Englisch ist die Weltsprache, fast jeder beherrscht sie – irgendwie. ›Sprachschützer‹ aus dem anglo-amerikanischen Raum äußern sich, analog zur Angst vor Infiltration durch das Englische in Deutschland oder Frankreich, bisweilen besorgt, die englische Grammatik könne durch die große Zahl an Nicht-Muttersprachlern, die von ihr intensiven Gebrauch machen, über die Maßen simplifiziert werden. Das ist wahrscheinlich eine unzutreffende Befürchtung: Warum sollten Nativespeaker nicht in der Lage sein, zu unterscheiden zwischen einerseits der voll ausgebauten Grammatik, aus der sie schöpfen, wenn sie mit ihresgleichen sprechen, und andererseits einer vereinfachten Version des Englischen, die bei der Kommunikation mit Leuten, die Englisch nicht als erste Sprache gelernt haben, zum Einsatz kommt? Das grammatikalische Wissen einer Mutter nimmt ja auch keinen Schaden, wenn sie über Jahre mit ihren Kindern kommuniziert und dabei auf gewisse komplexe Konstruktionen mehr oder weniger bewusst verzichtet. Wahr hingegen ist, dass falsche Aussprachen von englischen Personen- und Ortsnamen bei Nicht-Muttersprachlern häufiger vorkommen. Schließlich ist dies kein Bereich, in dem formale Regeln – wie etwa in der Morphologie und der Syntax – erschöpfende Erklärungen bieten. Vielmehr stolpert man von einer Ausnahme zur anderen. Hier ist eine kleine Auswahl, die mir in letzter Zeit begegnet ist:
- Aotearoa: [ˌɐːɐʉ̯tɪə̯ˈɹɐʉ̯ɘ]
- Ellen DeGeneres: [ˈɛlən dəˈd͜ʒɛnərəs]
- Ralph Lauren: [ɹælf ˈlɑːɹən]
- John Le Carré: [d͜ʒɒn ləˈkæɹeɪ̯]
- Schenectady: [skɪˈnɛktədi]
- Maurice Sendak: [mɑːˈɹiːs ˈsɛndæk]
- Siobhán: [ʃəˈvɔːn] (engl.) bzw. [ˈʃʊwaːn̪ˠ] (ir.)
- Vancouver: [væŋˈkuːvə] (engl.) bzw. [vɑ̃kuˈvɛːʀ] (frz.)
Anmerkung zu Aotearoa: Der Begriff ist eine verbreitete Māori-Bezeichnung für Neuseeland, wobei ich mit der ursprünglichen Phonologie nicht vertraut bin. Bei der Umsetzung in neuseeländisches Englisch ist zu beachten, dass sich die Lautwerte zum Teil erheblich von denen der britischen Received Pronunciation oder von General American unterscheiden. So ist etwa der Vokal in ›palm‹, wie im Australischen, nach vorne verlagert und hat eine zwischen [aː] und [ɐː] liegende Qualität. Zur Differenzierung des ›goat‹-Diphthongs von Lauten wie in ›mouth‹ trägt vor allem der erste Vokal bei, der in ›goat‹ [ɡɐʉ̯t] weiter hinten liegt als in ›mouth‹ [mɛɔ̯θ]; zusätzlich dürfte das zweite Element in letzterem Diphthong mit leicht tieferer Zungenlage gesprochen werden, wobei [mɛʉ̯θ] ebenfalls eine vorstellbare Transkription wäre. Der Diphthong [ɪə̯] entspricht dem britischen [ɛə̯] wie in ›square‹, das in der prätonischen Silbe von ›Aotearoa‹ mitunter zu hören ist. Dagegen kann bei (vor allem jungen) Neuseeländern, die den Diphthong nicht wie in England realisieren, von einem sonst selten anzutreffenden ›
NEAR-SQUARE merger‹ gesprochen werden, bei dem die Laute dieser zwei Wörter ununterscheidbar werden. Nicht zum Tragen kommt in dem hier diskutierten Wort allerdings das wohl markanteste Charakteristikum von Kiwi-Englisch, da es die Vokale in ›had‹, ›head‹ und ›hid‹ betrifft: Letzterer fällt durch erhebliche Zentralisierung mit dem nur in unbetonten Silben vorkommenden [ɘ] oder [ə] zusammen, was den Weg dafür frei macht, dass die beiden anderen Vokale geschlossener als in vielen Varietäten gesprochen werden (Stichwort: Kettenverschiebung), also [hɪd] oder [hed] für ›head‹ und [hɛd] für ›had‹.