Donnerstag, 5. Juli 2007
Für Briten und die meisten anderen Muttersprachler des Englischen dürfte der Anfang meines Beitrags redundant sein. Zahlreiche Deutsche jedoch – ich schließe mich ausdrücklich ein – scheinen gerne zu vergessen, woran ich heute dezent erinnert wurde (danke, Beeke!): Die Themse spricht sich im Englischen nicht etwa mit einem Diphthong, sondern [tɛmz]. Damit es auch für Briten interessant wird, habe ich zwei Handvoll Exonyme des Flusses gesammelt. Beginnen wir in Deutschland: Dort nennt man ihn Themse, was man [ˈtɛmzə] spricht. Für Franzosen handelt es sich um la Tamise [taˈmiz]. In diesem Kontext wird [i] meist lang gesprochen; bedeutungsunterscheidend ist diese Quantität jedoch nicht. Für Italiener fließt durch London il Tamigi – beachte das Genus! – mit der Aussprache [taˈmiːdʒi]. Auch in Spanien ist dieser Strom männlich: El Támesis wird [ˈtamesis] gesprochen. Im Portugiesischen ist die Schreibweise Tâmisa (auch ohne Zirkumflex) verbreitet, was man in Europa [ˈtɐmizɐ] spricht. Bevor wir zu Sprachen mit anderen Schriftsystemen als dem lateinischen Alphabet kommen, sei auf die niederländische Theems [teːms] – auch mit dem Diphthong [eɪ] eng zu transkribieren –, die polnische Tamiza [taˈmiza] sowie die ungarische Temze [ˈt̪ɛmz̻ɛ] hingewiesen; [t] wird im Ungarischen dental, [z] laminal artikuliert. In Griechenland schreibt man Τάμεσης und spricht [ˈtame̞s̺is̺]; auch hier bemerkt der Kenner ein kleines Feuerwerk von Diakritika, die auf ein etwas stärker geöffnetes [e], das man genauso gut [ɛ̝] schreiben könnte, und eine apikale Aussprache von [s] hinweisen. Die kyrillische Schreibweise ist Темза, dessen Lautung [ˈtʲe̞mzə]. Japaner schreiben den Fluss テムズ und sprechen ihn [temɯzɯ]. Unsere kleine phonetische Schifffahrt endet im Osten, wo Chinesen 泰晤士河 (Pinyin: Tài Wù Shì Hé) schreiben und auf Mandarin [˥˩ tʰaɪ ˥˩ wu ˥˩ ʂɨ ˧˥ xɤ] sprechen. Ich hoffe, dass bei so vielen Sprachen niemand seekrank geworden ist.



Camille Saint-Saëns [Fester Link zum Beitrag]
Meist kann man sich auf Diakritika als Hinweis auf die korrekte Aussprache eines Wortes verlassen. Schließlich ist das eine ihrer wichtigsten Funktionen. Manchmal jedoch wird man an der Nase herumgeführt, wenn auch nicht aus bösem Willen. Das Trema in dem Namen des Komponisten und Musikers weist nur scheinbar auf das hin, was man im Französischen erwartet: eine getrennte Aussprache des e von dem vorangehenden Vokal. Tatsächlich spricht man den Namen [kaˈmij sɛ̃ˈsɑ̃s] – der Buchstabe mit der Diärese bleibt stumm. Dieselbe Aussprache gilt für den Namen der Schriftstellerin, die man in der Regel schlicht Madame de Staël nennt; er lautet [maˈdam dəˈstal]. Ein weiterer französischer Organist und Komponist, dessen Name die Intuition auch ohne Trema ins Stocken zu bringen in der Lage ist, heißt Olivier Messiaen. Die korrekte Lautung in diesem Fall ist [ɔliˈvje mɛˈsjɑ̃].



Als Ehrenrettung für Al Stewart, der an Jacqueline Bissets Namen gescheitert war, möchte ich seinen Titel Roads to Moscow (1974) anführen. Darin heißt es:

All summer they drove us back through the Ukraine
Smolensk and Vyazma soon fell
By autumn we stood with our backs to the town of Orel
(Vollständiger Songtext: Link)

Angenehmerweise hört sich die Lautung, die Al Stewart für die erste Stadt wählt, nicht ausschließlich britisch, sondern ein wenig so an, als hätte er sich über die Aussprache schlaugemacht. Man schreibt auf Kyrillisch Смоленск und spricht [smʌˈlʲe̞nsk]. Die anderen beiden Städte schreibt man im Russischen übrigens Вязьма und Орёл; sie sprechen sich [ˈvjazʲmə] bzw. [ʌˈrʲoɫ]. So, vorerst genug Schleichwerbung für Al Stewart ;-)



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