliːby̑ən] verlangt. Ein Blick ins Arabische zeigt, dass tatsächlich die Graphie den Laut im Deutschen an diese Position gebracht hat; vor Ort schreibt man ليبيا und spricht [ˈliːbɪjaː]. Das finale [a] kann man auch [æ] transkribieren; die Länge des letzten Vokals steht nur der Vollständigkeit halber, da eine quantitative Distinktion im Auslaut offener Silben entfällt. Die ARD hat für die Aussprache des deutschen Exonyms eine praktikable Lösung gefunden, die besagte Laut-Buchstaben-Zuordnung aufbricht: Sie empfiehlt die Aussprache [ˈliːbi̯ən], die vor allem in der tagesschau inzwischen fast ausschließlich zu hören ist. Im Übrigen steht diese phonetische Realisierung nicht alleine da: Für das Wort System zum Beispiel, das im DUDEN als [zʏsˈteːm] transkribiert wird, herrscht längst die Lautung [zɪsˈteːm] vor; Fälle wie die Vorsilbe poly verhalten sich analog.

Nachtrag 11/2011: Die Anlässe, über Libyen zu sprechen, sind nicht weniger geworden; die Fälle, in denen man [ˈlyːbi̯ən] hört, sind es auch nicht. Diese Lautung wählt, wenn ein Sprecher und zwei Korrespondenten den Ländernamen aussprechen, nach meinem Eindruck durchschnittlich mindestens einer von ihnen – auch noch in Sendungen von Rundfunk- und Fernsehanstalten der ARD, wo man immerhin Zugriff auf eine Datenbank mit Aussprache­empfehlungen hat. Jedes eher deskriptiv als präskriptiv arbeitende Aussprachewörterbuch müsste [ˈlyːbi̯ən] als entsprechend kommentierte Nebenvariante in seine nächste Auflage aufnehmen; vielleicht hätte das sogar längst geschehen müssen, denn statt der Frequenz der metathetischen Aussprache scheint sich vor allem die Frequenz des Wortes und damit die Wahrnehmbarkeit der ›Falschaussprache‹ in letzter Zeit geändert zu haben. Das gilt gleichermaßen für die Ableitungen ›Libyer‹ – normativ: [ˈliːby̑ɐ], tatsächlich oft: [ˈlyːbi̯ɐ] – und ›libysch‹ – normativ: [ˈliːbʏʃ], tatsächlich oft: [ˈlyːbɪʃ] –, wobei die DUDEN-Form des Adjektivs so fremd klingt, als hätte ich sie noch nie gehört. Die ganze Wortfamilie mit ihrem unsilbischen [y] und dem unbetonten [ʏʃ] ist ein Kuriosum, bei dem es mich nicht wunder­nimmt, dass es früher oder später auf sanfte – das wäre [ˈliːbi̯ən] – oder unsanfte Weise – das wäre [ˈlyːbi̯ən] – an gängigere Lautmuster angepasst wird. Die behäbigere Orthografie dürfte diesen phonetischen Entwicklungen noch eine Weile hinterherhinken.



Sonntag, 24. Juni 2007
Anhand dieses Wortes kann man erkennen, dass Präskription gerade im Bereich der Aussprache nur sehr bedingt funktioniert. Jeder weiß, dass von Nachschlagewerken eine gewisse Autorität verlangt wird, die nicht jeden Regelbruch des alltäglichen Sprachgebrauchs rechtfertigt. Die Aussprache von Charisma im Deutschen habe ich selten anders gehört als [ˈkaːrɪsma]. Die marginalen Varianten, die mir begegnet sind, bestehen in einer Verkürzung des ersten Vokals bzw. einer Betonung auf der zweiten Silbe. Dessen ungeachtet verlangen der Aussprache-DUDEN (5. Auflage, 2003 – hat sich da etwas geändert?) und das Deutsche Universalwörterbuch aus demselben Verlag unnachgiebig nach [ˈçaːrɪsma] – allenfalls, wie bekannt, mit Kurzvokal und Pänultimabetonung, alternativlos jedoch mit [ç]. Warum?

