Samstag, 27. Februar 2010
Misheard Wettervorhersage [Fester Link zum Beitrag]
Einen amüsanten Splitter liefert mir die Wettervorhersage der tagesschau vom Mittwoch dieser Woche. Ich habe mich nämlich verhört. Produktions- und Rezeptionsfehler – vulgo Versprecher und Verschreiber einerseits, Verhörer und Verleser andererseits – gelten in der Linguistik nicht nur als notorisch populäres Proseminarthema, sondern vor allem als wichtiges ›Fenster‹ ins kognitive System: Durch sie erhofft man sich Erkenntnisse darüber, wie Inhalte im Gehirn organisiert sind. Schließlich ist etwa die Annahme nicht unbegründet, dass nur solche Strukturen beim Wahrnehmen oder Erzeugen von Sprache verwechselt werden, die nah beieinander liegen – und zwar auf eine womöglich weniger offensichtliche Weise als etwa zwei Wörter mit demselben Anfangslaut. Doch nicht nur im Labor kann man durch linguistische Fehlleistungen etwas über Sprache erfahren, wenn auch die Einsichten am heimischen Fernseher bisweilen etwas weniger spektakulär ausfallen.

Im konkreten Fall hörte ich am Beginn des ersten Satzes besagter Wettervorhersage eine Lautfolge, die sich als [tʰiːf stiˑf] transkribieren lässt. Im Wissen, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete mit Vornamen bezeichnet werden, wenn auch im Unwissen, dass es dieses Jahr die Hochdruckgebiete sind, die Männernamen tragen, glaubte ich ›Tief Steve‹ verstanden zu haben. Warum sollte eine Zyklone nicht ›Steve‹ genannt werden? Doch der Satz nahm eine für mich unerwartete Wendung und lautete schließlich vollständig: »Tiefs, die vom Atlantik nach Dänemark ziehen, bestimmen weiterhin unser Wetter.« Ich hatte mir meinen ›Steve‹ also aus Bestandteilen dreier Wörter – der Coda von ›Tiefs‹, dem Relativpronomen und dem Anlaut der Präposition – zusammengebastelt. Statt zweier Wortgrenzen glaubte ich nur eine zu hören, und die auch noch an einer Stelle, an der sich de facto keine befand. Tatsächlich lautete der Satz nämlich bis zu diesem Punkt [tʰiːfs d̥iˑ f]. Verwirrend wirkte das nahezu voll stimmlose wortinitiale [d], das ich als unaspiriertes [t] wahrnahm – wie bei anlautendem [s] oder [ʃ] im Deutschen üblich. Die Auslautverhärtung bei einem Namen, der im Englischen auf [v] endet, trug ein Übriges bei. Sogar die Satzbetonung, die nicht auf dem Namen, sondern auf dem ersten Wort lag und damit meine Interpretation hätte unplausibel erscheinen lassen müssen, vermochte nicht, mich von meinem Verhörer abzuhalten.

Was lernen wir daraus? Dass Hörer offensichtlich eine erhebliche Toleranz zeigen, was die Abweichung einer tatsächlich gehörten Lautfolge von der Ideallautung angeht, die auf der Basis einer angenommenen phonologischen Struktur erwartet wird. Auch ungewöhnliche Realisierungen können einem bestimmten Phonem sofort zugeordnet, zu Wörtern kombiniert und zur Bedeutungskonstruktion genutzt werden – auch wenn, wie in meinem Fall, ein Irrtum zugrunde liegt. Ungeachtet solcher kleiner Pannen ist das System nämlich praktikabel und alternativlos. Wörter, die in lauten Umgebungen, bei großen Entfernungen oder am Telefon problemlos übermittelt werden, wären sonst unter derartigen Bedingungen unverständlich.



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