Montag, 1. Oktober 2007
Vatersnamen reloaded [Fester Link zum Beitrag]
Seit gestern gibt es einen neuen unumstrittenen Schachweltmeister: Der bisherige Titelinhaber Wladimir Borissowitsch Kramnik kam aus Russland. Kyrillisch schreibt man seinen Namen Владимир Борисович Крамник (Transliteration: Vladimir Borisovič Kramnik) und spricht ihn auf Russisch [vɫʌˈdʲimʲɪr bʌˈrʲisəvʲɪtʲɕ ˈkramnʲɪk]. Besiegt wurde er von Viswanathan Anand. Er stammt aus dem indischen Bundesstaat Tamil Nadu, in dem – wie der Name schon andeutet – Tamilisch (kurz auch: Tamil) Amtssprache ist. Mit der dortigen Schrift, die wie die Lateinische von links nach rechts verläuft, wird sein Name விஸ்வநாதன் ஆனந்த் geschrieben. Die korrekte Lautung ist [visˈvʌn̪ɑːt̪ɜn̪ ˈɑːn̪ɜn̪d̪]. Tamilisch ist, wie viele indische Sprachen, eine Abugida: Dies bedeutet, dass jedem Konsonanten ein Vokal, hier: [ʌ], inhärent ist, dessen Tilgung gegebenenfalls mit einem Diakritikum angezeigt wird. Im Tamilischen heißt dieses Zeichen pulli. – Wer den neuen Schachweltmeister richtig ansprechen will, kann jedoch nicht ausschließlich über phonetische Hürden stolpern: Viswanathan ist kein Vorname, sondern ein Patronymikon, also der Name von Anands Vater, weshalb man sich nicht damit, sondern mit »(Mr) Anand« an ihn wenden sollte. Ein früherer Schachweltmeister, von dem man dieser Tage aus politischen Gründen oft hört und der ebenfalls ein Patronymikon führt, ist Garri Kimowitsch Kasparow. Seinen Namen schreibt man mit kyrillischen Buchstaben Гарри Кимович Каспаров (Transliteration: Garri Kimovič Kasparov). Jeder, dem das russische System der Vatersnamen vertraut ist, weiß damit, dass Kasparows Vater Kim geheißen haben muss. Jeder Fachmann in russischer Phonetik kennt darüber hinaus die korrekte Aussprache des Namens, nämlich [ˈɡarʲɪ ˈkʲiməvʲɪtʲɕ kʌˈsparəf].