Der Begriff war schon im Altgriechischen bekannt, wo man ihn χάρισμα schrieb; er bezeichnete eine Gunst, die vonseiten der Götter gewährt werden konnte. Auch ohne mich allzu weit auf das verminte Feld akademischen Disputs über die Rekonstruktion der Phonetik toter Sprachen zu begeben, kann festgehalten werden, dass Chi im klassischen attischen Dialekt des Altgriechischen [kʰ] gesprochen wurde. 1:0 für die meisten Deutschen. Irgendwann muss sich die Aussprache zu [x] gewandelt haben, da dies den Lautwert des Buchstabens im Neugriechischen darstellt. Zwar spricht man Chi vor Vorderzungenvokalen als [ç], das der DUDEN favorisiert. Allerdings wird [a] im Neugriechischen als Hinterzungenvokal behandelt, sodass nur die Lautung [ˈχarisma] möglich ist.

Insgesamt sehe ich weder sprachpraktische noch wissenschaftliche Gründe für die Aussprache [ˈçaːrɪsma]. Ebenfalls höchstens als Gegenargument taugen die geringe Zahl von Wörtern, die im Deutschen [ç] anlauten, sowie die Tendenz, diese wenigen Wörter tatsächlich mit [ʃ] zu sprechen. Kann das populärste deutsche Wörterbuch diese Fakten dauerhaft ignorieren? Es kann offenbar nicht. In der aktuellen Auflage des ersten DUDEN-Bandes Die deutsche Rechtschreibung steht die einzige verbreitete Lautung des Wortes Charisma immerhin als Variante, die wie folgt kommentiert wird:

»Das Substantiv stammt aus dem Griechischen und wird, obwohl häufig mit [k-] ausgesprochen, wie das Herkunftswort mit Ch- geschrieben.«

Langsam mahlen die Mühlen in Mannheim, aber sie mahlen – wie man sieht.



Samstag, 23. Juni 2007
Im Deutschen herrscht regionale Variabilität, was die Aussprache des Vokals o in dem Wort Rost (in der Bedeutung Gitter) bzw. des Vokals ö in der Verbalableitung rösten angeht. Die im deutschen Sprachraum verbreitetsten Formen lauten [rɔst] bzw. [ˈrœstn̩], wobei [r] jeweils für alle freien Varianten des Phonems steht. Nördlich der Mosel und östlich des Rheins ist diese Lautung praktisch konkurrenzlos. In dem Bereich, den diese beiden Flüsse einschließen, in der gesamten Schweiz sowie im Raum Dresden in Sachsen herrschen hingegen die Aussprachen [roːst] bzw. [ˈrøːstn̩] vor. Die dortigen Dialekte bewahren lautliche Formen, die schon im Alt- und Mittelhochdeutschen belegt sind. Die Aussprache mit kurzem Vokal dürfte auf orthographische Analogie mit Wörtern wie Kost, Most, Post etc. zurückzuführen sein. Die lexikographische Präskription hat sich bei der Auswahl der Standardlautung weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen wollen: Während bei Rost die häufigere Aussprache [rɔst] festgelegt wurde, schreibt Siebs als reine und gemäßigte Hochlautung – so der Untertitel seines Hauptwerks – des Verbs rösten die seltenere Aussprache [ˈrøːstn̩] vor. Im DUDEN-Aussprachewörterbuch wird zumindest bei letzterem Wort die Lautung mit offenem Vokal als Variante angegeben.

Eine vergleichbare, jedoch nicht regionale derart scharf umgrenzte Verteilung zeigt sich im Übrigen bei Wörtern wie Obst oder Krebs. Diese waren in früheren Sprachstufen zweisilbig (ahd. obaʒ, mhd. obeʒ; ahd. crebiʒ, mhd. krebiʒ); die daraus resultierende Aussprache mit Langvokal bewahren die meisten deutschen Varietäten bis heute. Gerade in dem Bereich, der für Rost und rösten lange geschlossene Vokale hat, sowie in Österreich und Teilen Bayerns koexistieren jedoch die Lautungen [ɔpst] und [krɛps], die allerdings nicht als standardsprachlich angesehen und nicht im DUDEN geführt werden.



