Sonntag, 7. Juni 2009
Wörter-[buːx] XII [Fester Link zum Beitrag]
  • Arcandor: [aʁˈkandoːɐ̯]
  • Rubens Gonçalves Barrichello: [ˈhubẽɪ̯̃s ɡõˈsaʊ̯vɪs bahiˈkɛlʊ]
  • Peter Chotjewitz: [ˈpeːtɐ ˈkɔtjəvɪt͜s]
  • Hélène Cixous: [eˈlɛn sikˈsus]
  • Diaspora: [diˈaspora] (dt.)
  • Louis van Gaal: [luˈi fɑn χaːl]
  • Anna Karenina (Анна Каренина): [ˈanə kʌˈrʲenʲɪnə]
  • Tiān’ānmén (天安门): [˥˥ tʰi̯ɛn ˥˥ an ˧˥ mən]
Anmerkung zu Arcandor: Die Nachrichtenagentur ›dpa‹ hat in dieser Woche eine Linguistin zur Aussprache des Konzernnamens befragt und wollte wissen, ob man das Kunstwort nur auf der zweiten oder auch auf den anderen beiden Silben betonen könne. Elke Ronneberger-Sibold von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ließ wissen: »Keine dieser Aussprachen ist falsch. […] Die Betonung hängt nur von unterschiedlichen Sprachmustern ab.« Und weiter in indirekter Rede: »Betone man die ersten beiden Silben, entspreche dies der Tonposition in germanischen Sprachen, wie etwa im Wort Alkohol. Liegt die Betonung auf den hinteren Silben, richte sie sich nach lateinischen Lehnwörtern wie Abitur.« Diese Aussagen bedürfen der Korrektur, auch wenn ich ihre Qualität nicht der Professorin anlasten möchte; sie mag in der Meldung verkürzt oder falsch wiedergegeben worden sein. Zum Ersten existiert, was die Lautung von Propria angeht, sehr wohl eine Instanz, die über falsch oder richtig entscheidet: der Namensinhaber – anders als etwa bei Appellativen, wo sich eine Sprechergemeinschaft, von der kein Mitglied ›Besitzansprüche‹ auf ein Wort erheben kann, auf eine Aussprache einigen muss. Die oben angegebene Lautung [aʁˈkandoːɐ̯] ist demnach die einzig korrekte, weil vom Träger der Wortschöpfung für richtig befunden. Notabene: die einzig korrekte, nicht die einzig mögliche. So ist es auch nicht falsch, beispielsweise den deutschen Nachnamen ›Schmid‹ als [ʃmɪt] auszusprechen; dagegen, so genannt zu werden, protestierten indes diejenigen, die sich bei derselben Schreibweise [ʃmiːt] aussprechen, mit Recht. – Zum Zweiten ist die Aussage, dass keines der Betonungsmuster einem der anderen vorzuziehen sei, nicht präzise. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Fuß- bzw. Morenstruktur oder das Silbengewicht (da streiten sich die Phonologen) Einfluss auf den präferierten Wortakzent nimmt, wenn man deutsche Muttersprachler morphologisch opake Pseudowörter aussprechen lässt. ›Arcandor‹ besteht aus drei Silben, die – durch einen Coda-Konsonanten oder einen Diphthong im Nukleus – alle schwer und zweimorig sind, wobei nur die zweite Silbe in jedem Fall geschlossen ist. Für Wörter mit der Struktur VC.VC.V bzw. V.VC.V (die Onset-Konsonanten interessieren hier nicht) kann man eine Pänultima-Betonung vorhersagen, die in entsprechenden Experimenten auch mehr als drei Viertel der Versuchspersonen produzierten. Es gibt zu dieser Regel lexikalische Ausnahmen, aber eine starke Tendenz besteht und sollte nicht verschwiegen werden.

Anmerkung zu Diaspora: Vor Kurzem hörte ich eine Aussprache dieses Wortes mit Betonung auf der vorletzten Silbe. Das ist im Deutschen ungewöhnlich und scheint von Begriffen wie ›Diaphragma‹ [diaˈfʁaɡma] oder ›Diabetes‹ [diaˈbeːtɛs] beeinflusst zu sein. Interessant ist, dass die deutsche Lautung nicht von der griechischen abgeleitet werden kann: Im Fall von διάφραγμα [diápʰraɡma], dem griechischen Wort für ›Zwerchfell‹, findet sich im Original die Betonung, die wir bei ›Diaspora‹ haben – nur dass diesem deutschen Wort das griechische διασπορά [diasporá] für ›Verstreuung‹ mit einer ganz anderen Betonung zugrunde liegt. Nur bei διαβήτης [diabɛ́ːtɛːs] ist der Wortakzent erhalten geblieben. Woher die Betonung von ›Diaspora‹ kommt, die selbst unter den ›Dia-‹ beginnenden Begriffen im deutschen Wortschatz relativ allein dasteht, ist mir unbekannt. Ich kann nur darauf hinweisen, dass mehrere europäische Sprachen den Akzent auf dieselbe Weise platzieren, etwa ›diáspora‹ [diˈaspoɾa] im Spanischen bzw. [diˈaspoɾɐ] im Portugiesischen, ›diaspora‹ [diˈaspora] im Italienischen, ›диаспора‹  [dʲɪˈaspərə] im Russischen oder im Englischen – gleichfalls mit erheblicher Veränderung der Vokalqualitäten – ›diaspora‹ [daɪ̯ˈæspəɹə]. Ausnahmen sind Sprachen mit fixierter Betonung wie Französisch, dort heißt es ›diaspora‹ [djaspɔˈʀa], Ungarisch mit seiner Variante ›diaszpóra‹ [ˈdiɒspoːrɒ] oder Georgisch, das mit დიასპორა [diˈɑsp’ɔrɑ] das griechische Wort benutzt, wie das auch Japanisch und Koreanisch tun, und rein zufällig durch den üblichen Akzent auf der Antepänultima die Originalbetonung reproduziert.



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