Die deutsche Sprache kennt mehrere Möglichkeiten, die lange Aussprache eines Vokals orthografisch anzuzeigen – neben der Verdopplung des betreffenden Buchstaben, wie in Aal [aːl]. Am häufigsten dienen dazu die Vokale h und e hinter i. In vielen Fällen ergeben sich dadurch Redundanzen: Sowohl Wal als auch Wahl lauten [vaːl]; sowohl Stil als auch Stiel kann man [ʃtiːl] sprechen, wobei [stiːl] als Variante für erstere Graphie möglich ist. An dieser Stelle sei auf einen Fehler im Artikel »Dehnungszeichen« der deutschen Wikipedia hingewiesen, die den Pyhrnpass als Beispiel für ein Dehnungs-h anführt: Tatsächlich spricht man den Pass – je nach Quelle – [pɪʁn] bzw. [pʏʁn], in keinem Fall aber mit langem Vokal. Falls es jemand berichtigen möchte: bitte sehr! Auch eine Korrektur der IPA-Angabe zu dem bayerischen Ort Buchloe wäre angebracht: Man betont ihn nicht auf der zweiten Silbe, sondern [ˈbuːxloːə]. Immerhin taugt die Wikipedia für ein gutes Dutzend nette Beispiele von Dehnungs-e hinter Vokalen außer i: Leider hat sich dort ein weiterer Irrtum eingeschlichen. Im Ortsnamen Schaephuysen kann schlechterdings nicht von einem Dehnungs-e gesprochen werden, wenn der erste Vokal als kurz transkribiert wird. Richtig ist auf Deutsch natürlich [ˈʃaːphyːzn̩]; im Niederländischen, woher der Name sichtlich stammt, müsste es [ˈsχapɦœʏ̯zə] lauten. – Dass außerhalb Norddeutschlands nur wenig Bewusstsein für das Dehnungs-c herrscht, wusste Thomas Mann bereits Anfang letzten Jahrhunderts: Aus dem Familiennamen Buddenbrock [ˈbʊdn̩ˌbʁoːk] machte er die Buddenbrooks, um einer gesamtdeutschen Leserschaft die korrekte Aussprache förmlich aufzudrängen. Bei Städten und Regionen, die sich nicht die Freiheit eines Literaten, die Namensschreibweise anzupassen, nehmen können oder wollen, ist die kurze Aussprache des Vokals längst gang und gäbe, selbst vor Ort, so in Mecklenburg-Vorpommern oder Lübeck, das man einst [ˈlyːbeːk] sprach. Noch geringer als die Zahl derer, die von [ˈmeːklənbʊʁk] sprechen, dürfte die derjenigen sein, die auf Anhieb den Namen des Dörfchens Pouch in Sachsen-Anhalt korrekt artikulieren: Das Phänomen, das zu der Aussprache [poːx] führt, stelle ich hier – um auf den Titel dieses Artikels zurückzukommen – als einziges mir bekanntes Beispiel für ein Dehnungs-u vor.



Wir sind Weltmeister! [Fester Link zum Beitrag]
Ich weiß nicht, wie gebräuchlich der folgende Begriff im Englischen ist, aber einen Deutschen, der ihn aktiv benutzte, kenne ich nicht: »Wir sind […]!« ist einer der derzeit gebräuchlichsten deutschen Snowclones. Ich denke, man spricht den Begriff [ˈsnəʊˌkləʊn]. Er bezeichnet Phrasen, bei deren Zitierung ein Element oder mehrere ausgetauscht werden, um sie der jeweiligen Situation anzupassen. So wie die deutsche Zeitung BILD am 20. April 2005 anlässlich der Wahl Kardinal Ratzingers zum Pontifex Maximus »Wir sind Papst!« titelte, kann man über die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen nach der WM in China schreiben: »Wir sind Weltmeister!«. Wer noch nicht weiß, wie die Namen der Spie­lerinnen ausgesprochen werden, bekommt hier geholfen: Den Vornamen der jungen Innenverteidigerin Annike Krahn betont man nicht auf der ersten Silbe; der ganze Name lautet [aˈniːkə kʁaːn]. Wesentlich bekannter dürfte, nach Rekordnationalspielerin Birgit Prinz, die Veteranin Renate Lingor sein. Man spricht ihren Namen [ʁeˈnaːtə ˈlɪŋɡoːɐ̯]. Ariane Hingst hat zwar keinen ungewöhnlichen Namen, spielt aber bei einem ausländischen Verein, der nur wenigen deutschen Sportreportern leicht von den Lippen geht: Der Club stammt aus einem Vorort Stockholms, nämlich Djurgården, was man [ˈjʉːɹˌɡoːɖən] spricht. Hingsts Mannschaftskollegin Linda Bresonik wird [ˈlɪnda bʁɛˈsɔnɪk] gesprochen. Der Name von Stürmerin Kerstin Garefrekes lautet [ˈkɛʁstiːn ˈɡaːʁəˌfʁeːkəs]. Sandra Smizek, die bereits 2003 Weltmeisterin war, spricht man korrekt [ˈzandʁa ˈsmɪzək]. Den letzten WM-Treffer für die deutsche Mannschaft erzielte gestern Simone Laudehr [ziˈmoːnə ˈlaʊ̯dɐ].



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