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Mittwoch, 27. Februar 2008
Phonetische Integration [Fester Link zum Beitrag]
Nicht nur in der Soziologie ist Integration ein viel diskutiertes Thema. Jeden Tag muss jeder von uns entscheiden, wie er mit Lauten umgeht, die nicht zum Phoneminventar seiner Muttersprache gehören. Dass sich Deutsche an Begriffen aus dem Isländischen oder dem Dyirbal versuchen müssen, kommt selten vor. Interessantere Beobachtungen sind anhand gängiger europäischer Fremdsprachen zu machen. Das liegt auch daran, dass es Personen gibt, die mit der Herkunftssprache der Begriffe vertraut sind, sie vielleicht sogar gut sprechen. Ändert dies die intuitive Herangehensweise an fremde Wörter? Was ich beobachtet habe, erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Dennoch: Freilich ist die Vorstellung eine schöne, dass das Lernen einer Fremdsprache nicht nur die Sensibilität für die phonetischen Eigenarten der gelernten Sprache erhöht, sondern auch dafür, dass weitere Sprachen bisweilen anders gestrickt sind als die eigene und man versuchen sollte, dem gerecht zu werden. Allzu häufig ist das nicht mehr als graue Theorie. Ein Bekannter von mir, der einige Jahre in England gelebt hat, spricht fließend Englisch sowie leidlich ein, zwei weitere Sprachen. Die gute Beherrschung des Englischen hat bei ihm leider kein Verständnis dafür geweckt, dass Laute aus anderen Sprachen nicht nur ersetzt, sondern auch übernommen werden können. Sein Schulfranzösisch ist in Kinderschuhen kleinster Größe stecken geblieben; man möchte woanders sein, wenn er sich französische Namen vornimmt. Ein Einzelfall? Nein, ich könnte ein weiteres Blog für Beispiele einrichten, in denen Fremdsprachenkenntnis nur zu inselartiger Erweiterung des linguistischen Horizonts führt. Man muss das nüchtern konstatieren.
De l’abstrait au concret: Englische Fremdwörter fordern die Auslautverhärtung im Deutschen heraus. Bei einem Begriff wie dem Adjektiv ›live‹, das im Englischen [laɪv] lautet, steht der Integration nichts im Wege: Es gibt kein deutsches Wort, das bereits [laɪf] lautet; mit dem Nachnamen bzw. männlichen Vornamen ›Leif‹ ist die Verwechslungsgefahr gering. Anders verhält es sich beim ›Blog‹: Der Begriff, im britischen Englisch [blɒɡ] gesprochen, droht mit ›Block‹ [blɔk] homophon zu werden, nachdem die Auslautverhärtung gegriffen hat. Die Titelzeile dieses Blogs zeigt: Ich sehe das Umgehen der Auslautverhärtung nicht als Ausweg aus dem Dilemma. Auch wenn in der Praxis der Vokal bisweilen halblang gesprochen oder ein Rest der Stimmhaftigkeit des englischen Plosivs bewahrt werden mag: Die Phonetik des Wortes ›Blog‹ kann nur als [blɔk] lexikalisiert werden. Die Auslautverhärtung greift entweder immer – oder nie. Ein ›Manchmal‹ einzuführen, eröffnete eine Unzahl von Schlachtfeldern, auf denen ausgefochten werden müsste, ob bei diesem oder jenem Wort die Auslautverhärtung anzuwenden sei oder nicht. Unsinn. Die deutsche Sprache funktioniert bestens mit Myriaden von Homophonen. Auf ein paar Dutzend kommt es nicht an. Etwas kniffliger wird es bei den englischen Diphthongen. Vor nicht allzu langer Zeit, hörte ich in einem ›tagesschau‹-Beitrag das Wort ›Laserwellen‹ – gesprochen als [ˈleːzɐvɛln̩]. Falsch oder richtig? Der DUDEN sagt: richtig. Auch wenn es sich für mich barbarisch anhört, sehe ich darin eine sinnvolle Entscheidung, [ˈleːzɐ] zur Hauptform von ›Laser‹ zu erklären. [eɪ] ist kein Phonem des Deutschen, ähnlich wie [əʊ] bzw. [oʊ] – allenfalls eine fakultative Realisierung von [eː] und [oː]. Hier steht zwar kein Prinzip wie die Auslautverhärtung im Weg, mit dessen Hilfe die Phonetik in der Mehrzahl der Fälle korrekt abgeleitet werden kann, für die man schwerlich eine ähnlich gute, andere Erklärung findet. Jedoch lässt sich damit argumentieren, dass erstens die monophthongische Aussprache weit verbreitet ist, zweitens Diphthonge wie [eɪ] ohnehin nur in der lexikalischen Peripherie des Deutschen vorkommen. Eventuell wird man in dreißig Jahren anders urteilen aufgrund einer Vielzahl von englischen Wörtern, in denen die meisten Deutschen diese Diphthonge sprechen; womöglich stellt sich die Entscheidung als richtig heraus, weil der Wortimport aus dem Englischen zugunsten zum Beispiel des Chinesischen weitgehend versiegt und die diphthongische Lautung angesichts einer schwindenden Anzahl von Englischsprechern an Boden verliert. Im Moment rechtfertigt die Quantität von Begriffen, denen man ihre englische Herkunft anmerkt, nicht, von einem anderen Phonembestand des Deutschen auszugehen – wenngleich mancher ›Sprachpfleger‹ und ähnliches Gelump die deutsche Sprache von Anglizismen überschwemmt, ja bedroht sieht. Man kann zusammenfassen: Phonetische Integration ist im gleichen Maße nötig, wie sie vermieden werden sollte. Die Entwicklung vom englischen ›cakes‹ [keɪks] zum deutschen ›Keks‹ [keːks] oder vom französischen ›balcon‹ [balˈkɔ̃] zum deutschen ›Balkon‹ [balˈkoːn] zeigt, dass diejenigen, die sich an das heimische Phoneminventar halten, die Grundlage dafür legen, dass aus Begriffen mit ausländischem Beiklang allgemein akzeptierte Lehnwörter werden. Diese Sprecher schaden weder der Quell- noch der Zielsprache: Der einen verschaffen sie – zumindest begriffeweise – Verbreitung außerhalb ihres angestammten geografischen Raumes, der anderen verhelfen sie zu einem wachsenden Wortschatz. Gleichzeitig laufen dieselben Personen Gefahr, ausländische Freunde oder Kollegen vor den Kopf zu stoßen, wenn sie sich selbst einem Versuch verweigern oder daran scheitern, die ursprüngliche Aussprache deren Namen zu produzieren. Für mich heißt das in der Praxis: ›Laser‹ ist [ˈleɪzɐ], ›Balkon‹ ist [balˈkɔ̃], um für andere phonetische Herausforderungen fit zu bleiben, auch wenn Wörterbuchredaktionen andere Entscheidungen treffen müssen. ... older stories
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