Freitag, 22. Juni 2007
Bei der Enallage handelt es sich um eine rhetorische Figur, die sich durch die Zuordnung eines Adjektivs zu einem anderen Substantiv als dem semantisch passenden auszeichnet. Als klassische Exemplifikation dient das »blaue Lächeln seiner Augen« anstelle des »Lächelns seiner blauen Augen«. Ein Beispiel aus dem literarischen Gebrauch liefert der Österreichischer Robert Musil:

Dennoch umgab ihn die gutsitzende Ruhe seines Anzugs.
(Quelle: Metzler Literatur-Lexikon)

Auch wenn die Endung -age förmlich danach schreit, wie in zahlreichen geläufigen Fremdwörtern aus dem Französischen (Blamage, Etage, Massage, Visage usw.) betont und [aːʒə] ausgesprochen zu werden, läge man damit bei diesem Begriff falsch. Eingebürgert hat sich in der literaturwissenschaftlichen Praxis die Lautung [ɛnˈalaɡe]. Im Anlaut ist eine geschlossenere Vokalqualität möglich. Als ungebräuchliche, aber etymologisch konsequente Alternative bietet sich die Endbetonung an, da das Wort von altgriechisch ἐναλλαγή für »Vertauschung« kommt.



Dienstag, 12. Juni 2007
Vor manchen phonetischen Kuriositäten steht man auch als linguistisch interessierter Muttersprachler ratlos. Das deutsche Wort für ein Papiertuch, das bei und nach dem Essen zum Abwischen des Mundes gedacht ist, lautet »Serviette«. Der Begriff wurde direkt aus dem Französischen übernommen, wo er [sɛʀˈvjɛt] ausgesprochen wird und auch für »Handtuch« oder »Aktentasche« stehen kann. Die einzige mögliche Aussprache dieses Wortes im Deutschen ist laut DUDEN [zɛʁˈvi̯ɛtə]. Es handelt sich im Grunde um einen transparenten Fall der Laut-Buchstaben-Zuordnung. Man müsste meinen: Anders geht es nicht. Allerdings existiert folgende weitverbreitete Lautung: [zɛʁˈviːɐ̯tə] – ein Homophon des Verbs »servieren« in der 1./3. Person Singular im Indikativ bzw. Konjunktiv des Präteritums. Woher kommt das vokalisierte R? Man möchte glauben, auf einen isolierten Fall morpheminternen intrusive r im Deutschen gestoßen zu sein. Mehrere hundert Google-Treffer für die zu dieser Aussprache passendere Schreibweise zeigen: Die »Servierte« ist auf dem Vormarsch – vielleicht.



Samstag, 9. Juni 2007
Vor allem von Briten und Amerikanern hört man – wenn überhaupt – diesen Namen in durchaus amüsante Falschaussprachen. Doch kein falscher Neid: Einige Deutsche stehen ihnen in nichts nach, wenn es um kreative Lautungen geht. Für Irritation sorgt der Geburtsname des Typographen, Johannes Tzschichhold, der sich durch eine kompliziertere Schreibweise auszeichnet. Die gut gemeinte Vereinfachung hat diejenigen, die ch aus unklaren Gründen als [k] oder [x] sprechen wollen, nicht ganz verstummen lassen. Tschichold war Deutscher. Richtig spricht man den Altmeister daher: [jan ˈtʃɪçɔlt].



Dieter Wiefelspütz [Fester Link zum Beitrag]
Auch deutsche Namen, wie der dieses Mannes, der mit dem – auch wenn er das wohl abstritte – wahrlich wenig aufregenden Amt des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion betraut, werden mitunter von Deutschen falsch ausgesprochen. Die letzte Silbe des Namens lautet nämlich geringfügig anders als man annehmen würde. Der volle Name spricht sich: [ˈdiːtɐ ˈviːfl̩ˌspʏt͜s]. Herr Wiefelspütz scheint dahingehend in den vergangenen Jahren in Journalistenkreisen massive phonetische Aufklärungsarbeit geleistet zu haben. Während bei Antritt seines Amtes 1998 der stimmlose postalveolare Frikativ vorherrschte, zeigen sich in letzter Zeit die meisten Nachrichtensprecher öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehsender über die korrekte Aussprache unterrichtet.



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